Junge Männer bedrohten Ute Wilke mit Messern Tagsdrauf „packt sie den Bock bei den Hörnern“

Kiosk-Überfall in Merklinde: Männer bedrohten Ute Wilke mit Messern
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„Was soll ich zuhause und grübeln?“, sagt Ute Wilke. „Ich hab den Bock an den Hörnern gepackt und darum bin ich hier.“ Arbeiten. Ihre ganz normale Schicht im Kiosk an der Gerther Straße im Castrop-Rauxeler Stadtteil Merklinde. Es ist Dienstagvormittag (21.1.2025).

17 Stunden zuvor ist die 55-Jährige allein in dem kleinen Verkaufsraum. Olaf und Katarzyna Supply, die Betreiber des Lädchens, sind gerade noch in Dortmund unterwegs und verspäten sich etwas. Da treten gegen 18.40 Uhr zwei junge Männer in den Kiosk. Sie tragen Masken und Messer. „Überfall“ fordert einer. Der andere fordert die Kasse, fuchtelt mit dem Messer über der Verkaufstheke. „Auch die 50er unter dem Kleingeld.“

Der Täter, der näher zur Tür steht, fordert seinen Komplizen auf, über die Theke zu springen. Doch der reagiert nicht auf die Aufforderung – womöglich, weil er sich in eine schlechtere Fluchtposition bringt. Umso vehementer ist seine Forderung nach dem Geld in der Kasse, wie auf einem Überwachungsvideo zu hören und zu sehen ist.

Groteskes Ende: „Ciao“

Es geht alles rasend schnell. „Das hat vielleicht drei Minuten gedauert“, sagt Ute Wilke. Das Ende des Überfalls mutet geradezu grotesk an. „Eine 15er Marlboro rot“, fordert einer der Täter. „Eine rote Marlboro für 15 Euro.“ Die Angestellte gibt ihm die Zigarettenschachtel. Die beiden Männer wenden sich der Ladentür zu. „Ciao“, sagt einer noch.

Dann flüchten sie mit 1500 Euro Beute in unbekannte Richtung. Ute Wilke kann nicht sehen, ob die beiden jungen Männer zur nahegelegenen Bundesstraße 235 oder in Richtung Gerthe flüchten. Dazu ist sie in diesem Moment zu perplex. Wenig später sind Katarzyna und Olaf Supply und die Polizei am Tatort.

Die Aufnahmen der Überwachungskamera zeigen zwei junge Männer. „Sie waren vielleicht gerade mal 20 Jahre alt“, sagt Ute Wilke. Die Polizei Recklinghausen beschreibt sie in einer Pressemitteilung. Täter 1 sei etwa 1,80 Meter groß und schlank bekleidet mit einem schwarzen Kapuzenpulli und schwarzer Hose. Unter der Kapuze trug er ein beiges Basecap.

Täter 2 war etwa 1,75 Meter groß und schlank, trug eine schwarze Daunenjacke und Jeans. Auffällig an seiner Daumenjacke sei eine grüne Lacoste-Applikation gewesen erzählt die Angestellte im Gespräch mit unserer Redaktion. Beide Täter trugen Sturmmasken und Messer. Das Überwachungsvideo zeigt einen Täter mit einem Klappmesser, den anderen mit einer Art Küchenmesser.

Beide Männer haben Deutsch mit osteuropäischem Akzent gesprochen. „Die sind hier aufgewachsen“, ist sich Inhaberin Katarzyna Supply sicher. „Sie sprachen gut Deutsch, hatten aber keine Grammatik.“ Die 40-Jährige ist gebürtige Polin und kam vor 20 Jahren ins Ruhrgebiet. Die Beschreibung „schlank“ finden Kiosk-Betreiber und Angestellte eher noch untertrieben.

