Als Reporterin lerne ich beinahe täglich neue Menschen kennen. Sie erzählen mir ihre Geschichten, ich schreibe sie auf. So der Reporteralltag. Zum Reporteralltag gehört es aber auch, dass sich Pläne anders entwickeln als gedacht. So war es auch bei einem Termin im Oktober.
Die 54-Jährige nutzt die Räume für ihren Beruf als Familientrauerbegleiterin. Ihr Mann hat im hinteren Bereich Trainingsgeräte aufgebaut, um dort Personal-Training anzubieten.
Martina Hosse-Dolega ist gelernte Friseurin, das erzählte sie bei dem Treffen. Warum sie diesen Job aufgab und Trauerbegleiterin wurde, das war die Geschichte, die mindestens genauso erzählenswert war, wie die Neueröffnung, deretwegen ich eigentlich im Studio war.
Die Schicksalsschläge, die die Castrop-Rauxelerin hinnehmen musste, sind mehr, als man in einem einzigen Leben ertragen sollte. Martina Hosse-Dolega ist dreifache Mutter, aber ihre Kinder lebten alle nicht lange, starben kurz nach der Geburt. Kaum vorstellbar, wie groß die Trauer sein muss und wie schwer solche Verluste wiegen.

Mit solchen Erlebnissen umzugehen, ist für manch einen unlösbar. Martina Hosse-Dolega hat die schweren Lebenseinschnitte aber zu etwas Gutem umgemünzt.
Ihre eigenen Erfahrungen mit Tod und Trauer helfen ihr heute in ihrem Beruf. Sie hilft Familien, wenn schwere Krankheiten, wenn Sterben und Abschiednehmen plötzlich in den Alltag brechen. Sie hilft Familien, die letzte gemeinsame Zeit mit schönen Erlebnissen zu verbringen, um Erinnerungen zu sammeln. Erinnerungen, die positiv sind. Erinnerungen, die in der Zeit „danach“ ein Anker sind.
Martina Hosse-Dolega ist bei Familienausflügen zur Alpaka-Farm oder im Hospiz dabei. Sie macht Fotos an diesen Tagen, den letzten besonderen Momenten einer Familie, die bald nicht mehr komplett sein wird. Wo Vater, Mutter oder Kind bald nicht mehr da sein werden. Denn oft kommt der Tod nicht unerwartet, sondern kündigt sich durch eine unheilbare Krankheit an.
„Herzensvermächtnis“ der Söhne
Die Trauerbegleiterin ist für ihre Klienten immer erreichbar. Sie ist da, hört zu, lenkt die Gedanken und Sorgen mit gezielten Fragen in neue Bahnen, die die Trauerenden oft selbst nicht sehen. Das Ziel der 54-Jährigen: Die Selbsthilfe aktivieren. Das klingt kryptisch, ist es aber nicht.
Denn jeder Mensch hat Ressourcen, um durch schwere Lebensphasen zu kommen. Martina Hosse-Dolega weiß, wovon sie spricht. Die Zeit, nachdem ihre Zwillinge gestorben waren und nach einer erneuten Schwangerschaft auch ihr drittes Kind, war für sie schwer. Sie war Mitte 20. Sie hatte einen Plan für ihr Leben.
Das alles erzählt Martina Hosse-Dolega bei unserem Treffen. Ihr Umgang mit ihren eigenen Schicksalsschlägen beeindruckt. Deshalb ist sie meine persönliche Heldin 2022. Ihr Beruf ist wohl eher Berufung. Wer, wenn nicht jemand mit dieser Lebensgeschichte, kann Familien besser durch einen Trauerprozess helfen? Martina Hosse-Dolega bezeichnet ihren Beruf als das „Herzensvermächtnis“ ihrer Söhne.

Die Frage nach dem „Warum“ hat sich Martina Hosse-Dolega auf ihre eigene Weise beantwortet. Tod und Trauer sind ihre ständigen Begleiter, möchte man meinen. Aber es sind nicht nur diese dunklen Themen, sondern auch die hellen – Freude und Lachen. Die Fotos und Videos der Familienausflüge zeugen davon. Die Menschen auf den Bildern wirken glücklich, sie lachen.
Und auch die Trauerbegleiterin erlebe ich bei unserem Treffen und Telefonaten als eine ruhige, zugewandte und empathische Gesprächspartnerin. Dass sie helfen kann, Licht in dunkle Lebensphasen zurückzubringen, das glaube ich, nachdem ich sie kennenlernen durfte, sofort.
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