Kinderbuchautor Helme Heine im Interview „Freundschaft ist noch viel zeitloser als die Liebe“

Autor Helme Heine: „Freundschaft ist noch viel zeitloser als die Liebe“
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Das Buch „Freunde“ von Helme Heine wird bald am WLT in Castrop-Rauxel und der Umgebung aufgeführt. Im Interview berichtet er von seinem Blick auf die Freundschaft und der Entstehung des Klassikers. Dieses Interview ist aus einem PottCAS mit Helme Heine entstanden. Die gesamte Folge können Sie sich unter rn.de/pottcas anhören. Die Antworten wurden teilweise gekürzt oder zum besseren Verständnis umgestellt.

Was war die Idee hinter „Freunde“? Gab es da eine besondere Freundschaft, ein Ereignis, was Sie inspiriert hat, „Freunde“ zu schreiben?

Die Grundidee hatte ich in Johannesburg. Ich wollte für einen Kindergeburtstag ein Buch kaufen. Was ich dort gesehen in den Buchhandlungen hatte, das fand ich alles so schwach von der Geschichte her. Ich war mit Freunden da und habe so laut gesagt, „Also ich glaube, das kann ich besser“ und darauf haben die gesagt, „ja mach doch mal was“. […] Ich war ja mit meinen Freunden da gewesen, da hab ich gedacht „Mensch, vielleicht machst du mal was über eine Freundschaft“ und dann entstand der Gedanke. […] Alle reden von Freundschaft, das hören die Kinder auch, aber trotzdem sind die meisten ja nur Bekannte.

Wie viele Leute gehören zur Freundschaft? Wenn einer da ist, dann ist es ein Narziss. Zwei, das ist das Normale in der Freundschaft, aber ich wollte ja auch die Probleme zeigen in der Freundschaft und habe gesagt: Es müssen drei sein.

Dann habe ich nach einem Symbol gesucht, das ohne Worte Freundschaft symbolisiert. Da kann man sich die Hand geben und auf die Schulter klopfen, aber das ist alles nicht glaubwürdig genug oder war mir nicht glaubwürdig genug. Dann fiel mir ein: Die müssen etwas tun, was niemand von ihnen alleine kann: Fahrradfahren. Dann hatte ich natürlich Franz von Hahn, der setzt sich auf den Lenker, der kann lenken, der dicke Waldemar hat die Kraft, der kann die Pedale treten und Johnny Mauser, das ist der Kopf, der hält die Balance. Das sind die drei.

Das Cover von „Freunde“ zeigt die berühmte Szene auf dem Fahrrad.
Das Cover von „Freunde“ zeigt die berühmte Szene auf dem Fahrrad. © Nora Varga

Die Figuren, die reden nicht besonders viel. Es gibt keine Sprechblasen, es ist nur wenig Text und viele große Bilder. Wie haben Sie es geschafft, den drei Figuren eine Persönlichkeit zu geben?

Mich interessiert im Grunde genommen der Charakter, der hinter denen ist, die müssen ja typisch sein. […] Wir bleiben beim Hahn. Dann überlege ich mir, was hat ein Hahn? Der hat einen Kamm, wenn ich den von vorne zeichne, dann ist das nur ein roter Strich, deshalb hat er den Kamm zum Beispiel auf dem Kopf, wie Napoleon seinen Hut, der ist immer quer.

Dann fange ich an, diese Figur zu zeichnen, zu illustrieren, zu entwerfen. Ich hänge die an die Wand und versuche, diese Figur zu drehen. […] Dann fange ich an, mir neben diese Figur Eigenschaften vorzustellen – was diese Figur mag oder nicht mag. Zum Beispiel Franz von Hahn, der möchte vielleicht fliegen, das ist eine Sache, aber welche Musik würde der hören? Hört der Schlager oder klassische Musik? Genauso mache ich das mit dem dicken Walde. Wovor hat er Angst? Vor einem Sonnenbrand vielleicht oder vor Mücken? Das schreibe ich daneben. Das taucht nie auf in dem Buch, aber erst dann werden die Figuren immer wahrhaftiger. Das ist das Wichtige dahinter, dass ich diese Figuren unbewusst fülle, sodass sie sich dann auch in dem Buch richtig bewegen. […] Und dann fange ich immer noch nicht an, das Buch zu schreiben, dann entwickle ich ein sogenanntes Leporello. […] Ich habe maximal 32 Seiten. Anders geht das drucktechnisch nicht, sonst wird das Buch zu teuer. Und was passiert auf Seite eins? Was auf Seite zwei und drei? Da mache ich kleine Skizzen und hänge die als Leporello an meine Wand.

Und dann fiel mir plötzlich ein, dass ich nur ein Beispiel [für Freundschaft] mit dem Fahrrad [habe]. Ich müsste aber auch mit einem zweiten Beispiel beweisen, dass sie Freunde sind. Und da habe ich das entwickelt, dass sie ein Boot finden. Das Boot hat einen zerbrochenen Mast, kein Ruder und ein Leck. Die Freunde können das nur zusammen besegeln: Franz von Hahn stellt sich auf den Mast, breitet die Flügel aus – er ist das Segel. Johnny Mauser steuert hinten mit einem zerbrochenen Ruder und der dicke Waldemar sagt. „Was mache ich?“ Da sagen sie, „Du stopfst das Loch mit deinem Schinken drin“ und so stelle ich immer wieder die Freunde vor. […]

Zum Schluss sage ich: „Wir wollen uns niemals trennen“ und als Nächstes beweise ich eben, dass der Franz von Hahn schon im Mauseloch stecken bleibt. Und bei dem dicken Waldemar halten sie sich nicht aus, da stinkt es. Und die Hühnerstange, die bricht unter dem Gewicht zusammen. Ich habe an diesem Schlussbild lange gesucht. Jeder ging allein in sein Bett, aber richtige Freunde träumen von einander.

