Einen Tag zu Gast in der Kita Lummerland Von wegen nur Kaffee trinken und mit Kindern spielen

Alleskönner: Was Erzieher im Lummerland jeden Tag für Kinder leisten
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Es ist 14.10 Uhr, ich komme gerade aus der Kita „Lummerland“. Einen Tag durfte ich dort in den Beruf der Erzieherin reinschnuppern. Das Erste, was mir auffällt, als ich wieder draußen bin. Es ist still, so still, wie es auf einem Marktplatz sein kann, aber kein Vergleich zur Kita. Niemand tippt mich an, ich muss keinen drei Kindern gleichzeitig lauschen und auch nicht auf einem winzigen Stuhl sitzen.

Mir war schon vor meinem Besuch klar, dass Erzieher einen anstrengenden Job haben, aber an diesem Mittag auf dem Marktplatz in Ickern ist es mir so bewusst wie nie zuvor.

Fünf Stunden zuvor. Ich komme in der Kita Lummerland in Ickern an. Mit mir strömen einige Eltern durch den Eingang und bringen ihre Kinder zu den Gruppenräumen. Die Gruppen sind allesamt nach Figuren aus Michael Endes „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ benannt. Das Lummerland ist recht groß, rund 80 Plätze, vier Gruppen. Die jüngsten Kinder sind noch kein Jahr alt, die Ältesten werden im Sommer eingeschult.

Als ich durch die Tür komme, erinnert mich vieles an meine Zeit im Kindergarten. Von Kinderhand gemalte Bilder, Garderobe mit Matschhosem, die Decken sind hoch und hell. Zu Gast bin ich heute in der Gruppe „Frau Mahlzahn“, etwa 20 Kinder. Denen wurde ich als Praktikantin und nicht als Reporterin vorgestellt, erklärt mir Kita-Leiter Frank Strümpel: „Wir haben ja sehr oft Praktikanten bei uns, deswegen ist das für die Kinder nichts Ungewöhnliches.“

In der Kita ist es nie ganz still

Die Gruppe „Frau Mahlzahn“ hat einen großen Gruppenraum, der über zwei Etagen geht. Oben gibt es eine Galerie mit Spielecke, die man über eine Treppe erreicht. Mehrere niedrige Holztische stehen im Raum, darunter noch kleinere Holzstühlchen. In Regalen und Schränken stapeln sich Spielzeug, Mal- und Bastelutensilien. Zwischen allem wuseln 20 Kinder umher, gerade wird das kleine Frühstücksbuffet abgebaut.

Mir fällt direkt auf, wie laut es ist, dabei spielen alle Kinder ganz normal. Aber 20 spielende Kinder sind einfach nicht leise. Das kennt auch Erzieherin Nicole Kulms – mit ihr und einigen Kinder sitze ich erstmal im Nebenraum. „Mir fällt das gar nicht mehr so auf, aber natürlich jetzt wo du es sagst. Leise ist unser Job natürlich nicht.“ Während wir uns unterhalten, spielen drei Mädchen Bibi und Tina und reiten auf ihren imaginären Pferden durch den Raum und kichern dabei.

Die Kinder der Kita Lummerland in Ickern lauschen gebannt der kleinen Geschichte, die Aline Rozanski vorliest.
Beim Vorlesen wird es selbst in der Kita ein bisschen ruhiger. Die Kinder lauschen gebannt der kleinen Geschichte, die Aline Rozanski vorliest. © Nora Varga

Während wir uns unterhalten kommen immer wieder Kinder zu Nicole Kulms. Sie erzählen vom Wochenende, der Kirmes, die sie besucht haben, einige wollen nur ein bisschen kuscheln. Ein Mädchen zeigt Nicole eine winzige Wunde am Finger, die sie sich beim Spielen zugezogen hat. „Die sieht man doch fast gar nicht, das geht gleich wieder weg“, versucht die Erzieherin zu beschwichtigen. Die junge Dame ist alles andere überzeugt und zeigt so lange auf den kleinen roten Fleck, bis Nicole einlenkt: Sie bekommt ein Pflaster und vergisst die „schwere“ Verletzung fast augenblicklich.

Ein Ordner für Erinnerungen

Zurück im Gruppenraum fragt Nicole Milan, ob er mir nicht mal seinen Ordner zeigen will. Milan ist fünf Jahre alt, hat strohblondes Haar und freut sich sichtlich über die Gelegenheit. Aus einem Schrank holt er einen großen schwarzen Ordner, klappt ihn vor uns aus und blättert ihn mit mir durch. Er ist gefüllt mit Fotos und Erinnerungen aus Milans Kita-Zeit. Es gibt Fotos von dem Fünfjährigen in seinem Clowns-Kostüm am Karneval, Bilder vom Keksebacken.

