Eines ist sicher: An Selbstbewusstsein mangelt es Dr. Anna Leonore Labitzke Rathert nicht. Auf die Frage, ob sie davon ausgeht, am 23. Februar den Einzug in den Bundestag zu schaffen, platzt es aus ihr heraus: „Natürlich.“ Und tatsächlich: Platz 11 auf der Liste der NRW-AfD könnte ein solides Polster für eine Dauerkarte in Berlin sein. Und so darf die Recklinghäuserin, die für ihre Partei im Wahlkreis Recklinghausen I antritt, der die Städte Recklinghausen, Castrop-Rauxel und Waltrop umfasst, gewissermaßen als Shooting Star in der lokalen Politszene gelten. Doch wer ist Dr. Anna Rathert, wie sie sich auch selbst verkürzt nennt, überhaupt?
Sicher ist, dass sie mit ihrem fast schon kosmopolitischen Lebenslauf so gar nicht unbedingt ins klassische AfD-Klischee passt. Ihre Eltern stammen aus der ehemaligen DDR, wo ihre Mutter Anfang der 70er-Jahre im Stasi-Gefängnis in Berlin-Schönhausen gesessen hat. Mit West-Devisen wurden diese freigekauft, über Münster, wo Anna Rathert 1977 geboren wurde, ging es 1982 schließlich nach Recklinghausen, wo Vater und Mutter Labitzke fortan als Apotheker und Kinderärztin arbeiteten.

Erst in die USA, dann in die Normandie
Vor dem Abitur auf dem Hittorf-Gymnasium schob Anna Rathert noch ein Schuljahr im Nordwesten der USA, in Seattle, ein („Und das habe ich geliebt“), danach folgte der Beginn eines Auslandsstudiums im französische Rouen, in der Normandie: Geschichte, Psychologie und Politik. Als sie sich dann jedoch mit der französischen Revolution beschäftigte, wuchs in ihr nach eigenen Angaben der Wunsch, Jura zu studieren – und das machte sie dann auch in Münster. 2003 schloss sie ab, 2009 promovierte sie.
In Berlin lernte sie schließlich ihren späteren Mann kennen, einen US-Bürger, der ihr den Namen Rathert bescherte. Über die Schweiz ging es nach Baden-Württemberg und irgendwann zurück nach Recklinghausen-Speckhorn, wo sie bis heute mit ihrem Mann, zwei Söhnen und einer Tochter lebt. Und all’ das sorgt dafür, dass Dr. Anna Rathert, die der AfD fast seit deren Gründung im Jahr 2013 angehört, sich im persönlichen Kontakt als freundliche und eloquente Gesprächspartnerin entpuppt.

Doch sie kann auch ganz anders, wie sie Anfang Januar mit einer Rede auf dem AfD-Landesparteitag beweist. Mit Inbrunst entwirft sie da ein tief-düsteres Deutschland-Bild („Trümmerhaufen“), sie bescheinigt den deutschen Frauen, dass sie den „Blutzoll für die verbrecherische Migrationspolitik zahlen“, und den Deutschen ganz allgemein, nur noch „ein Volk von Gejagten im eigenen Land“ zu sein. Auf die Frage, ob das die nötige Schärfe ist, die es AfD-intern braucht, antwortet sie schulterzuckend: „Man hat da eben nur sieben Minuten Redezeit.“ In denen es das Parteivolk zu überzeugen gilt.
Dr. Anna Rathert macht keinen Hehl daraus, dass sie ihr deutsches Vaterland liebt, für das sie „kämpfen will, um die Kontrolle wiederzuerlangen, die den Herrschenden entgleitet.“ Und sie bekennt, dass sie Donald Trump als gelungene Blaupause für eine grundsolide Zukunft hält. Mach’ Deutschland wieder groß, sagt sie nicht ausdrücklich, aber sie denkt es im Trumpschen Sinne.
Doch wie ist das mit der Nähe zum ultrarechten Gedankengut, die ihr immer mal wieder unterstellt wird? Die Frage „Sind sie ein Nazi, Frau Rathert?“ lässt sie geradezu empört hochfahren: „Das ist doch Quatsch, was ist denn das überhaupt? Wir sagen allen, die in der AfD Sympathien für das Dritte Reich haben, dass sie zur NPD oder sonst wohin gehen sollen. ,Ihr werdet euch hier nicht wiederfinden‘, erkläre ich denen.“ Und überhaupt sei das Szenario, dass die AfD eine ähnliche Rolle spiele wie die NSDAP im Jahre 1933, nicht weniger als „Geschichtsrelativierung“: „So verharmlost man den Nationalsozialismus.“
Bekannt ist allerdings obendrein, dass sie zu Björn Höcke und Matthias Helferich, die selbst in der AfD umstritten sind, recht gute Beziehungen pflegt, und dazu steht Anna Rathert auch: Höcke hatte sie 2024 auf einem Bundesparteitag ohne Erfolg für das Amt der obersten Parteirichterin vorgeschlagen, „was ich jedoch gar nicht gewollt habe“, doch nach einer intensiven Unterredung mit diesem sei ihr klar geworden, „dass sich unsere Standpunkte zum Beispiel in Staatsbürgerschaftsfragen durchaus decken.“ Was bedeutet: „Auch Menschen aus Botswana oder dem Sudan könnten dazugehören.“ Und „der geschätzte Parteikollege“ Helferich sei eben jemand, der „very outspoken, also sehr offenherzig ist“. Dass er sich mal als das „freundliche Gesicht des Nationalsozialismus“ bezeichnet habe, bestreitet sie: „Das war eine Intrige eines ehemaligen Parteifreunds, Helferich hatte lediglich ein Fremdzitat wiederholt.“
„Friedrich Merz ist doch nur eine Raubkopie“
Dass die AfD-Frau ihre natürlichen Feinde vorrangig im rot-grünen Lager sieht, versteht sich von selbst, aber Anna Rathert lässt auch keinen Zweifel daran, was sie vom „Umfaller“ Friedrich Merz hält. Der CDU-Kandidat schreibe nur bei der AfD ab, er sei gewissermaßen eine „Raubkopie“: „Was er vorhat, kann er nur mit uns machen, aber er ziert sich ja wie ein junges Mädchen.“ Wenig überraschend sieht sie Deutschland in Sachen Migration als Selbstbedienungsladen, „dabei müssen einfach nur bestehende Gesetze umgesetzt und Grenzen eingehalten werden.“
Wer die Anwältin, die für die Rechtsabteilung der AfD-Bundestagsfraktion tätig ist, wählt, muss wissen, dass er Anna Rathert nur als Gesamtpaket bekommt. Und diese betrachtet die EU „als zentralistischen Staatenbund mit Demokratiedefiziten“, der so keinen Sinn ergebe: „Mehr Europa, weniger EU“, formuliert sie als Motto. Auch die NATO betrachtet sie mit einiger Skepsis, und den Ukraine-Krieg würde sie mit Verhandlungen beenden, Waffenlieferungen an Kiew wären fortan ausgeschlossen. Was bedeutet: Wolodymyr Selenskyj würde sicher nicht für Rathert stimmen.
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