Schiedsmann Manfred Rabe verabschiedet Das sind seine skurrilsten Streitfälle aus Castrop-Rauxel

Bürgermeister verabschiedet Schiedsmann: Das waren seine skurrilsten Fälle
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Ende 2015 endete eine Karriere von Manfred Rabe und eine neue begann. Mit 65 ging der Castrop-Rauxeler damals in den Ruhestand, beschloss aber zugleich: „Ich will ein Ehrenamt übernehmen.“ Gesagt, getan. Seither war Rabe ehrenamtlich als Schiedsmann tätig, für die Stadtteile Obercastrop, Schwerin, Merklinde (inklusive Bövinghausen) und Frohlinde.

Seine Aufgabe: Streit schlichten, als neutraler Mediator vermitteln. Eine gesellschaftlich wichtige Aufgabe, denn durch die Vermittlung einer Schiedsperson lassen sich Auseinandersetzung oft schon klären, bevor sie vor Gericht landen. Das Verfahren spart also nicht nur Geld – ein Gerichtsverfahren ist deutlich teurer als die Schlichtungsgebühr von rund 70 Euro – und Nerven, sondern schont auch die Kapazitäten des Justizsystems.

Den Job habe er sehr gerne gemacht, sagt Manfred Rabe. Als er kürzlich aus Merklinde in den Dortmunder Westen umgezogen ist, hat er das Ehrenamt allerdings aufgegeben. „Ich dachte immer: 75 ist ein gutes Alter um aufzuhören“, sagt Rabe. „Jetzt war es eben schon zwei Jahre früher soweit.“ Im Oktober hat Hendrik Moryson die Aufgabe übernommen. Im Gespräch mit unserer Redaktion erinnert sich der erfahrene Streitschlichter Manfred Rabe an die Fälle, die ihm im Gedächtnis geblieben sind.

Der Klassiker: Nachbarschaftsstreit

Sein allererster Fall sei ein echter Klassiker gewesen – der Nachbarschaftsstreit. „Ich würde mal schätzen, dass 95 Prozent aller Fälle in diese Kategorie fallen“, so Manfred Rabe. Konkret ging es damals um Sittiche, die in einer Voliere im Garten eines Hauses untergebracht gewesen seien. „Jeder ahnt natürlich schon, was jetzt kommt. Den Nachbarn, nebenan in einem Mehrfamilienhaus, war das Gezwitscher der Vögel viel zu laut“, erzählt Manfred Rabe. „Da hatten viele ihr Schlafzimmer zum Garten hin und wurden morgens durch den Lärm gestört.“

Zu sehen ist eine Portrait-Aufnahme von Manfred Rabe.
Von Ende 2015 bis Oktober 2023 war Manfred Rabe als ehrenamtlicher Schiedsmann in Castrop-Rauxels Süden tätig. © Archiv

In diesem Fall habe die Lösung aber auf der Hand gelegen: „Da konnte ich ganz schnell schlichten“, sagt Rabe. „Da die Tiere lichtempfindlich sind, ließ sich das Problem lösen, indem die Besitzer einen Vorhang über den Käfig hängen sollten.“ So hätte das Gezwitscher nicht mehr automatisch nach Sonnenaufgang begonnen, sondern erst dann, wenn die Besitzer den Vorhang lüfteten. „Das war ja mein erster Fall – von daher war ich schon sehr erleichtert, dass der sich so schnell lösen ließ“, erinnert sich Rabe. Das ist nicht immer der Fall, wie unsere nächste Kategorie zeigt.

Die streitsüchtigen Stammkunden

Einige Streitende würden irgendwann sogar zu Stammkunden, sagt Manfred Rabe. „Die wollen sich streiten.“ Ob es der Grashalm sei, der über die Grundstücksgrenze herüberwachse oder große Bäume, deren Schattenwurf die eigene Grundstücksidylle schmälere – manche Streitende würden regelrecht nach einem Anlass suchen, mit dem sie sich und andere behelligen könnten. Alles andere als ideal für Streitschlichter, denn pro Schlichtung finden in der Regel drei Termine statt.

