Aufbruch und Umbruch. Wirtschaftsboom. Reformbewegungen. Neubau statt Wiederaufbau: Diese Stimmung in den 60er- und 70er-Jahren hat die zeitgenössische Architektur entscheidend geprägt, findet der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) und hat – zu Ehren der in jedem Fall besonderen Bauerzeugnisse dieser Zeit – eine dreiteilige Dokureihe veröffentlicht.
Unter dem Titel „Markantes Erbe“ zeigt Filmemacherin Maria Anna Tappeiner mehrere westfälische Bauwerke. Sie will zeigen, „wie funktional und auch ästhetisch Rathäuser, Schulen und Kirchen aus dieser Zeit sein können.“ Neben dem Castrop-Rauxeler Rathaus wird auch das von Marl und Gronau (Kreis Borken) vorgestellt.
Baukunst oder hässlich?
Oftmals hätten die Bauten mittlerweile einen schweren Stand. Vielen gelten sie als klotzig, unästhetisch, gar hässlich. Es lohne sich aber, sich auf Gebäude wie jene am Forum in Castrop-Rauxel einzulassen, so der Tenor des Dokufilms, der bei Youtube zu sehen ist.
Die von den dänischen Architekten Arne E. Jacobsen und Otto Weitling erdachte Gestaltung des Forums repräsentiere nicht nur bauliche Zweckmäßigkeit, sondern auch Baukunst. „Architektonische Maßstäbe“ sollten gesetzt werden, erklärt Carola Wilk von der Stadt Castrop-Rauxel in dem Film.

Beim Stadtmittelpunkt, erbaut zwischen 1966 und 1976, treffe „Multifunktionalität auf zeitloses Design“, heißt es. Ersteres sei durch die flexible Raumaufteilung gegeben. Im Rathaus etwa können Büroflächen mit mobilen Wänden leicht verändert werden. Außerdem werden viele bauliche Details thematisiert: Wussten Sie zum Beispiel, dass die Lichtschalter im Bürgerbüro auf den Heizkörpern angebracht sind? Oder dass Sprecherpult und Uhren im Ratssaal noch im Originalzustand sind?
Auch in der Stadthalle lassen sich die Hallenwände verschieben und der Boden hoch- und herunterfahren. „Für die 70er Jahre war es innovativ“, findet Ludger Warnecke vom Eventforum Castrop-Rauxel, die Technik funktioniere auch heute noch gut. Dass die Bauten marode sind und allein die Kosten für die notwendigsten Sanierungsarbeiten in die Millionen gehen, findet keine Erwähnung.
Besondere „Sprungschanze“
Generell ist der Film eher eine Lobpreisung der umstrittenen Architektur, die mancher eher Bausünde nennen würde – teils mit humorvollem Anklang. „Wenn man diese Außenansicht sieht der Stadthalle, sieht es natürlich aus wie eine Sprungschanze“, sagt Veranstaltungstechniker Ludger Warnecke. „Es gab dann Karikaturen in der örtlichen Presse, wo dann ein Skifahrer oben stand und dann hätten wir ja auch die Olympischen Winterspiele hier durchziehen können und natürlich wird teilweise immer noch gefrotzelt.“

Die an eine Skisprung-Schanze erinnernden Hängedächer der Gebäude senken sich zum Europaplatz hin ab. Damit sollen sie für eine bürgernahe Stadtgesellschaft stehen. Am Ende wird jeder selbst entscheiden müssen, ob man den Bauwerken am Stadtmittelpunkt etwas abgewinnen kann.
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