Das ist also eine ganz harmonische Entwicklung. […] Das ist in allen meinen Büchern so. Die Geschichte muss elementar sein, meine Bücher werden in 45 Ländern verkauft. […] Ich muss also eine Inszenierung machen. Für mich ist ein Bilderbuch keine Geschichte, die ich mit hübschen Bildern versehe, sondern es ist eine inszenierte Geschichte. Es ist dem Theater, dem Film näher als dem Roman.

Die letzte Seite in „Freunde“ dem Buch von Helme Heine.
Die letzte Seite in „Freunde“ dem Buch von Helme Heine. © Nora Varga

Sie sprechen das Theater an. Die Freunde kommen ja hier in Castrop-Rauxel ins Theater. Hat das in Castrop-Rauxel geklappt, dass die Geschichte am Ende lebendig geblieben ist?

Ja, es hat geklappt. […] Ich hatte wenig Kontakt zu ihnen. Ich habe ein klein wenig eingreifen dürfen. Die haben mich gefragt zum Drehbuch, über das Bühnenbild. Ich hatte sie gebeten, noch einmal die Kostüme zu überdenken. Die waren mir nicht klar genug abgegrenzt, weil der Johnny Mauser ist ja der Größte [Schauspieler] gewesen von allen, das war gewöhnungsbedürftig. […] Das ist wie jede Inszenierung und jeder Regisseur muss die Freiheit haben, es so zu machen, wie er es gerne möchte.

Jedes Kind kennt die Freunde Franz von Hahn, Johnny Mauser und den dicken Waldemar. Im Theaterstück des WLT werden sie jedoch vor eine große Herausforderung gestellt, als sie eines Morgens feststellen müssen, dass ein Ei im Hühnerstall fehlt. Die Hennen und Franz haben gleich den Koch in Verdacht. Da der Weg weit ist, machen sie sich mit dem Fahrrad vom Bauern auf.
Jedes Kind kennt die Freunde Franz von Hahn, Johnny Mauser und den dicken Waldemar. Im Theaterstück des WLT werden sie jedoch vor eine große Herausforderung gestellt, als sie eines Morgens feststellen müssen, dass ein Ei im Hühnerstall fehlt. Die Hennen und Franz haben gleich den Koch in Verdacht. Da der Weg weit ist, machen sie sich mit dem Fahrrad vom Bauern auf. © Volker Beushausen

Wie lange arbeitet man an so einem Buch? Wann ist es fertig?

Irgendwann bin ich mit diesem Leporello fertig, dann fange ich an zu zeichnen. […] Wem gebe ich welche Farbe und zu welcher Tageszeit mache ich das, welches Wetter ist da und so weiter, das erarbeite ich. Was für mich ganz wichtig ist, dass ich niemals illustriere, was ich mit den wenigen Worten beschreibe.

Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Wenn ich zum Beispiel sagen würde, „dann sitzt da der dicke Waldemar und weint bittere Tränen“, weil die anderen Freunde ihn verlassen haben. […] 99 Illustratoren male dann den dicken Waldemar, wie er im Gras sitzt und weint. Da kann der Leser nur noch vergleichen, wie er sich das vorstellt hat und wie ich mir das vorstelle.

Ich illustriere die Trauer von ihm. Ich lege nicht Wert darauf, wie Tränen laufen und habe einen Lichtreflex in der Träne. Ich zeige vielleicht den Stall in einer Abendstimmung aus 100 Meter Entfernung und da sehe ich im Stall, da brennt noch Licht und da sitzt der dicke Waldemar und weint. Da hat der Leser mehr Freiheit. Ich will dem Leser ja auch nicht die Fantasie nehmen. Da beginnt erst die Kunst auch der Illustration.

Ich werde oft gefragt: Warum ist die Freundschaft so was Elementares? Ich glaube, wir Menschen haben die große Sehnsucht nach Freundschaft. Wir sprechen alle über die Liebe und die Liebe wird sehr oft verwechselt mit Sex. [...] Wenn man sich Liebe und Freundschaft anschaut, dann ist die Liebe fast passiv. Mich kann ein Pfeil treffen und plötzlich bin ich verliebt. Das ist in einer Freundschaft nicht möglich. Es gibt keine plötzliche Freundschaft, sondern in einer Freundschaft muss ich aktiv sein. Ich muss um den Freund werben und muss für den Freund da sei. Freundschaft – eine wahre Freundschaft – sollte ein Leben lang halten. Die Liebe ist vergänglicher. Die Freundschaft ist unabhängig von Schönheit, Klasse, Rasse oder was auch immer. Die Freundschaft überwindet gerade in unseren Zeiten den Rassismus, den Nationalismus, das Alter und Geschlecht. Die Freundschaft ist noch viel zeitloser als die Liebe.