„Eine Partei ergreift die Initiative und meldet sich bei mir“, erklärt Manfred Rabe das Prozedere. „Dann mache ich natürlich noch einen Termin mit der Gegenseite, damit auch die mir ihre Sicht der Dinge schildern kann.“ Erst nach diesen zwei Gesprächen komme es zu einem Schlichtungstermin, bei dem dann beide Streitparteien aufeinander treffen. Umso nervtötender, wenn notorische Streithähne ohne Einigungswillen immer wieder auftauchen. „Das ist aber wirklich die absolute Ausnahme“, sagt Rabe.

Die Eskalation: Lockdown-Zeit

Am ehesten sei das vermutlich in der Zeit der Corona-Lockdowns geschehen. „Das war mit Abstand die schlimmste Zeit“, so der Schiedsmann a.D. In den Jahren 2020 und 2021 habe er fast doppelt so viel zu tun gehabt wie zuvor. Seine Analyse: „Die Leute hatten auf einmal Zeit, sich zu streiten.“ Klar, viele waren in der Zeit der Kontaktbeschränkungen gezwungenermaßen mehr zu Hause als sonst. Und offenbar haben sich einige Menschen diese freie Zeit mit Streitigkeiten vertrieben.

Wer in Streitigkeiten mit seinen Mitmenschen gerät und sie nicht selbstständig lösen kann oder will, der kann sich in Castrop-Rauxel an ehrenamtliche Schiedspersonen wenden. Vier Streitschlichter teilen sich das Stadtgebiet untereinander auf. So lauten Ihre Namen und Kontaktdaten, die auch auf der Homepage der Stadt zu finden sind.

Für Bezirk 1 (Ortsteile Henrichenburg und Ickern):

Ursula Kathriner

E-Mail: ursula.kathriner@schiedsfrau.de

Für Bezirk 2 (Ortsteile Habinghorst, Pöppinghausen, Bladenhorst, Rauxel-Nord und Behringhausen):

Michael Hilkmann

Tel.: 02305 / 890631

Für Bezirk 3 (Ortsteile Castrop, Rauxel-Süd, Deininghausen und Dingen):

Hans-Jürgen Noll

Tel.: 02305 / 12384

E-Mail: hjnoll@unitybox.de

Für Bezirk 4 (Ortsteile Obercastrop, Schwerin, Bövinghausen, Merklinde und Frohlinde):

Dr. Hendrik Moryson

Tel.: 0177-4938159

E-Mail: hendrik.moryson@gmx.de

Viele dieser Fälle seien aber auch sogenannte „Tür- und Angel-Fälle“ gewesen, sagt Manfred Rabe. „So nennen wir das, wenn Leute auf uns zukommen, um sich erst einmal grundsätzlich über unser Angebot zu erkundigen.“ Dann habe er auch immer alles versucht, um die Leute zu motivieren, ihre Streitigkeiten eigenständig beizulegen. „Manchmal hat es schon gereicht zu fragen, ob die Leute denn selbst mal das Gespräch gesucht oder einen netten Brief geschrieben haben“, erzählt Rabe. Es könne meistens nämlich auch ganz einfach sein. „Von vielen hört man dann schon gar nichts mehr.“ Auch solche Fälle würden aber dokumentiert.

Die notorischen Besserwisser

Einige „Streittypen“, wenn man sie so nennen kann, haben Manfred Rabe in seiner Tätigkeit am meisten Beherrschung gekostet. „Das sind diese vorsätzlichen Besserwisser“, sagt Rabe. „Da müsste es wirklich ein Gesetz gegen geben.“ In einem konkreten Fall ging es um eine herüberragende Hecke oder etwas Ähnliches, beteiligt auch eine pensionierte Oberstudienrätin. „Ohne alle über einen Kamm scheren zu wollen – aber das war wirklich schwierig.“ Die Frau hatte sich vor dem Schlichtungstermin im Internet schlau gemacht und ihr erworbenes laienjuristisches Wissen dann ausführlich referiert.