Milan zeigt mir auf jedem Bild, wo er ist: „Da bin ich, da waren wir im Sommer im Wasser und da bin ich mit meinem besten Freund.“ Geduldig blättert er mit mir durch drei Jahre Kita. Nicole Kulms erklärt die Idee hinter dem Ordner: „So haben die Kinder immer Erinnerungen an ihre Kita-Zeit, und weil die allermeisten natürlich nicht lesen können, arbeiten wir mit Fotos.“

Milo (l.) und Milan im Gruppenraum der „Frau Mahlzahn“ in der Kita Lummerland in Castrop-Rauxel.
Milo (l.) und Milan im Gruppenraum der „Frau Mahlzahn“ in der Kita Lummerland in Castrop-Rauxel. © Nora Varga

Bis jetzt habe ich vor allem zugeguckt, aber dann kann ich mithelfen. Gruppenleiterin Aline Rozanski muss kleine Leinwände für eine Bastelidee kaufen. Den kleinen Shoppingtrip zu Tedi nutzt Aline, um mit einigen Kindern den Umgang im Straßenverkehr zu üben. Es dauert natürlich, bis vier Kinder Schuhe und Jacken anhaben, aber schließlich stehen wir vor dem Lummerland, ein Kind an jeder Hand.

Aline könnte natürlich eben allein einkaufen, aber „so lernen vor allem die Schulis nochmal was.“ Schulis, das sind die Kinder, die im Sommer eingeschult werden. Direkt neben der Kita ist die Marktschule. Vor der stehen, als wir vorbeilaufen, gerade ein paar Kinder, die Aline erkennen und sie überschwänglich begrüßen und winken.

An der ersten Kreuzung bleibt Aline überdeutlich stehen. „Und was machen wir jetzt hier an der Straße?“ „Links, rechts, links“, rufen die Kinder und schauen, ob ein Auto kommt. „Wirklich gucken und nicht nur den Kopf drehen“, ermahnt die Erzieherin eines der Kinder, das die Bewegung eher wie ein Roboter ausführt.

Die Vorbereitung auf die Schulzeit ist vor allem am Ende der Kita-Zeit eine wichtige Aufgabe, erklärt mir Aline auf dem Weg. Es gibt eine Schuli-AG und eine Kooperation mit der Marktschule in Ickern. Die Kita-Kinder können dann schon vor ihrem ersten Schultag ihre neue Umgebung erkunden und treffen sich mit den jetzigen Erstklässlern, um schon mal Kontakte zu knüpfen.

Wir haben es mittlerweile zum Tedi geschafft und finden auch passende Rahmen. Mit den Kindern an der Straße entlangzugehen, ist zwar nicht körperlich anstrengend, aber man muss die ganze Zeit aufpassen. Wo kommen Autos? Wo könnte was gefährlich sein? Schließlich sind Aline und ich in dem Moment für die Sicherheit der Kinder verantwortlich. Die benehmen sich aber und so schaffen wir es erfolgreich zurück in die Kita.

Gegen Niklas hat unsere Reporterin Nora Varga keine Chance im Memory.
Gegen Niklas hat unsere Reporterin Nora Varga keine Chance im Memory. © Nora Varga

Wieder im Gruppenraum machen wir das, was Erzieher in den Köpfen einiger den ganzen Tag machen: Spielen. Zwei Kinder holen ein Brettspiel aus dem Regal. Beim Spielen wird mir klar, dass die Erzieher auch beim Spielen immer das Lernen der Kinder im Kopf haben. Es kostet mich einige Geduld, auch noch beim vierten Schummel-Versuch meines kleinen Mitspielers diplomatisch die Regeln zu erklären. Später wird mir Frank Strümpel noch viel mehr dazu erklären: „Es fängt schon mit dem Würfel an. Sind die Kinder in der Lage, die Zahl direkt zu erkennen oder zählen sie noch ab?“ Auch die Figuren auf kleinen Feldern weiterzubewegen, warten, bis man dran ist, verlieren können, all das gehört zum Spielen dazu.

Es ist aber auch wirklich cool mit den Kindern zu spielen. Sie konzentrieren sich voll auf das, was sie da gerade machen. Mich stecken sie damit ziemlich an.

Organisation im Kita-Alltag

Während wir spielen, sitzt Aline mit einem Kalender und Listen am anderen Ende des Holztisches. Sie plant Termine für Spendenaktionen, Elterngespräche und Hausbesuche. Im Sommer kommen schließlich neue Kinder in die Kita und im Lummerland besucht man diese Kinder vorher zu Hause. Aline: „So lernen uns die Kinder schon mal kennen und wir natürlich auch die Kinder.“ Die Eingewöhnung sei so viel leichter. Während sie plant, kommen immer wieder Kinder zu ihr, wollen was zeigen, fragen oder einfach nur ein bisschen Aufmerksamkeit. Ruhe gibt es, abseits der Pausen, in der Kita nicht.

