Massenschlägerei geht nicht mehr aus dem Kopf Besorgte Castrop-Rauxeler schildern brutale Szenen

Nach der Massenschlägerei: SPD diskutiert mit besorgten Bürgern
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Um 16 Uhr ist zum Auftakt des Info-Treffs der SPD wenig los. Der Vorstand hatte nach der Massenschlägerei in der letzten Woche besorgte Castrop-Rauxeler zum Dialog eingeladen. Zunächst schienen sich diese jedoch lieber von weitem Sorgen zu machen.

Erst nach und nach bildeten sich Grüppchen um die Landtagsabgeordnete Lisa kapteinat, den Bundestagsabgeordneten Frank Schwabe sowie einige lokale Vertreter – Bürgermeister Rajko Kravanja und Fraktionsvorsitz Daniel Molloisch waren indes nicht vor Ort. Etwa 30 Menschen versammelten sich dazu auf dem Berliner Platz am Castrop-Rauxeler Hauptbahnhof.

Traumatische Szenen in Castrop-Rauxel

Eine Frau war selbst vor Ort, als der Streit zwischen zwei Clan-Familien eskalierte. Ihren Namen möchte sie nicht nennen. Seit 14 Jahren wohne sie in der direkten Umgebung des Schauplatzes der Massenschlägerei. Noch nie habe sie sich dort unsicher oder unwohl gefühlt, sagt sie. Das habe sich nun geändert. Gegen 17.45 Uhr sei sie am Donnerstag auf dem K+K Parkplatz gewesen, um ihre Einkäufe zu erledigen. Plötzlich sei sie mitten drin gewesen.

„Mir kam ein völlig blutüberströmter Mann entgegen“, schildert sie. Ihr erster Impuls sei gewesen, den Verletzten zu versorgen. Sie beschreibt schlimme Szenen: „Ich konnte gar nicht helfen. Auf dem Parkplatz haben schon die Schlägertrupps auf ihn gewartet und weiter auf ihn eingeprügelt, dann hat ein Auto ihn über den Haufen gefahren.“ Sie habe daraufhin einen anderen Supermarktkunden angesprochen, ob er nicht auch helfen könne, „der meinte nur: Wir müssen hier weg!“

Diese Bilder gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf, sagt sie. Sie seien traumatisch. Seit der Massenschlägerei war sie nicht mehr einkaufen. Sie habe Angst, den Supermarkt zu betreten. Ihre Befürchtung: „Was, wenn ein Flüchtender in den Laden geht und dann kommt ihm wieder ein Schlägertrupp hinterher?“ Sie sorgt sich nun, dass die Massenschlägerei Auswirkungen auf Geschäfte in der Umgebung haben könnte und schlussendlich die Infrastruktur darunter leide.

„Selber wollen sie nichts tun.“

Willi Bols aus Obercastrop zeigte sich vor allem schockiert über hetzerische Kommentare, die sich unmittelbar nach der Massenschlägerei in Sozialen Netzwerken wie Facebook breit machten. Ihn wundert, dass angesichts der zahlreichen Reaktionen im Netz vergleichsweise wenig Menschen zum Dialog gekommen sind. „Ich hätte gedacht, dass 500 Leute hier sind. Die Deutschen haben eine Erwartungshaltung: Immer sollen andere etwas machen, selber wollen sie nichts tun. Jetzt macht die Politik so eine Veranstaltung und dann kommt keiner.“

Wie viele andere Menschen auf dem Berliner Platz will er über Asylpolitik sprechen. Seine Meinung: „Menschen in Not müssen ins Land gelassen werden.“ Für Asylsuchende müsse es aber klare Regeln geben. Wer sich nicht an deutsche Regeln halte, müsse des Landes verwiesen werden. Zur Einordnung: Die syrische Familie, die in die Ausschreitungen verwickelt war, flüchtete 2015 nach Deutschland. Die verfeindete libanesische Familie lebt dagegen schon seit Jahrzehnten in Castrop-Rauxel.

Eine dauerhafte Lösung muss her

Ähnlich wie Bols sieht es Klaus-Dieter Wagner. Er wünscht sich eine konsequente Asylpolitik. „Bei Asylsuchenden, die schon jahrelang hier sind, müsste man endlich mal entscheiden, ob die hier bleiben und die Staatsbürgerschaft bekommen oder ob sie wieder gehen müssen.“ Erschrocken sei er vor allem über die „archaische Ausdrucksweise“, die die Beteiligten der Schlägerei benutzten. Damit bezieht er sich auf Aussagen des syrischen Familienoberhauptes, das in einem TikTok-Video unter anderem von „Bräuchen des Stammes“ sprach. Geradezu mittelalterlich käme ihm das vor.

Castrop-Rauxeler sprechen auf dem Berliner Platz mit dem SPD-Vorstand
Einige besorgte Castrop-Rauxeler freuen sich über das Angebot der SPD und sind zum Diskutieren auf den Berliner Platz gekommen. © Julia Segantini

Die SPD-Landtagsabgeordnete Lisa Kapteinat hörte sich all diese Sorgen und Ängste an. Viele Anwesenden waren dankbar für das Angebot der SPD. Vereinzelt wurden Leute aggressiv, schienen wenig an einem Dialog interessiert, gingen nicht auf Argumente ein. Mehrere entfernten sich völlig von der eigentlichen Thematik, redeten plötzlich über vermeintlich überzogene Corona-Maßnahmen, echauffieren sich über Angela Merkels Umgang mit Geflüchteten.

Das Stimmungsbild fasst Kapteinat so zusammen: „Es gab wenig Hass und Hetze. Ganz viele sagen, sie haben ein Problem mit Ausländern, die sich nicht an unsere Regeln halten. Ihnen war aber wichtig, zu sagen, dass sie nicht Nazi oder AfD sind.“ Die SPD bemühe sich, das Format auf dem Berliner Platz zu wiederholen, um mit den Bürgern im Dialog zu bleiben.

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