Leben im Problem-Straßenzug hinterm Hauptbahnhof Anwohner in Angst – Grill neben Benzinkanister

Leben im Problem-Straßenzug: Anwohner in Angst – Grill neben Benzinkanister
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Der Abriss des Gebäudes am Kreisverkehr Schwarzer Weg / Von-Hofmann-Straße ist für viele Castrop-Rauxeler mit einem Gefühl von Nostalgie verbunden. Einige äußerten ihre Wehmut, weil ihr Kindergarten oder ihr Klöckner-Ferromatik-Standort in dieser Woche dem Erdboden gleichgemacht wurde. Für andere ist es der Anfang eines Wandels, mit dem sie viele Hoffnungen verbinden. Denn die Wartburgstraße, die hier vom Hauptbahnhof aus in Richtung Habinghorst verläuft, ist in diesem Nahraum ein Bereich, der zu den schwierigsten Ecken Castrop-Rauxels zählt.

Nicht erst seit der Massen-Schlägerei von 2023, die genau in diesem Abschnitt des Straßenzuges zwischen Schwarzer Weg und Dornbachstraße ihren Schauplatz hatte, ist allgemein bekannt: Hier gibt es soziale Verwerfungen und Probleme. Die Bausubstanz der Gebäude von außen ist nur ein Indiz. Hinter manch einer Mauer und in manch einem Hinterhof soll es zum Teil roh, zum Teil ungemütlich zugehen.

Die Wartburgstraße ist rund um den Kreisel Schwarzer Weg als schwierige Gegend bekannt.
Die Wartburgstraße ist rund um den Kreisel Schwarzer Weg als schwierige Gegend bekannt. © Tobias Weckenbrock (2023)

Nach unserem Bericht über als Müllbehälter genutzte Einkaufswagen, über Unrat bis hin zu Menschenkot in Gärten und auf Gehwegen und über Ratten, die sich darin vergnügen oder versorgen, meldeten sich gleich mehrere Castrop-Rauxeler zu Wort. Zum Teil anonym, denn sie haben Sorgen und Ängste.

„Wir möchten uns herzlich bei Ihnen bedanken, dass Sie in Ihrem Artikel vom 9.12.2024 die unhaltbaren Zustände in der Wartburgstraße thematisiert haben“, schreiben Anwohner in einer ausführlichen E-Mail. „Die Zustände vor Ort sind erschreckend und belasten uns täglich.“ Dann schildern sie, was sie Tag für Tag beobachten: „Überall liegen Müll und stehen Schrottautos herum. Altöl und andere Schadstoffe werden unsachgemäß entsorgt. Müllberge ziehen Ratten an, die sich immer weiter vermehren und eine Bedrohung für die Gesundheit darstellen.“

„Viele fühlen sich nicht mehr sicher“

Doch nicht nur die Umweltverschmutzung mache den Anwohnern Angst. „An der Wartburgstraße erleben wir tagtäglich eine erschreckende Zunahme von Kriminalität. Es kommt zu Bedrohungen, Diebstählen und gewaltsamen Auseinandersetzungen. Viele von uns fühlen sich nicht mehr sicher, wenn sie vor die Tür gehen.“

Besonders beunruhigend sei für sie eine private Kameraüberwachung an einem bestimmten Haus. „Wir haben keine Ahnung, wer da die Straße überwacht. Es könnte sich um Kriminelle handeln. Da auch immer wieder eingebrochen wird, sind wir verunsichert.“ Sie vermieden den Bereich nördlich vom Hauptbahnhof, so gut es gehe. Eine Nachbarin sei vor kurzem angegriffen worden, als sie mit ihrem Hund spazieren gegangen sei. Später seien dann Personen bei ihr am Haus aufgetaucht. „Wir haben das aus unserem Fenster beobachtet und die Polizei gerufen. Da waren die Personen aber bereits verschwunden.“

Dieses Mehrfamilienhaus an der Wartburgstraße war im Herbst 2023 in einem so gefährlichen Zustand, dass die Bauordnung (hier Leiter Philipp Röhnert) unter Personenschutz und mit Fachleuten von Westnetz das Gebäude inspizierte.
Dieses Mehrfamilienhaus an der Wartburgstraße war im Herbst 2023 in einem so gefährlichen Zustand, dass die Bauordnung (hier Leiter Philipp Röhnert) unter Personenschutz und mit Fachleuten von Westnetz das Gebäude inspizierte. © Tobias (2023)

Ramona Hörst, Leiterin der Pressestelle der Polizei, bestätigt, dass man seit der Tumultlage im vergangenen Jahr besonders auf diesen Straßenzug schaue und da in enger Zusammenarbeit und gutem Austausch mit der Ordnungsbehörde, der Stadt Castrop-Rauxel, stehe. Man habe inzwischen nicht einmal annähernd die Lage, die dort 2023 herrschte. „Aber nach wie vor ist das Thema noch präsent“, so Hörst in Bezug auf die Massenschlägerei zweier Großfamilien, die bundesweit Schlagzeilen machte. Die Kollegen aus Castrop-Rauxel seien da regelmäßig unterwegs. „Es ist nach wie vor im verstärkten Blickfeld.“ Bei der vermeintlichen Überwachungskamera könne es sich auch um eine Attrappe handeln.

