Rolf Greul mit wichtigen Andenken: Den alten Lederhelm fischte er einst aus einem Abfallcontainer, mit dem Stock kloppte er in 1000 Metern Tiefe Steine ab. © Foto: Schlehenkamp
Abschied vom Bergbau
Rolf Greuls Erinnerungen an Knochenmaloche über 35 Jahre
Er fuhr im Alter von 14 Jahren erstmals ein. Mit 20 war er Kolonnenführer. Heute ist Rolf Greul 61 Jahre alt. Zum 60. schenkte ihm seine Familie ein Sweatshirt mit spezieller Aufschrift.
von Abi Schlehenkamp
Castrop-Rauxel
, 23.10.2018 / Lesedauer: 4 minEr hat sich durchgebissen. Hat weggesteckt, dass er als junger Bengel zu hören bekam, er solle sich Rollschuhe unter die Füße schnallen. „Um schneller zu werden“, erinnert sich Rolf Greul. Er ist verdammt schnell geworden – auch ohne Rollschuhe. Mit gerade mal 20 Jahren war er schon Kolonnenführer unter Tage. Wie bei uns im Ruhrpott in ganz vielen Familien, ziehen sich der Bergbau und das „Malochen auffe Zeche“ als roter Faden durch die Lebensgeschichte mehrerer Generationen. Für unsere Zeitung hat Greul, heute 61, zurückgeblickt auf sein Leben von und mit der Kohle.
Greul ist ein echter Schweriner Junge
Er ist ein Schweriner Junge, geboren auf der Grimbergstraße im Schatten von Graf Schwerin. „Direkt neben der Zeche war der evangelische Kindergarten, in den ich ging“, erzählt Greul. Und mit der Mutter, die ihn aus dem Kindergarten abholte, holte er Vaters Lohntüte ab. Denn auch der Vater fuhr ein auf Graf Schwerin. Vater Heinz, aus Sachsen stammend, hatte auf dem Pütt Arbeit gefunden. Den Hammerschein des Vaters, ausgestellt vom Bergamt Castrop-Rauxel am 25. Januar 1957, hält Greul in Ehren. Wie den alten Lederhelm, den er einst aus einem Abfallcontainer fischte, oder den Stock, mit dem er in 1000 Metern Tiefe Steine beim Streckemachen abkloppte. Nachdem der Vater den begehrten Schein ausgestellt bekommen hatte, sei wohl Feierstunde der besonderen Art gewesen, meint Greul schmunzelnd. Er und sein Zwillingsbruder Joachim (Aki) waren am 30. September 1957 das Resultat. Er hatte es ein bisschen eiliger und kam eine halbe Stunde vor Aki zur Welt.
„Ich wollte jedenfalls schon als Knirps auch so eine Lohntüte haben“, sagt Greul. Mit 14 Jahren und sechs Monaten fährt er das erste Mal ein. Erst auf der Lernwerkstatt von Graf Schwerin, dann geht es zur Zeche Erin. Bis zum bitteren Ende, als im Dezember 1983 hier endgültig Schicht am Schacht war. Rolf wechselt zu Blumenthal, Aki zu Prosper Haniel, der Zeche im Revier, mit der in diesem Jahr die Geschichte des Bergbaus zu Ende geschrieben wird. Mit 50 macht Rolf Greul Schluss auf Auguste Victoria. „Da war man einfach kaputt“, sagt Greul. Die Knochenmaloche unter Tage über mehr als 35 Jahre habe ihren Tribut gefordert. Auch Aki ist längst Rentner.
Alle sieben Söhne gingen in den Bergbau
Sie sind zwei Jungen in einer Geschwisterschar von neun. Alle sieben Söhne von Heinz Greul und seiner Frau folgten dem Ruf des Bergbaus. „Aki und ich bis zum Ende“, sagt Greul, die anderen Brüder hätten später woanders Lohn und Arbeit bekommen. „Unter Tage tickt die Welt anders“, erzählt Greul, der im Schichtdienst malocht hat. Ohne Murren und Klagen. „Wir haben jeden Tag eine Tonne Eisen verbraucht“, sagt er. Drei Meter pro Schicht seien sie vorangekommen, wenn’s gut gelaufen ist.
Rolf Greul (l.) im Kreis von Kollegen unter Tage. © Tobias Weckenbrock
Zum 60. Geburtstag bekam er ein Sweatshirt von der Familie geschenkt. In silbernen Buchstaben steht auf schwarzem Grund „Grubenpony“. „Ich war so ein Grubenpony“, sagt Greul – auch ein bisschen wehmütig, aber im Einklang mit sich selbst. Hat er Schiss gehabt da unten? Niemals, sagt er im Brustton der Überzeugung. Er, der selber hautnah weiß von Kumpels, die ihr Leben unten verloren haben. „Aber in meiner Kolonne ist das nicht passiert“, sagt Greul.
Er selbst hatte mehrere Unfälle
Er selbst hatte mehrere Unfälle, Rippen gebrochen, den Kiefer auf beiden Seiten, die Hand, das Schienbein. „Fürs Rudern reicht das heute noch“, sagt er dankbar. Wassersport – ein Hobby, dem er heute noch nachgeht. Todesangst sei für ihn aber ein Fremdwort gewesen. „Weil mein Schöpfer immer neben mir stand“, sagt Greul und macht überhaupt keinen Hehl daraus, dass sein Vertrauen auf Gott ihm Kraft gab.
Und die anderen Jungs, mit denen er eingefahren ist? „Die Nationalität war uns nie wichtig“, sagt Greul. Kameradschaft sei das Zauberwort gewesen, das sie einte. Türken, Marokkaner, Polen, Jugoslawen: Egal, woher seine Kumpels stammten, sie hätten sich verständigen können. Vielleicht 50 Prozent seien der deutschen Sprache mächtig gewesen. „Wir hatten eine gemeinsame Aufgabe: Den Streb nach vorne zu bringen“, sagt der 61-Jährige. Und greift zur Pulle. „Der Durst ist geblieben“, sagt er. Fünf Liter Tee trinken am Tag – und zehn wieder ausgeschwitzt. Das Bütterchen und der Apfel, von seiner Frau Brigitte eingepackt, hätten auch dazu gehört.
„Das war schon mein Leben“
Rolf Greul lehnt sich zurück. „Das war schon mein Leben“, sagt er, der den Kontakt zu seinen Kumpels aus der IGBCE nicht aus den Augen verloren hat. Seit 1982 wohnt er mit seiner Familie in der ehemaligen Zechensiedlung unweit der Bergehalde auf Schwerin. Längst hat er mit seiner Frau Silberhochzeit gefeiert. 40 Jahre haben die beiden inzwischen geschafft. Sie sind Eltern von zwei Töchtern und dankbar über ihre Enkelkinder.
„Das ist mein Tagwerk hier“, sagt Rolf Greul. Und geht hinaus in den Garten. Wenn es ihm den Kopf kommt, geht er paddeln und frisst dabei Kilometer. Oder er fährt Rad. „Mein Leben ist in Ordnung“, sagt er. Und im Zweifelsfall wisse er eins: Er ist mit Gott und mit seinem eigenen Leben im Reinen.
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