Sie sind schockiert, sie stehen plötzlich ohne Job da und sie packen jetzt aus – über Missstände, die schon lange vor der Schließung der drei Schickentanz-Filialen in dem Unternehmen Alltag gewesen seien. Am Tag nach Bekanntwerden der Insolvenz hat unsere Redaktion mit vier nunmehr ehemaligen Verkäuferinnen von Schickentanz sprechen können. Was sie erzählen, lässt vermuten, dass schon lange vieles schieflief bei der kleinen Dortmunder Bäckereikette.
Mit vier der knapp zwölf Mitarbeiterinnen konnten wir sprechen. Die Frauen wollen anonym bleiben. Wir zeigen sie daher nicht im Bild und geben ihnen andere Namen, wenn wir wiedergeben, was sie uns erzählt haben. Johanna meldete sich als erste. Sie ist wie viele Mitarbeiterinnen Jahrzehnte dabei gewesen.
Die Kurzfristigkeit, mit der sie und ihre Kolleginnen vom Aus für Schickentanz erfahren haben, findet Johanna unmöglich. „Einen Tag vorher Bescheid zu sagen, ist alles andere als ein respektvoller Umgang.“ Jetzt, wo eh alles vorbei ist, berichtet die Frau von den Dingen, die schon vorher alles andere als gut gelaufen seien.
Das Geld, das viel zu spät kommt
Da sei an allererster Stelle zunächst einmal das Thema Gehalt. „Wir haben eigentlich nie pünktlich unser Gehalt bekommen“, erzählt Johanna. Das Gehalt für Februar sei bei den meisten noch immer nicht da. Ein Vorwurf, den auch ihre Kolleginnen stützen.
„Wir mussten unserem Gehalt immer hinterherrennen“, sagt Romy, eine weitere Ex-Schickentanz-Mitarbeiterin. „Gar nichts haben wir bekommen, wenn wir nicht jedes Mal aufs Neue daran erinnert haben.“ Anstalten, sein Verhalten zu ändern, habe ihr Chef nicht gerade gezeigt: „Da kam dann ein mal der Kommentar: ‚Sie haben doch einen Mann.‘ Also da dachte ich wirklich, ich höre nicht richtig.“
Jenna Gerlinger ist Rechtsanwältin und betreibt eine Kanzlei in Dortmund-Mengede. Sie ist Expertin für Arbeitsrecht und erklärt: „Wenn im Arbeitsvertrag dazu nichts festgehalten ist, schreibt das Bürgergesetzbuch vor: Das Gehalt ist mit dem ersten Tag des Folgemonats fällig.“ Bei Schickentanz war das offenbar anders, erzählt die langjährige Verkäuferin Johanna: „Das war schon immer so, dass der Chef den Lohn erst Mitte oder Ende des Folgemonats geschickt hat.“

Die Transparenz, die keine ist
„Wir mussten immer kämpfen für unser Geld“, sagt auch Lisa. Was sie darüber hinaus erschüttert hat, sei die Kaltschnäuzigkeit ihres Chefs in der Woche vor der Schließung. „Wir haben uns am Freitag noch alle gewundert, dass wir für die kommende Woche nichts bestellt haben“, sagt Lisa.
Es habe schon in der Luft gelegen, dass irgendetwas in der kommenden Woche passieren würde, sagt Verkäuferin Stella, die in der Filiale in Dortmund-Huckarde tätig war. Von der Insolvenz am Montag (25.3.) wussten sie zu diesem Zeitpunkt aber noch nichts. „Als ich Herrn Schickentanz gefragt habe, warum wir nichts vorbestellen, da hat er erst nur sehr ausweichend geantwortet und dann ist er richtig wütend geworden“, erzählt die Verkäuferin.
Verkäuferin Romy, die am Samstag noch in der Filiale im Verkauf gearbeitet hat, habe ihren Chef am Samstag explizit danach gefragt, ob er den Laden schließe. „So ein Quatsch, wer erzählt denn sowas?“, habe sie als Antwort erhalten.
Der Mindestlohn, der keiner ist
Das Gehalt sei im Übrigen nicht nur spät gezahlt worden, es sei auch zu gering gewesen. Mehrere Mitarbeiterinnen hätten für einen Stundenlohn unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns gearbeitet. „Ich habe auf die Stunde gerechnet 11 Euro noch was verdient“, sagt Ex-Mitarbeiterin Johanna. „Ich musste bei Gericht einklagen, dass ich Mindestlohn verdiene.“
Romy sagt, sie wisse von Kolleginnen, die deshalb immer wieder Probleme mit ihren Vermietern hatten. „Die konnten ihre Miete immer wieder nicht bezahlen, weil das Gehalt einfach so oft nicht da war.“
Sie selbst habe ihrem Chef kurz vor der Schließung noch die Pistole auf die Brust gesetzt. „Kein Geld, keine Arbeit“, habe sie ihm gesagt. „Wenn ich mein Geld jetzt nicht bekomme, komme ich nicht mehr arbeiten.“ Das verdeutliche beispielhaft, wie die Kommunikation häufig abgelaufen sei. „Er dachte halt, er kann es mit uns machen“, sagt Romy.