Die Anwohner teilen uns genau das auch mit: „Wir haben mit der Polizei gesprochen. Von dort hieß es nur: „Das ist uns bekannt.‘“ Eine unbefriedigende Antwort. „Wir sind verzweifelt und wissen nicht mehr weiter. Die Zustände werden von Tag zu Tag schlimmer. Wir fühlen uns von den zuständigen Behörden und der Stadt im Stich gelassen.“

Eine Massenschlägerei sorgte am 15.6.2023 ab 17.45 Uhr für einen Großeinsatz mit rund 100 Polizei- und Rettungskräften an der Wartburgstraße in Castrop-Rauxel.
Eine Massenschlägerei sorgte am 15.6.2023 ab 17.45 Uhr für einen Großeinsatz mit rund 100 Polizei- und Rettungskräften an der Wartburgstraße in Castrop-Rauxel. © Tobias Weckenbrock (2023)

Erstatte man eine Strafanzeige, werde sie direkt oder später im Verfahren eingestellt. „Bitte bleiben Sie an diesem Thema dran und helfen Sie dabei, Aufmerksamkeit auf diese Missstände zu lenken“, so die Anwohner gegenüber unserer Redaktion. „Ihre Berichterstattung gibt uns Hoffnung, dass sich endlich etwas ändern könnte.“

Da könnte auch der Abriss ein Silberstreif am Horizont sein. Außer dem Eckgebäude, das aktuell verschwindet, sollen auch Haus Bladenhorst und das Nachbarhaus direkt hinterm Hauptbahnhofs-Nordausgang verschwinden. Der Investor C+M-Holding aus Dortmund kündigte Neubauten an: Mehrfamilienhäuser für Single- und Seniorenwohnungen, die vielleicht für einen Verdrängungseffekt sorgen könnten.

Vermüllung und Bedrohung

„Wir haben vor über 30 Jahren dort gekauft“, schildern die Anwohner. „Verkaufen wäre möglich, aber die Preise sind in dieser Lage nicht gut. Auch eine Vermietung ist nicht möglich, wir haben es versucht. Nach einer schlimmen Erfahrung mit ausstehenden Mietzahlungen und einer völlig zerstörten Wohnung haben wir es aufgegeben.“ Sie hätten kein Geld, um die kleine Wohnung zu renovieren und Anwaltskosten zu tragen, um Mieten einzuklagen.

Auch ein Vertrauter mit den Eigentumsverhältnissen und Insider in diesem Straßenzug meldete sich unabhängig von den Anwohnern zu Wort: Es gebe Bedrohungen, wenn man Missstände wie Vermüllung anspreche oder dem Umweltamt melde. Mieter grillten im Sommer direkt neben Benzinkanistern, ein Eigentümer-Ehepaar würde sich nicht um brennbares Material und Altreifen kümmern, die einfach in den Höfen gelagert würden. Einige Wohnungen seien aufgrund ihres Zustandes kaum oder gar zu vermieten. Einige Mieter seien trotz rückständiger Zahlungen kaum herauszubekommen.

Die Fassaden der Altbauten sind zum Teil stuckverziert. Aber in den Gebäuden sind die baulichen Zustände zum Teil prekär.
Die Fassaden der Altbauten sind zum Teil stuckverziert. Aber in den Gebäuden sind die baulichen Zustände zum Teil prekär. © Tobias Weckenbrock (2023)

Im Oktober 2023 stand eines der Häuser ganz kurz vor einer behördlich verordneten Trennung vom Stromnetz. Der Eigentümer selbst meldete damals unserer Redaktion, dass es Probleme mit der Bauordnung der Stadt gebe. Beim Vor-Ort-Termin stellte sich heraus, dass seine eigene Immobilie das Problem ist: Bauordnungs-Chef Philipp Röhnert mit Mitarbeitern des Ordnungsdienstes, Polizisten und die Firma Westnetz waren vor Ort. Im Hausflur verliefen offene Leitungen. Sogar von Lebensgefahr für die Bewohner, darunter auch kleine Kinder, war vor Ort die Rede.

Bei der Massenschlägerei im Juni 2023 stießen genau hier zwei Großfamilien aufeinander. Einige schlugen mit Eisenstäben und Holzstangen aufeinander ein. Viele Schläger reisten extra an. Aber den Ursprung nahm die Auseinandersetzung unter Familien in einem der Häuser, die für viele Castrop-Rauxeler schon länger als berüchtigt gelten.

Die Zustände im Bereich der Wartburgstraße sind zum Teil prekär. Von wann die Aufnahmen sind, ist unbekannt. Doch Anwohner berichten immer wieder über Müll und unhaltbare Zustände.
Die Zustände im Bereich der Wartburgstraße sind zum Teil prekär. Von wann die Aufnahmen sind, ist unbekannt. Doch Anwohner berichten immer wieder über Müll und unhaltbare Zustände. © privat

Problemviertel habe man in Castrop-Rauxel nicht, sagte Bürgermeister Rajko Kravanja Tage nach der Massenschlägerei in einem WDR-Interview. Präzisierend ergänzte er Monate später, dass es „Problemstraßen oder Teile von Straßen“ gebe. Und auf die Wartburgstraße bezogen: „Natürlich ist der Bereich um den Bahnhof sehr kritisch.“

Die Hoffnung, dass die Eigentumsverhältnisse sich an einigen Stellen verändert haben und Neubauten entstehen, steht im Raum. Diese Entwicklung könnte die Gegend langfristig aufwerten. Eine aktuelle Stellungnahme zu den Hinweisen der Anwohner und der allgemeinen Entwicklung an dieser Stelle von Seiten der Stadtverwaltung steht aus.

Kapitel 1 für Serien-Abriss entlang der Wartburgstraße: Erstes geschichtsträchtiges Haus fällt