Kulissen-Koch Roland Wischermann ist tot Großer Verlust für Kneipen-Szene in Castrop-Rauxel

Kulissen-Wirt und -Koch Roland Wischermann ist tot
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Roland Wischermann ist tot. Der Wirt aus der Kulisse starb am 16. April 2024 nach einer schweren Krebserkrankung. Als seine Familie am 25. April, einem Donnerstag, in „sein Wohnzimmer“ einlud, kamen viele Weggefährten zum letzten Prost. Seine Bestattung fand im Familienkreis statt. Seine sterblichen Überreste sind auf dem Hainfriedhof in Dortmund-Westerfilde beigesetzt. Er hinterlässt seine Frau Karin (64), drei Töchter, zwei Enkelkinder – und viele Stammgäste, die sein Essen und seine Gastfreundschaft liebten.

Auf der Theke in der Bar mit der Adresse Münsterstraße 1b, die im Nebentitel „Das Wohnzimmer in der Altstadt“ führt, sind große Bilderrahmen aufgestellt. Aber nicht nur auf der Theke, auch daneben, im Gastraum hinten. Überall. „Prost, Roland“ steht auf einer Collage. Unser Roland, unser Koch, unser Wirt: Er ist nicht mehr da. Und doch bleibt er. „Roland fehlt! Aber in den Erinnerungen und Gedanken ist er nah“, sagt Ulrich Borgerding, der als einstiger Geschäftsmann und Nachbar unter anderem „Castrop kocht über“ mit Roland Wischermann auf die Beine stellte.

Roland Wischermann ist tot. In der Kulisse stehen Bilder von ihm auf der Theke.
Roland Wischermann ist tot. In der Kulisse stehen Bilder von ihm auf der Theke. © Tobias Weckenbrock

Das Fest, das in der 33. Auflage am 29. Mai 2024 in der Altstadt beginnt, ist untrennbar mit dem Namen Roland Wischermann verknüpft. Das Gastronomen- und Gourmet-Festival, heute DAS Stadtfest für Castrop-Rauxel, ist jung geblieben, auch wenn es Jahrzehnte hinter sich hat. Außer dass es stets Bier und Musik gab, hatte es bis Corona nur eine Konstante: Die Kulisse war als Gastro-Betrieb beim ersten Mal dabei und blieb es, solange es zu stemmen war. Bis 2019, als Roland Wischermann unheilbar an Krebs erkrankte.

Sohn einer Friseurfamilie

Roland und Karin: Die beiden managten das Lokal gemeinsam. Er, der Friseur aus Ramstein; sie, die Gastronomin aus dem nahegelegenen Kaiserslautern. Geboren wurde er am 22. Juli 1952 als Sohn einer Friseurfamilie. Auf der Militärbasis der USA übernahm er den Barber-Shop seines Vaters und machte Tausende GI-Haarschnitte. „Friseur mit zwei linken Händen“, sagt seine zweite Ehefrau Karin heute. Er, der immer in die Gastronomie gehen wollte und in Nebenjobs in diversen Kneipen kellnerte. Bis er Karin in ihrer eigenen Billard-Bar „Blaue Taube“ kennen, schätzen und lieben lernte.

Sie lernte an der Hotelfachschule am Tegernsee, wurde dann ins spanische Andalusien nach Jerez geschickt. Als sie zurückkehrte, 1984, da funkte es zwischen den beiden. Sein Bruder war zu der Zeit schon in Dortmund beschäftigt, und irgendwie zog es das Paar dann auch ins Ruhrgebiet. Auf der Suche nach einem eigenen Lokal wurden sie in Castrop fündig: „Das Journal“ war ihr Ding, gelegen am heutigen Simon-Cohen-Platz. Aus einer Spelunke machten sie eine angesehene kleine Kneipe, erinnert sich Karin, und warfen flott ihr Auge auf etwas Größeres.

Ulli Müller (M.) im Jahr 2019 bei Castrop kocht über mit seinem Kumpel Roland Wischermann (l.) und Wolfgang Bläss.
Fronleichnahm 2019 auf "Castrop kocht über": Bei etwas unbeständigem, aber mildem Wetter kamen viele Menschen in die Altstadt, um Ckü zu feiern. © Uschi Bläss (2019)

So kamen sie im Dezember 1993 dazu, die Kulisse zu eröffnen. Maria Sauerzopf hatte sich damals in der „Klause“ zur Ruhe gesetzt; über die Thier-Brauerei, die das Journal und die Klause belieferte, entstand der Kontakt. Und nach einem Dreivierteljahr Umbauarbeit war das „Wohnzimmer in der Altstadt eröffnet“. Nicht mehr nur Bier-Kneipe wollten sie sein, sondern auch was auf die Gabel ihrer Gäste geben.

So entstand das, was bis heute erhalten ist: ein Restaurant mit Kneipenbetrieb, zwei Standbeine, die sich bis 2024 gut ergänzen, sagt Nadja Wischermann (33), die einzige gemeinsame Tochter von Karin und Roland.

Mann der Suppen und Saucen

Im hinteren Bereich der Veranstaltungsraum, in dem Musik- und Kulturprogramm dazu gehörten und gehören; wo politisch diskutiert und bei Burger und Bier um Positionen gerungen, aber am Ende immer brüderlich oder schwesterlich auseinander gegangen wird.