„Das ist wirklich anstrengend“, sagt Rabe. Denn ganz wichtig sei: „Es geht nicht um Gesetze, es geht um eine Einigung.“ Schlichtungen fänden abseits der Frage statt, wer im Recht sei oder wer vor Gericht gewinnen würde. Die Parteien sollen einen Kompromiss finden. Wenn eine Vereinbarung getroffen wird, sei diese aber bindend, erklärt Manfred Rabe: „Das gilt dann für die Beteiligten. Wenn eine Seite gegen die Vereinbarung verstößt, schiebt dem im Zweifel das Amtsgericht einen Riegel vor.“

Mit Entourage zur Schlichtung

Weil die Schlichtungsvereinbarungen diese langfristigen Folgen haben können, würden manche Menschen eine Art Schutzwall um sich herum aufbauen, wenn es ins Schlichtungsgespräch gehe. Ein häufiger Fall: Sie bringen ihren Anwalt mit. Laut Manfred Rabe eigentlich völlig unnötig: „Wie gesagt, es geht nicht um juristische Dinge, sondern um eine Einigung.“ Viele Rechtsanwälte, so die Erfahrung Rabes, seien auch gar nicht unbedingt an einer Einigung interessiert. „Nicht alle, aber viele sicherlich auch mit dem Kalkül, dass der Fall mehr Geld einbringt, wenn die Schlichtung nicht erfolgreich ist und es zu einem Gerichtsverfahren kommt.“

Auch die Terminfindung werde durch die Anwesenheit von Anwälten erschwert. „Die sind nunmal terminlich immer sehr stark eingebunden. Da kann es dann schon mal Wochen dauern, bis man einen Termin für die Schlichtung findet.“ Aber nicht nur Rechtsanwälte hätten die Leute mitgebracht. Zur seelischen Unterstützung seien regelmäßig auch Familienangehörige und Freunde mitgebracht worden. Verständlich, gehe der Streitwert gut und gerne auch mal in den fünfstelligen Bereich – das höchste war laut Rabe ein Streitwert von 75.000 Euro.

Das Erscheinen der Streitenden samt Entourage stellte für Schiedsmann Rabe aber auch ein logistisches Problem dar: „Ich habe die Schlichtungsgespräche immer bei mir zu Hause geführt. Ich hatte am Küchentisch auch gar nicht so viel Platz, wie da manchmal Leute aufgetaucht sind.“

Herausforderung für die Neutralität

Als Schlichter sei es grundsätzlich ganz wichtig, neutral zu bleiben. Keine der Seiten soll das Vertrauen verlieren oder das Gefühl haben, benachteiligt zu werden. „Das kann manchmal echt schwierig sein“, so Rabe. „Wenn es zum Beispiel zu rassistischen Aussagen gekommen ist, bin ich eigentlich immer eingeschritten.“ Eine ältere Dame ist ihm besonders im Gedächtnis geblieben, die sich immer wieder abfällig zur vermeintlichen Herkunft ihres Gegenübers geäußert hatte. „Da habe ich dann auch deutlich gesagt: Was Sie hier abliefern, geht gar nicht.“

Was in solchen Fällen helfen könne, sei der Hinweis auf die Alternativen zum Schlichtungsverfahren. „Ich habe manchmal auch ein bisschen damit gedroht“, gibt Manfred Rabe zu. Wenn das Schiedsverfahren ins Leere läuft oder sich eine Seite einer Einigung konsequent verweigert, habe er deutlich gemacht: „Ich kann die Schlichtung hier abbrechen, beide Parteien sind entlassen. Der Antragssteller bekommt eine Bescheinigung, dass er sich nicht einigen wollte. Das könnte dann vor Gericht ganz schlecht ankommen.“ Diese Drohung habe in vielen Fällen dann auch verfangen und die Bereitschaft zur Einigung spürbar erhöht, erinnert sich Rabe. Er hatte eine Erfolgsquote von 70 Prozent, womit er zufrieden ist, denn: „Das ist ziemlich genau der bundesweite Durchschnitt.“