Aline Rozanski sitzt in der Kita Lummerland am Tisch und plant Termine.
Erzieher müssen sich im Kita-Alltag auch viel um Organisation und Dokumentation kümmern. © Nora Varga

Um unsere Beine läuft die ganze Zeit Harry. Und nein, Harry ist kein besonders umtriebiges Kind, sondern ein Golden Retriever. Harry ist kein Therapiehund, wie einige sie vielleicht kennen, sondern ein Kita-Hund. Er bekommt dafür auch extra eine Ausbildung. Die Kinder lieben Harry, das wird einem direkt klar. Und auch für die Kita insgesamt ist das Wagnis Kita-Hund ein voller Erfolg, erklärt Strümpel: „Die Kinder kommen jeden Morgen in die Kita und freuen sich auf Harry.“ Der Golden Retriever lässt sich von den Kindern alles gefallen und hält auch ein manchmal etwas rabiateres Streicheln brav aus.

Mit einem geschickt gehaltenen Leckerchen posiert Kita-Hund Harry im Lummerland fürs Foto.
Mit einem geschickt gehaltenen Leckerchen posiert Kita-Hund Harry fürs Foto. Der Hund ist der Liebling der Kinder und hilft gerade denjenigen, zu denen die Erzieher nur schwierig einen Draht aufbauen können, bei der Eingewöhnung. © Nora Varga

Selbstständigkeit lernen

Den ganzen Vormittag zieht ein leckerer Geruch durch die Kita. Mittags wird zusammen gegessen. Gekocht wird in der eigenen Küche. Fertigessen kommt nicht auf den Tisch, jeden Tag wird frisch gekocht. Statt den Kindern einen fertigen Teller aufzutischen, decken wir ein und stellen Schüsseln mit den Nudeln und einer köstlichen Käsesauce auf den Tisch. Befüllen müssen die Kinder selbst.

Der Tisch ist schnell voller Käseflecken und einzelnen Nudeln, aber nur so lernen die Kinder. Und vor allem die Älteren kleckern fast nicht mehr. Auch hier können sich die Erzieher nicht einfach zurücklehnen und Käsenudeln mampfen. „Hör bitte auf, mit deinem Essen zu spielen“, „Du hast da eine Nudel in den Haaren“, „Klar, wir holen gleich noch neue Nudeln.“ Nach dem Essen wird abgeräumt, geputzt, die Kinder helfen natürlich im Rahmen ihrer Möglichkeiten.

Ein Teller Käsenudeln in der Kita Lummerland in Ickern im Hintergrund sieht man essende Kinder.
Auch beim Essen lernen die Kinder: Portionieren, selbst auf den Teller tun, Geschirr wegbringen. © Nora Varga

Nachdem alle Münder von Käsesauce befreit sind, sammeln wir uns auf Sitzkissen im kleineren Raum. Aline holt ein Buch und es wird vorgelesen. Einer der wenigen stillen Momente in der Kita. Gespannt lauscht die Gruppe. Aline nimmt die Kinder beim Lesen mit, stellt zwischendurch Fragen und zeigt die Bilder.

Eigentlich wären wir an einem anderen Tag vielleicht noch herausgegangen, aber es regnet in Strömen. Also bleiben wir drinnen. Es ist wirklich erfüllend, mit den Kindern zu arbeiten und auch lustig. Ich sitze wieder am Tisch und spiele dieses Mal mit Niklas Memory. Während ich immer wieder mit den Augen woanders bin, ist er ganz auf das Spiel fixiert und schlägt mich gleich mehrere Runden hintereinander mit großem Vorsprung. Auch beim gemeinsamen Puzzeln ist es faszinierend zu sehen, mit welchen Taktiken er an das Spiel geht.

Die Kinder im Lummerland sitzen am Tisch und haben Spaß.
Ja, der Kita-Alltag ist anstrengend, aber dafür auch wunderschön und lustig, meint unsere Reporterin am Ende ihres kleinen Praktikums. Mit den Kindern wird es nie langweilig. © Nora Varga

Dieser Beruf gibt viel zurück

Der Kita Tag neigt sich zumindest für einige Kinder und mich dem Ende zu. Ab 13.45 Uhr kommen die Eltern ihre Kinder abholen. Dabei klären sie noch ein paar Sachen mit den Erziehern, stellen Fragen. Einige Kinder bleiben jetzt noch bis 16 Uhr. Für mich endet das Praktikum im Lummerland. Eine tolle Erfahrung, auch dank des Teams der Kita, die mir Fragen beantwortet und mir alles gezeigt hat. Der Beruf von Erzieherinnen und Erziehern ist anspruchsvoll und viel weitreichender als man im ersten Moment denkt. Aber dieser Beruf macht auch Spaß, gerade die Wertschätzung, die die Kinder einem schon nach einem Tag zeigen, ist wirklich wundervoll.