Joachim Eschemann war Leiter des Referats für Kriminalitätsangelegenheiten im NRW-Innenministerium. Davor war er Projektleiter im Landeskriminalamt für mehr vorausschauende Polizeiarbeit, im Fachjargon als „predictive policing“ bezeichnet. Unstrittig, dass er ein Fachmann ist. So trat er auch auf am Mittwochabend (29.11.2023), als er Politikern in Castrop-Rauxel sein derzeitiges Betätigungsfeld näher brachte: Eschemann ist Leiter der Sicherheitskooperation Ruhr, kurz: Siko. Und der wird die Stadt Castrop-Rauxel beitreten.
Eschemann tingelt in seiner Leitungsfunktion durch viele Rathäuser. In Haltern am See war er 2023 schon, in Waltrop, in Recklinghausen und anderswo. Überall will er die Entscheider in Verwaltung und Kommunalpolitik für die Siko begeistern. Sie soll vor allem eines: das Phänomen „family based crime“, auch als Clankriminalität bezeichnet, bekämpfen. Spätestens nach seinem Vortrag ist klar: Auch Castrop-Rauxel wird als etwa 70. Kommune beitreten.
Bei der Siko handle es sich nicht um eine Behörde, sondern um ein Netzwerk mit sieben eigenen Fachstellen zur „behördenübergreifenden Kooperation“. 700 Personen seien allein unter dem Dach dieses Netzwerks verfügbar, die mit ihrer Kompetenz in ganz verschiedenen Disziplinen helfen können. Es gehe um 360-Grad-Analysen, um den Wissenstransfer, um Prävention – und um Netzwerkarbeit.
Das größte Hindernis bei verschiedenen Ermittlungs-, Strafverfolgungs- und anderen Behörden in Deutschland sei der Datenschutz: „Es ist gar nicht immer alles verboten bei der Weitergabe von persönlichen Daten“, so Eschemann. Die Bediensteten seien aber oft übervorsichtig. Und dadurch mache man organisierten Straftätern, Sozialbetrügern und Geldwäschern ihre Machenschaften leicht.
Siko Ruhr führt Informationen zusammen
Ein Beispiel: Ein Mann hat einen Auto-Handel, führt daraus 4000 Euro im Monat als Gehalt/Lohn für sich selbst ab. Seine Frau, nach islamischem Recht verheiratet, lebe mit den gemeinsamen vier Kindern in einer anderen Stadt. Sie bezögen dort Sozialleistungen. „Nur durch das Zusammenlegen der Daten entsteht das Bild: Hier haben wir es mit einem Fall von Sozialleistungsbetrug zu tun“, so Eschemann.
Die Siko Ruhr rücke Schreibtische zusammen, lege Informationen nebeneinander, damit Ermittlungen schneller und erfolgreicher würden. Zwar arbeite oft jede Behörde ihren Sachverhalt für sich sauber ab. „Aber erst, wenn man die Informationen zusammenlegt, entsteht ein Gesamtbild. Dass man es oft nicht tut, nutzen die Kriminellen aus“, erklärt Eschemann.
Es sei noch nie gelungen, ein Kriminalitätsproblem mit Repressionen in den Griff zu bekommen. Man brauche ein integratives Sicherheitsverständnis von Polizei und Ordnungsbehörden wie der Stadt, von Bundespolizei und Zoll, und das ganze müsse auf Augenhöhe sein und partnerschaftlich. „Diese Erfolgsstrukturen muss man etablieren und institutionalisieren.“ Eschemann empfahl beispielsweise eine Stabstelle Sicherheit im Rathaus, und sei es nur eine einzelne Person, die den Informationsaustausch und Wissenstransfer organisiere, interkulturelle Kompetenz stärke, früh hinschaue, damit man schnell intervenieren könne.
„Nicht jeder Verwaltungsmitarbeiter im Schulamt oder in der Sozialbehörde muss Vorkämpfer gegen Clankriminalität werden“, so Eschemann. „Aber jeder muss mitdenken, dass seine Informationen auch für andere Behörden von Bedeutung sein können.“
„Wer keine Haltung zeigt, wirkt schwach“
Entscheidend sei, dass der Rechtsstaat Haltung zum eigenen System zeige. „Wer keine Haltung zeigt, wirkt schwach. Haltung aber wird im Ehrbegriffsverständnis der Clans respektiert. In dem Bereich haben wir Nachholbedarf“, meint Eschemann. Ganz gleich, ob es die städtische Ordnungsbehörde sei oder die Staatsanwaltschaft. Man müsse zum Beispiel Bediensteten helfen, Opfer und Zeugen stärken, dass sie vor Gericht aussagen.
Die Politik im Betriebsausschuss 1, für Sicherheit und Ordnung zuständig, stimmte am Mittwoch (29.11.2023) nach dem Vortrag von Eschemann einem Beitritt der Siko Ruhr zu. Nur „Die Partei“ stimmte dagegen. Kommende Woche wird Joachim Eschemann auch im Stadtrat vortragen (Do, 7.12.2023, 17 Uhr, Ratssaal). In einigen Wochen kehrt er dann vermutlich zur Vertragsunterzeichnung zurück.
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