Schulden wachsen jährlich um über 50 Millionen Euro Castrop-Rauxels Finanzlage immer dramatischer

Schulden wachsen jährlich um über 50 Millionen Euro
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Die Finanzlage der Stadt Castrop-Rauxel wird immer katastrophaler. In den nächsten zehn Jahren, rechnete Bürgermeister Rajko Kravanja am Donnerstag (12.12.2024) im Stadtrat vor, werde sich das Schlamassel auf annähernd eine Milliarde Euro summieren. „Eine Milliarde Euro Liquiditätskredite. Eine Milliarde in zehn Jahren. Das ist unfassbar! Das hätte ich nie gedacht, dass wir diese Zahl jemals in den Mund nehmen werden“, sagte er vor den rund 50 Rats-Politikern.

Es sei eine Zeitbombe, die die Stadt erdrücke, so der Bürgermeister. Zuvor hatte der Beigeordnete für Finanzen, Michael Eckhardt, das Finanz-Debakel aufgedröselt. Ein Silberstreif sei nicht erkennbar, im Gegenteil: Er sei „dunkel-anthrazit bis schwarz“, so Eckhardt. „Es muss sich was tun, sonst gehen hier die Lichter aus.“

Faktisch legte er mit der Kämmerei der Politik einen Doppelhaushalt vor: für die Jahre 2025 und 2026. Denn im Wahljahr 2025 sei der Zeitrahmen nach der Kommunalwahl im September sehr knapp. Und die nachträglichen Änderungen in einem Nachtragshaushalt seien schneller gemacht als einen ganz neuen Etat auszuarbeiten.

Das Problem der Etats: Sie sind strukturell unterfinanziert. Einnahmen von 253 Millionen Euro (2025) und 269 Millionen Euro (2026) stehen Ausgaben von 295 Millionen Euro und 311 Millionen Euro gegenüber. 48 und 49 Millionen Euro sind die Jahresfehlbeträge. Wer dachte, die 43,5 Millionen Euro aus dem Jahr 2024 seien rekordverdächtig: In den kommenden Jahren wird es noch schlechter. „Erschreckende Zahlen“, so Michael Eckardt, „nicht genehmigungsfähig.“ Aber das werde in vielen Städten im Kreis Recklinghausen und auch darüber hinaus genauso sein. Es werde mehr und mehr zum Normalfall.

Ratssitzung am 12.12.2024 im Ratssaal der Stadt Castrop-Rauxel am Europaplatz.
Ratssitzung am 12.12.2024 im Ratssaal der Stadt Castrop-Rauxel am Europaplatz. © Tobias Weckenbrock

Der Personalkosten steigen zum Beispiel stark. Dabei seien nur Stellen im Plan, die „unabweisbar“ seien: Der Rettungsdienstbedarfsplan im Kreis Recklinghausen mache mehr Personal erforderlich, der bald verwirklichte Rechtsanspruch auf den OGS-Platz ebenso. Das Stadt stellt die Beschäftigten an und bezahlt auch den Ausbau der Schulräume dafür. Dazu stiegen die Zinsen für die Kredite: Die Zinsaufwendungen, die zuletzt jahrelang praktisch bei Null waren, steigen nun von 6,3 Millionen Euro auf 16,5 Millionen Euro bis 2029. Und betrachte man die 2030er-Jahre, „kriege ich Schnappatmung“, so Eckhardt.

2029 soll das Haushaltsminus bei 64 Millionen Euro liegen. Es kommen also jedes Jahr weit mehr als 50 Millionen Euro neue Schulden dazu. Inklusive der Zinsverpflichtungen, die daraus erwachsen. „Das ist keine Frage mehr von Altschuldenlösungen“, sagt Bürgermeister Kravanja. Eine Altschuldenlösung, für die viele Städte seit Jahren in Land und Bund lobbyieren, müsse kommen. „Aber selbst wenn wir die Schulden heute komplett streichen, reden wir immer noch über einen Riesenberg, der hinzukommt. Jedes Jahr eine neue Altschuldenlösung? Das kann doch nicht sein! Wir müssen eine strukturelle Finanzierung von Kommunen hinbekommen.“

Kravanja: „Wen sollen wir noch begeistern?“

Rajko Kravanja, der den Plüsch-Pleitegeier vom vergangenen Jahr nicht mehr mitbrachte ans Rednerpult („Der ist inzwischen verrottet.“), zog seine Schlüsse: „Was passiert, wenn das nicht der Fall ist? Wen sollen wir noch begeistern in der Kommune für Politik, wenn man nur verwalten darf und nur darüber redet, wo gespart werden kann, aber nicht mehr, was ich gestalten kann?“

Das betreffe nicht nur den Stadtrat, sondern alle Bürgerinnen und Bürger. „Wenn wir mit den Menschen reden, da muss ein Fußgängerweg hin, da eine Brücke – was sollen wir denen denn sagen? Nur ‚geht nicht‘, nur ‚können wir nicht‘ – das kann man ein Jahr machen oder zwei. Wenn wir denen aber sagen, dass in den nächsten zehn Jahren gar nichts mehr geht, was sollen die Leute dann von uns als Politiker halten? Sie sagen: ‚Ihr habt sie nicht alle auf dem Zaun.‘ So kann Politik, so kann eine Stadt nicht funktionieren.“ Und so verliere Demokratie ihre Akzeptanz.

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