Ihre Ex-Kollegin Lisa meint rückblickend auch selbstkritisch: „Wahrscheinlich haben wir uns zu viel gefallen lassen. Aber untereinander im Team haben wir uns immer so gut verstanden.“ Sonst wären sie wohl alle schon lange vor der Schließung freiwillig weg gewesen. „Was das späte Bezahlen angeht, fühlen wir uns nach Strich und Faden belogen“, sagt Lisa.
Gibt es eine Möglichkeit, jetzt noch an den fehlenden Lohn von Februar und März zu kommen? Fachanwältin Jenna Gerlinger erklärt, das Schickentanz-Insolvenzverfahren sei zunächst vorläufig: „Das heißt, der Insolvenzverwalter verschafft sich erst mal einen Überblick darüber, ob noch Geld da ist. Wenn sich im vorläufigen Verfahren herausstellt, dass die Filialen weitergeführt oder übernommen werden, haben die Mitarbeiterinnen Anspruch auf eine Insolvenzgeldvorfinanzierung.“ Die übernehme dann die Agentur für Arbeit.
Anderenfalls müssten Betroffene die Entscheidung des Gerichts darüber abwarten, ob das tatsächliche Insolvenzverfahren eröffnet wird. „Wenn das entschieden ist, haben die Mitarbeiterinnen Anspruch auf das klassische Insolvenzgeld.“ Lohn, der offen ist, also im Fall der Schickentanz-Beschäftigten das Gehalt von Februar und März, stellen laut Gerlinger dann eine Insolvenzforderung dar.
„Ich würde den Betroffenen also empfehlen, sich zum Insolvenzverfahren anzumelden. Die Formulare dazu bekommen sie beim Insolvenzverwalter.“ Das ist der Bekanntmachung über das Insolvenzverfahren zufolge der Dortmunder Rechtsanwalt Dr. Christoph Schulte-Kaubrügger.

„Das sollte man zügig tun“, rät Anwältin Jenna Gerlinger. „Man muss sich dann in die Insolvenztabelle eintragen und da gelten dann Fristen, die man nicht versäumen sollte.“ Wenn Ansprüche geltend gemacht werden könnten, würde man eher profitieren, je weiter oben man in der Tabelle steht.
Das frische Brot, das keines ist
Viele der Schickentanz-Verkäuferinnen ärgert, wie mit ihnen umgegangen wird. „Wir haben uns alles gefallen lassen, haben unser Geld nicht pünktlich bekommen und sollten dann, weil wir Personalmangel hatten, noch spontan einspringen“, berichtet Romy. „Wenn wir das nicht gemacht haben, dann war unser Chef schnell sauer.“

Die Frau des Geschäftsführers habe einige der Mitarbeiterinnen bei WhatsApp, worüber der Kontakt zu ihr und zum Vorgesetzten häufig gelaufen sei, blockiert. „Wir werden einfach stehen gelassen, haben ja fast keine Infos bekommen, was das Insolvenzverfahren jetzt für uns bedeutet“, beschwert sich Romy. Die Fachverkäuferin erzählt noch von weiteren Missständen in den Bäckerei-Filialen.
„Das war kein Wunder, dass viele Kunden nur ein Mal und dann meistens nie wieder gekommen sind“, sagt sie. So seien Backwaren wie Berliner oder Hefe-Teilchen teils deutlich länger angeboten worden als den Vorgaben entsprechend. „Ich habe es mehrfach erlebt, dass wir Verkäuferinnen Ware aussortiert haben und der Chef hat die dann wieder hervorgeholt und weiterverkauft“, so Romy. „Brot hat er zum Beispiel meistens montags gebacken. Das wurde dann aber die ganze Woche lang bis Sonntag verkauft.“
Die Bäckerei Schickentanz hat weder telefonisch noch per E-Mail auf unsere Anfragen und unseren schriftlichen Fragenkatalog reagiert.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 26. März 2024.