„Banden- und gewerbsmäßiger Betrug“ LKA und Staatsanwaltschaft äußern sich nach Umwelt-Razzia

Großrazzia gegen 30 Beschuldigte läuft: Zusammenhang mit Bernemann-Ermittlungen
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  • In einer großen Aktion gegen Umweltkriminalität durchsuchten Ermittler in Nordrhein-Westfalen und auch im Kreis Recklinghausen Dutzende Objekte und Geschäftsräume.
  • Es geht um den Vorwurf der illegalen Entsorgung von kontaminiertem Erdreich und der Fälschung von Papieren und zertifikaten. Hauptverdächtig sind Transportunternehmen im Baustoffsektor und Unternehmen, die mit Abfallentsorgung befasst sind.
  • Vier Haftbefehle wurden in der jüngeren Vergangenheit vollstreckt, eine Summe in Höhe von 1,5 Millionen sichergestellt.
  • Die Firma Bernemann aus Datteln und Recklinghausen steht offenbar mit im Zentrum der Ermittlungen.

Update 17.55 Uhr: Drohne kreiste über Kiesgrube
Wie dreist teilweise vorgegangen wurde, zeigen Videoaufnahmen: Die Polizei Recklinghausen habe am vergangenen Samstag (29.3.) eine Drohne „über einer Kiesgrube im Westen kreisen lassen“, so Kriminaloberrat Thomas Virnich von der Vernetzungsstelle Umwelt im LKA. Zufällig sei dabei erfasst worden, wie sich mehrere Dutzend Sattelschlepper auf die Kiesgrube zubewegten und dann unmittelbar zwei Raupen auftauchten, um die Lkw-Ladungen zu verarbeiten. „Ich denke, die Bilder sind eindrucksvoll und machen deutlich, dass das kein geschäftsüblicher Betrieb ist an einem Samstag.“ Auf Nachfrage dieser Redaktion erklärt Staatsanwalt Alexander Kilimann, dass die Aufnahmen nicht zwangsläufig im Zuständigkeitsbereich der Polizei Recklinghausen gemacht worden sein müssen, da die Behörde als Teil der Ermittlungskommission „Boden NRW“ auch über die Präsidiumsgrenzen hinaus ermittelt.

Drohnenaufnahme der Polizei NRW von Bodenarbeiten mit Raupen in einer Sand- /Kiesgruppe
Die Polizei Recklinghausen hielt am Samstag (29.3.) verdächtige Vorgänge in einer Sand- bzw. Kiesgrube „im Westen“ mit einer Drohne fest. Weil das Präsidium Teil der Ermittlungskommission „Boden NRW“ ist, müssen die Bilder aber nicht zwangsläufig im originären Zuständigkeitsbereich der Behörde aufgenommen worden sein. © Polizei RE

Einen „Hauptbeschuldigten“ gibt es laut Kilimann nicht. Auf Antrag der Zentralstelle für die Verfolgung der Umweltkriminalität in NRW, so der Staatsanwalt, seien in den vergangenen Monaten gegen vier Beschuldigte Haftbefehle ergangen. „Ferner sind auf unseren Antrag hin mehrere Vermögensarreste erlassen worden.“ Damit hätten bereits im Ermittlungsverfahren rund 1,5 Millionen Euro gesichert werden können.

Update 16.40 Uhr: In einer gemeinsamen Pressemeldung der Zentralstelle für die Verfolgung der Umweltkriminalität in NRW (Staatsanwaltschaft Dortmund) und des Landeskriminalamtes NRW (LKA NRW) heißt es nun: „Die Maßnahmen richteten sich u. a. gegen Transportunternehmer im Baustoffsektor und Verantwortliche von Unternehmen, welche mit der Abfallentsorgung befasst sind.“ Diese stünden im Verdacht, belastete Böden angenommen und als vermeintlich unbelastet an verschiedenen Stellen, wie etwa im Tagebau Garzweiler, in weiteren Kies- und Sandgruben, aber auch auf Baustellen – teilweise ohne Kenntnis der Bauherren – illegal entsorgt zu haben: „Umfang und Grad der Belastung der entsorgten Böden sind Gegenstand der laufenden Ermittlungen.“