Katarzyna und Olaf Supply.
Seit knapp 20 Jahren betreiben Katarzyna und Olaf Supply den Kiosk an der Gerther Straße. © Uwe von Schirp

Olaf Supply ist sich sicher, „das waren keine Profis“. Schließlich hätten sie es nur auf die Kasse abgesehen. „Mit Zigaretten hätten sie mehr Beute gemacht.“ Ohnehin sei die eine geforderte Schachtel kurios. „Sie wollten eine für 15 Euro, nicht für 20.“

Der Inhaber betreibt den Kiosk an der Gerther Straße seit fast 20 Jahren. Bereits 2006 und 2008 waren sie Opfer eines Überfalls. Einmal trafen Schläge eine Verkäuferin am Kopf. 2008 hielt ein Täter Katarzyna Supply eine Schusswaffe an die Schläfe. „Drei Jahre habe ich gebraucht, das zu verarbeiten“, erzählt sie. „Gestern Abend kam das alles wieder hoch.“

Ehemann Olaf ist sauer über die Dreistigkeit der beiden Täter. „Sie waren zu einem Zeitpunkt hier, als Ute allein im Geschäft war“, sagt er. „Sie wussten auch, dass sie nicht viel Zeit haben.“ Schließlich hätten jederzeit Kunden in den Kiosk kommen können. Es war ja noch früher Abend und die Gerther Straße durchaus belebt. „Was hätten die gemacht, wenn ein Kind hereingekommen wäre.“

Sorge um Frauen im Kiosk

Bei den drei Überfällen blieb es nicht. Olaf Supply erzählt von Einbrüchen und Diebstählen. „Und einmal ist ein Mann hier reingekommen und hat am helllichten Tag vor einer Verkäuferin onaniert.“ Er sorgt sich, wenn die Frauen alleine im Kiosk sind.

„Ich bin selbst in Bövinghausen groß geworden und kenne die Ecke hier“, erklärt der 48-Jährige. „Über meine Heimat Polen sagen die Leute, da ist viel Kriminalität“, sagt Ehefrau Katarzyna. „Das ist aber nicht so schlimm wie hier.“ Irgendwann wolle sie ein Buch über all das Erlebte schreiben. Sie lacht – trotz des realen Ärgers.

„Wir haben schon überlegt, hier alles zuzumachen und nur ein kleines Fenster für die Kunden zu lassen“, erzählt der Kiosk-Inhaber. „Das wollen wir aber nicht.“ Schließlich sollen die Kunden das Sortiment von rund 2500 Artikeln sehen. Dazu zählen neben dem Bier, Zigaretten und Grundnahrungsmitteln auch Drogerie-Artikel.

Außenansicht des Kiosks an der Gerther Straße.
Sieben Tage in der Woche öffnet der Kiosk in Merklinde. © Uwe von Schirp

Geradezu nostalgisch sind die großen Dosen mit Süßigkeiten – für die „gemischte Tüte“. Auf der Theke stehen Brot und Gebäck der Konditorei Mack. Ein Schild wirbt für warme oder kalte Bauernfrikadellen. 365 Tage im Jahr hat der Kiosk geöffnet – Weihnachten inklusive. „Der Kunde ist König“, sagt Olaf Supply. „Das ist oberstes Gesetz.“

Das „Team Supply“ sei „eine große Familie“. Und die will der Inhaber schützen. Deswegen hat er die Verkaufstheke zum Kundenraum verschlossen und verbreitert. „Wäre der Täter gestern über die Theke gegangen, wäre alles zusammengebrochen und er in den Glastüren der Kühlschränke gelandet.“

Es ist Mittag im Kiosk an der Gerther Straße. Kunde um Kunde kommt herein, gibt ein Päckchen auf oder kauft Zigaretten. Der Überfall ist Thema. Ute Wilke macht „ganz normal“ ihre Arbeit, wie sie sagt. Das Schwätzchen gehört wie immer dazu. Heute hilft es, das Erlebte zu verarbeiten – wie das Beisammensein mit Katarzyna und Olaf Supply.

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Polizei sucht Zeugen

Die Kreispolizei Recklinghausen sucht Zeugen, die Angaben zu den beiden Tatverdächtigen machen können. Sie bittet um sachdienliche Hinweise unter Tel. (0800) 2361 111.