
Mitarbeiterin Renate Ulrich und Inhaber Jörg Binder arbeiten gemeinsam im Geschäft Möbel und Mehr. Sie wollen eines Tages auch gemeinsam aufhören. © Lydia Heuser
Castrop-Rauxeler Einzelhändler findet weder Personal noch Nachfolger
Einzelhandel
Jörg Binder sucht keine Fachkräfte, sondern Menschen, die anpacken können. Trotzdem findet er niemanden. Der Castrop-Rauxeler Einzelhändler trifft mitunter ungewöhnliche Personalentscheidungen.
Für Jörg Binder (59) ist es nicht einfach, geeignetes Personal zu finden. Dabei versucht er viel, um Angestellte zu gewinnen und auch denen eine Chance zu geben, die anderswo vielleicht nicht eingestellt werden würden.
Einer Aushilfe zahlt Jörg Binder nun sogar den Führerschein. „Um ihn an uns zu binden“, sagt er. „Die Auftragslage ist ja da, aber wir finden keine Leute.“ Auch das Arbeitsamt habe keine passenden Bewerber für ihn.
Dabei braucht man für die Tätigkeit, die man als Aushilfe oder Vollzeitkraft ausüben würde, kein Abitur oder einen Studienabschluss. Die Leute, die Binder sucht, müssen anpacken können. Und „vom gleichen Schlag sein“, wie der 59-Jährige sich ausdrückt.
Seit 20 Jahren betreibt er das Geschäft Möbel und Mehr an der Langen Straße in Habinghorst. Eigentlich ein Büro mit zusätzlicher Stellfläche, meint Jörg Binder. Denn bei ihm gibt es Möbel, Porzellan, Gläser und Elektrogeräte aus Haushaltsauflösungen.
Renate Ulrich (67) unterstützt Jörg Binder im Geschäft. Vor etwa acht Jahren, mit 59 Jahren, hat sie bei Möbel und Mehr angefangen. Die Entscheidung, einer Frau mit viel Berufs- und Lebenserfahrung eine Chance zu geben, fiel Jörg Binder leicht: „Ich wollte älteres Personal.“

Renate Ulrich (67) will zusammen mit ihrem Chef aufhören. © Lydia Heuser
Er hat die Erfahrung gemacht, dass Menschen mit Berufserfahrung mehr Wert auf Pünktlichkeit und Sauberkeit legen. Und Renate Ulrich komme bei den Kunden gut an.
Viele der Menschen, die am Montagmittag (8.8.) ins Geschäft kommen, kennt sie persönlich. Da wird kondoliert, weil ein nahes Familienmitglied gestorben ist und die Beerdigung organisiert werden muss oder nach dem Verbleib von Stammkunden gefragt.
Arbeitsplatz an der Langen Straße: Das war keine Wunschvorstellung
Renate Ulrich regelt im Geschäft unter anderem, wo die Sachen hinkommen, die von den Haushaltsauflösungen hergebracht werden. Früher war sie Sekretärin in der Personalabteilung eines großen Telekommunikationsunternehmens. Kurz vor der Rente, mit 59 Jahren, wurde ihr gekündigt, sie quasi wegrationalisiert.

Antike Schränke, Vasen, Regale: Jörg Binder verkauft und liefert unterschiedlichste Möbelstücke. © Lydia Heuser
„Das erste Jahr war wie Urlaub“, sagt sie. „Aber als dann der Garten fertig und das Haus auf Vordermann gebracht war, wurde mir langweilig.“ Ihr Mann entdeckte die Stellenanzeige von Jörg Binder in der Zeitung.
Dass ihr zukünftiger Arbeitsplatz vielleicht an der Langen Straßen liegen würde, begeisterte die damals 59-Jährige nicht. Das hat sich in den Jahren aber komplett gewandelt. Heut geht Renate Ulrich sogar so weit und sagt, dass sie erst aufhören wird, zu arbeiten, wenn auch Jörg Binder geht. „Wir schmeißen die Schlüssel zusammen weg.“
Kein Nachfolger in Sicht
Jörg Binder müsste dazu aber erstmal einen Nachfolger finden und das gestaltet sich noch schwieriger, als Mitarbeiter für die Entrümpelungen von Wohnungen, Möbellieferungen und den Aufbau von Küchen zu akquirieren.
„Ich könnte locker noch vier, fünf Jahre machen“, sagt Jörg Binder mit Blick auf seinen Ruhestand. „Denk auch an mich“, wirft Renate Ulrich ein. Beide lachen. Zwar arbeitet sie nur als Aushilfe für ein paar Stunden in der Woche, trotzdem will sie wohl nicht bis über ihr 70. Lebensjahr hinaus arbeiten.
Renate Ulrich und Jörg Binder haben sich die Arbeitszeiten im Geschäft nun neu aufgeteilt, eine zusätzliche Aushilfe hat sich beruflich nämlich verändert. Wie viele Läden hat „Möbel und Mehr“ die Öffnungszeiten verkürzt: Der Laden ist montags bis freitags von 10 bis 15 Uhr geöffnet. Ausnahme ist der Mittwoch, wenn das Geschäft um 13 Uhr schließt. „Wir sind aber flexibel“, sagt die 67-Jährige, „wenn jemand am Samstag gucken will, machen wir das nach vorheriger Terminabsprache auch möglich.“
Geboren und aufgewachsen im Bergischen Land, fürs Studium ins Rheinland gezogen und schließlich das Ruhrgebiet lieben gelernt. Meine ersten journalistischen Schritte ging ich beim Remscheider General-Anzeiger als junge Studentin. Meine Wahlheimat Ruhrgebiet habe ich als freie Mitarbeiterin der WAZ schätzen gelernt. Das Ruhrgebiet erkunde ich am liebsten mit dem Rennrad oder als Reporterin.