Die Beschuldigten stünden auch im Verdacht, „sich gefälschte und/oder inhaltlich unrichtige Wiege- und Lieferscheine verschafft zu haben“. Mit diesen Papieren sei Auftraggebern und Behörden eine ordnungsgemäße Entsorgung vorgetäuscht worden, um eine Abrechnung zu ermöglichen. „Ferner dienten sie dazu, den teilweise gutgläubigen Annahmestellen eine vermeintliche Unbedenklichkeit der angelieferten Böden nachzuweisen“, heißt es seitens Staatsanwaltschaft Dortmund und LKA NRW. Und weiter: „Soweit Annahmestellen und Behörden die Vorlage von Analysen über die Unbedenklichkeit der Böden verlangten, stehen die Beschuldigten im Verdacht, sich über jedenfalls einen mitbeschuldigten Probennehmer inhaltlich unrichtige oder gefälschte Bodenanalysen verschafft zu haben.“

Auch Mitarbeiter von Baufirmen, die den Beschuldigten Entsorgungsaufträge erteilt haben, stehen im Verdacht, an den Taten beteiligt zu sein und für die Auftragserteilung finanzielle und sächliche Vorteile erhalten zu haben: „Gegen die Tatbeteiligten besteht daher unter anderem der Verdacht von schwerwiegenden Umweltstraftaten, des banden- und gewerbsmäßigen Betruges sowie der Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr.“

Die Durchsuchungen am 3. September 2024 (Tagebau Garzweiler) und am 21. Januar 2025 (Wohn- und Geschäftsräume der Bernemann GmbH in Datteln und Recklinghausen) haben laut Staatsanwaltschaft und LKA Hinweise auf „umfangreiche Zusammenhänge zwischen den Tatkomplexen und organisierte Strukturen ergeben“.

In der Folge sind die bereits bestehenden Ermittlungskommissionen beim LKA NRW und dem Polizeipräsidium Recklinghausen personell aufgestockt und eine weitere Ermittlungskommission in der Kreispolizeibehörde Euskirchen eingerichtet worden. Die Vernetzungsstelle Umweltkriminalität des LKA NRW (VStUK) koordiniert den Ermittlungskomplex „Boden NRW“. Die Ermittlungen dauern - auch mit Blick auf etwaige weitere Tatbeteiligte - an.

Laut Medienberichten gab es auch in diesen Städten Durchsuchungen von Wohn- und Geschäftsräumen: Coesfeld, Wesel, Duisburg, Viersen, Heinsberg, Düren, Soest, Aachen, Ennepe-Ruhr-Kreis, Essen, Unna.

Update 15.03 Uhr: Innenminister Reul: „Haben an 39 Türen geklopft“
Bei einer Pressekonferenz in Düsseldorf informierten Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt über den Einsatz. Auch beteiligte Ministerien äußerten sich in der Wandelhalle des Landtags. Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) erklärte: „Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ist uns wichtig. Wir dürfen es nicht zulassen, dass hier Millionen ergaunert werden. Und wir müssen das Geld auf jeden Fall wieder zurückholen.“

Innenminister Herbert Reul (CDU) beschrieb, dass man gegen 6 Uhr am Morgen „an 39 Türen geklopft“ habe. Wohnungen und Geschäftsräume von Unternehmen seien angesteuert worden. Solche Straftaten gegen die Umwelt, in denen man hier ermittle, seien zwar im Bereich „stille Kriminalität“ anzusiedeln, aber nicht weniger gefährlich als Taten, die auf der Straße sichtbar werden. „Sich um dieses Thema kümmern heißt, sich um Zukunft kümmern“, sagte Reul.

Von Ilias Abawi, Sprecher von Emschergenossenschaft und Lippeverband (EGLV), ist zu erfahren: „Keine der EGLV-Baustellen, für die die Firma Bernemann zuständig ist, ist von der Razzia betroffen.“ Im Kreis Recklinghausen sei das aber tatsächlich allein die Baustelle am Dattelner Mühlenbach. Aber auch über die Kreis-Grenzen hinaus habe es keine Durchsuchungen bei Emschergenossenschaft und Lippeverband gegeben.