Vorne die lange Theke und die Bistro-Tische, an denen wochenends bis zum frühen Morgen getrunken, gesungen und gefeiert wird. Und dazwischen der Weg in die Küche, die über die Jahre das Revier von Roland wurde. Er, der Wirt, der „Suppentopf und Bratpfanne nicht unterscheiden konnte, als ich ihn kennenlernte“ (Karin Wischermann), der Autodidakt, der sich bei anderen etwas abschaute, viel ausprobierte und der bis zu seinem krankheitsbedingten Ausscheiden der Mann der Suppen und Saucen war.

Auch sonst war er wie als Koch: „Er hat seine Arbeit immer mit Leidenschaft gemacht“, sagt Ulli Müller über ihn. Der Castrop-Rauxeler wurde in den vergangenen Jahren zum Stammgast in der Kulisse. „Wenn Roland mit der weißen Koch-Uniform und dem Suppenlöffel in der Hand nach vorne kam, und sagte: ‚Ich brauche mal eine Pause.‘ Dann gab es ein Bierchen. Dann sprach er mit den Gästen, ob Stammgästen oder den neuen. Er hat sie schnell in sein Herz geschlossen. Und dann stand er auf und sagte: ‚Ich muss wieder in die Küche.‘“

Seine Herzlichkeit beschreibt Ulli Müller, der irisches Bier und irische Lebensart liebt, mit einer Anekdote: „Wenn Roland in der Küche was fehlte, ging er ab und zu zum Kaufland rüber. Eines Tages, als er mich sah und ging, kam er eine halbe Stunde später mit einer besonderen Chips-Tüte zurück: Kartoffelchips mit Guinness-Geschmack. ‚Ich hab da noch was für dich, Uli!‘, sagte er und legte sie mir auf die Theke. Das war Roland.“

Roland und Karin Wischermann bei der Gourmet-Safari 2017. Die Kulisse machte bei vielen Events mit.
Roland und Karin Wischermann bei der Gourmet-Safari 2017. Die Kulisse machte bei vielen Events mit. © Uschi Bläss

Kein Event, an dem die Wischermanns sich in Castrop-Rauxel nicht beteiligten, von der Gourmet-Safari über Ckü und die Nachtfahrt. Eine fünfjährige Episode im alten Clubhaus beim Golfclub kam 1998 hinzu: Bei einer Feier in der Kulisse entstand der Kontakt zum damaligen Vorstand. Man sprach und übernahm später die Küche und die Bewirtung im Clubhaus am Frohlinder Grümerhof als zweites Lokal. Karin Wischermanns Aufgabe war es, den Laden zu organisieren. Ohnehin war sie stets die Frau der Zahlen und des Büros. Rolands Ding war das nie.

„Er hat immer gern gegeben“, heißt es über ihn, der ein Faible hatte für Tiere und darum auch Dr. Dolittle genannt wurde. „Tierliebe war seins“, sagt Tochter Nadja, die erzählt, wie er Hunde magisch anzog. Wohl auch, weil es bei ihm immer ein Leckerli gab. Einen eigenen Hund hatte er aber nie: Er hätte ihn den ganzen Tag allein lassen müssen.

Zuletzt saß er nach langer Krankheit im Rollstuhl. 2019 bekam Roland die Diagnose Lungenkrebs, gekommen mitsamt Metastasen im Gehirn. Seine Tochter, die zu der Zeit in Flensburg lebte, zog wieder zurück. Ihr Papa mit der schweren Krankheit noch knapp fünf Jahre weiter, wenn auch mehr schlecht als recht, in der Dachgeschosswohnung an der Wittener Straße, gleich gegenüber vom Rochus-Hospital. Wenn es ging, kam er immer noch mal mit seiner Frau Karin rüber in die Kneipe.

Am 25. April konnte er nicht mehr dabei sein. Neun Tage vor dem letzten Prost starb er mit Nadjas Hund Pepsi in seinen Armen. Rolands letztes Fest fand ohne ihn statt, nur mit seinen Fotos. „Als ich fragte, ob ich zu seinem ‚letzten Prost’ kommen darf, sagte Karin: Auf jeden Fall! Du gehörst doch dazu‘“, erinnert sich Ulli Müller, den viele als Jugend- und Sozialarbeiter aus D-Town und BoGi’s und Vorsitzender der Stadt-Sportjugend kennen. „Es war ein würdiger Abschied. Schön gemacht und sehr tränenreich am Ende, als nur noch der harte Kern da war“, so Müller.

An dem Abend lief Rolands Musik: Simply Red, Rod Stewart und „Mr. Bojangles“ von Sammy Davis jr. „Er sprang so hoch“, heißt es in dem Song. Und: „Nach 20 Jahren trauert er immer noch.“

Nadja und Karin Wischermann in der Kulisse.
Nadja und Karin Wischermann in der Kulisse. © Tobias Weckenbrock

„Wenn man ihn jetzt am Grab besucht, dann ist da heute ein Weg, den man gerne geht, auch mit dem Hund, durch die Wälder zwischen Schwerin und Bodelschwingh“, sagt seine Frau Karin. Nicht in einem Reihengrab zwischen anderen, die versuchen, schöner zu sein als das Grab nebenan. Er ist bescheiden beerdigt auf einer Wiese unter Bäumen, organisiert von einem seiner Stammgäste in der Kulisse: von Bestatter Jens Grabing.

Roland Wischermanns Vermächtnis aber lebt weiter: Die Kulisse bleibt. Karin konnte vier Jahre nicht mehr dort arbeiten, weil sie ihren Roland bis in den Tod pflegte. „Sie fängt jetzt wieder an“, sagt Nadja und drückt ihre Mama fest an sich.

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