„Wir können als Gesellschaft mehr machen“ Murat Vural kämpft für Chancengleichheit

Von Laura Grasböck
Murat Vural zum Thema Chancengleichheit: Gesellschaft ist gefordert
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Politik-Prominenz war zu Gast in Castrop-Rauxel. Oliver Kaczmarek, Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion für Bildung und Forschung, folgte am Mittwoch (21.8.) der Einladung Frank Schwabes. Der Besuch aus Berlin stand ganz im Zeichen der Bildungsgerechtigkeit. Seit dem 1. August läuft das Startchancenprogramm des Bundestags, innerhalb dessen alleine in NRW knapp 900 Schulen gefördert werden.

Passend dazu besuchten Frank Schwabe und Oliver Kaczmarek das Chancenwerk in Castrop-Rauxel. Im Gespräch erzählte Geschäftsführer Murat Vural über die Hintergründe des Vereins und seine Ansichten zum Thema Chancengleichheit in der Schule und dem Startchancenprogramm.

Im Rahmen des Fördervereins entstanden auch die Chancenschulen - wo benachteiligte Schüler spezielle Förderung bekommen können.
Im Rahmen des Fördervereins entstanden auch die Chancenschulen - wo benachteiligte Schüler spezielle Förderung bekommen können. © Felix Püschner

Inwiefern ist Chancengleichheit möglich?

„Man muss davon ausgehen, dass es immer Verlierer eines Systems geben wird. Die Frage ist, wie man das minimieren kann“, so Murat Vural. Mit seinem Verein arbeitet er seit zwanzig Jahren an dieser Minimierung. Seiner Ansicht nach könne man nicht von Chancengleichheit sprechen, wenn Kinder ein bestimmtes Fach nicht verstehen, „weil niemand ausreichend Zeit investiert hat.“ Zu oft würden solche Fälle zu schnell abgestempelt und es werde nicht genug getan.

Dabei ist Chancengleichheit so wichtig für eine Gesellschaft, so betonte er gegenüber seinen Gästen. Wenn Kinder und Jugendliche nicht das Gefühl hätten, gleich behandelt zu werden, habe dies Auswirkungen auf ihr späteres Leben. Einige könnten das Gefühl entwickeln, andere hätten mehr erreicht, da diese bessere Voraussetzungen hätten. „Dieses Gefühl, nicht gleich zu sein, nicht gleichberechtigt behandelt zu werden, führt zu Frust.“

Vural betont allerdings auch, dass es nicht so einfach ist, diese Chancengleichheit zu erreichen und Frust zu vermeiden: „Meine Botschaft ist, dass diese großen Systeme kompliziert sind.“ Gerade deshalb sei es beinahe unmöglich, eine vollständige Chancengleichheit zu erreichen. „Menschen, die individuell sind, in großen Systemen alle gleichberechtigt zu behandeln, ist nicht einfach, aber das oberste Ziel“ – auf dieses Ziel arbeiten die Geschwister Murat Vural und Serife Mural-Banik bereits seit Jahren hin. „Ich denke, wir können viel mehr machen als Gesellschaft“, es gäbe immer noch zu viele Parameter, die nicht bearbeitet würden.

Startchancenprogramm

Das Startchancenprogramm des Bundes soll nun über zehn Jahre für eine Minimierung der Ungleichheiten sorgen. Die Bildungsgerechtigkeit soll mit diesem Programm ebenso gefördert werden wie es der Verein Chancenwerk will – wohl einer der gemeinsamen Interessen des Geschäftsführers und der beiden Politiker, Schwabe und Kaczmarek.

Das Startchancen-Programm unterstützt gezielt Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler. Dafür investieren Bund und Länder zusammen rund 20 Milliarden Euro in zehn Jahren.

Murat Vural hatte sich über den Besuch sehr gefreut, mit seinen Gästen über genau diese Interessen zu reden und darüber, dass man an seinen Verein gedacht habe. „Dieser Austausch kann nur positiv sein“, glaubt Vural. Es sei stets hilfreich, die Meinungen der anderen anzuhören und gegebenenfalls darüber zu diskutieren.

Das Startchancenprogramm sei eine durchdachte Idee und ein Schritt in die richtige Richtung, meint der Gründer des Chancenwerks, fügt allerdings hinzu: „Eine Idee ist das eine und die Idee umzusetzen und vernünftige Ergebnisse zu erzielen, ist etwas anderes.“

Schließlich sei es nicht damit getan, ein Konzept auszuarbeiten und zehn Jahre laufen zu lassen, erklärt Murat Vural. „Man muss Flexibilität bringen und hohe Entscheidungsgeschwindigkeiten, um nicht einfach stehenzubleiben“, fasst er zusammen. Es müsse immer wieder auf die Rückmeldungen und Erfolge geachtet werden, damit innerhalb der zehn Jahre das Konzept angepasst und Fortschritte gemacht werden könnten. Auch das gab er dem Besuch aus Berlin auf den Weg.

„Bruder, wir müssen etwas tun“

Im Jahr 2004 gründeten die Geschwister Murat Vural und Serife Mural-Banik den Verein „Chancenwerk“. „Das ist schon lange her“, sagt der Geschäftsführer lachend, aber er erinnert sich heute noch an diesen prägenden Moment vor zwanzig Jahren, als seine Schwester sagte „Bruder, wir müssen etwas tun“. Eigentlich hatte Murat Vural gerade seine Promotion als Elektroingenieur angefangen. „Sie hat mich sehr sensibilisiert“, erklärt er über die Wirkung des Anrufs seiner Schwester. Was folgte, war die Initiative zu helfen und auch der Spaß daran.

Was mit Nachhilfe begann, entwickelte sich 2006 zur Lernkaskade. Bei diesem Konzept helfen ältere Schülerinnen und Schüler den jüngeren. Innerhalb der zwei Jahre stellten die Geschwister fest, dass die Kinder und Jugendliche, denen sie geholfen hatten, von sich aus den anderen helfen wollten – und so entstand mit der Lernkaskade ein passendes Konzept.