Vorwurf: teuer abgerechnet, billig verklappt

30 Beschuldigte sollen die Entsorgung teuer abgerechnet und die Böden dann billig verklappt haben, unter anderem auch im Tagebau Garzweiler. So seien über einen längeren Zeitraum Millionengewinne erwirtschaftet worden. Es gehe um Fälschung von Dokumenten in großem Stil und gewerbsmäßigen Betrug. Mit der Bekämpfung dieser Kriminalität sollten Gefahren für künftige Generationen abgewendet werden. „Das ist Umweltkriminalität in einem großen und organisierten Maßstab“, so Limbach. Das Landesumweltamt habe die Ermittlungen tatkräftig unterstützt.

Ein Radlader und ein Lkw stehen auf einer Freifläche.
Auch diese Kiesgrube in NRW wurde am Dienstag (1.4.) im Zuge einer groß angelegten Razzia durchsucht. Es geht um illegal entsorgte verseuchte Böden. © picture alliance/dpa

Neben den bereits bekannten Orten Bottrop, Castrop-Rauxel, Euskirchen, Krefeld und Recklinghausen seien auch in anderen Städten Objekte durchsucht worden, so Reul. An den Razzien beteiligt waren Angehörige des Landeskriminalamts, der Polizei NRW und der Zentralstelle für die Verfolgung der Umweltkriminalität in Dortmund. Die Beschuldigten stehen im Verdacht, als Teile eines organisierten kriminellen Netzwerks über einen längeren Zeitraum hinweg tonnenweise belastete Böden und Abfälle illegal entsorgt zu haben. Nach Angaben der Ermittler steht der Einsatz, der um 6 Uhr zeitgleich an verschiedenen Orten begann, im Zusammenhang mit Durchsuchungsbeschlüssen, die bereits im September 2024 in Grevenbroich, Jüchen, Krefeld und anderen Orten vollstreckt wurden.

Es geht aber auch um Durchsuchungen am 21. Januar 2025 in Datteln und Recklinghausen. Und die betreffen das Dattelner Unternehmen Bernemannn. In diesem Verfahren wird gegen Thomas Bernemann, seinen 24-jährigen Sohn sowie vier weitere Beschuldigte ermittelt. Die im Baustoffsektor tätigen Beschuldigten sollen mehrere tausend Lieferdokumente von Entsorgungsbetrieben gefälscht haben. Den Kunden sei mit gefälschten Belegen die ordnungsgemäße Entsorgung vorgespiegelt und hoch in Rechnung gestellt worden.

So berichtete diese Redaktion bislang:

Seit dem frühen Dienstagmorgen (1.4.) Morgen läuft eine umfangreiche Razzia in NRW. Der Grund für die Durchsuchungsaktionen bei 30 Verdächtigen in Recklinghausen, Castrop-Rauxel, Bottrop, Krefeld und Euskirchen: Verdacht auf schwere Umweltvergehen. Über 300 Einsatzkräfte von Polizei und Staatsanwaltschaft sind seit 6 Uhr im Einsatz, um mehr als 50 Durchsuchungsbefehle zu vollstrecken.

Der Firma Bernemann wird vorgeworfen, Tausende Tonnen asbestbelasteten Boden illegal entsorgt zu haben. Bei dem Einsatz am Dienstag gehe es laut einer Sprecherin des Landeskriminalamtes (LKA) um illegale Entsorgungen und ein organisiertes Vorgehen zu Lasten der Umwelt. Die Verdächtigen werden beschuldigt, „als Mitglieder eines organisierten kriminellen Netzwerks über längere Zeit tonnenweise kontaminiertes Erdreich und Abfälle illegal entsorgt zu haben“.

Die kontaminierten Böden sollen in Kiesgruben, auf ehemaligen Zechengeländen und im Tagebau Garzweiler deponiert worden sein. Es besteht eine Verbindung zu Durchsuchungen, die im September 2024 und Januar 2025 stattfanden, so das LKA.

Die Beschuldigten, allesamt im Baustoffgewerbe tätig, sollen tausende Lieferdokumente von Entsorgungsbetrieben gefälscht haben. Ihnen habe man so eine ordnungsgemäße Entsorgung nachgewiesen und sie entsprechend abgerechnet.