Jörg Schlösser von „Die Schlössers“ im Interview So schwul ist deutscher Schlager wirklich

Jörg Schlösser von „Die Schlössers“: So schwul ist deutscher Schlager wirklich
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Mit ihrem neuen Song „Samstag wird noch geiler“ ist das Castrop-Rauxeler Schlagerduo „Die Schlössers“ auf Platz 37 der Mallorca Megacharts eingestiegen. Bevor die beiden auf der Partyinsel durchstarten, gab Jörg Schlösser ein Telefon-Interview. Er deckt auf: Die Schlagerszene ist bunter, als sie scheint.

Wie viel Macho-Gehabe gibt es im aktuellen Schlager?

Das hat es früher mehr gegeben, so in den 70er Jahren. Der Schlager ist moderner geworden, das sieht man gerade im Pop-Schlager wie von Vincent Weiss. Dazu gibt es den normalen Schlager, auf dem Disco-Fox getanzt wird, wie im Pur-Party-Mix, und den Ballermann-Sound. Da gibt es das sicherlich mehr.

In welche Kategorie gehören „Die Schlössers“?

Genau dazwischen. Wir machen ja schon lange Schlager und haben jetzt mit „Samstag wird noch geiler“ erstmalig einen Ballermann-Song rausgebracht. Wir haben aber auch viel Lust auf die moderne, poppige Schlagerart. Deshalb wissen wir noch gar nicht, wo wir hingehören.

Was ist eigentlich so toll an Ballermann-Schlager?

Da kann jeder mitgrölen. Der Song soll ein Ohrwurm werden. Ballermann-Musik ist für Leute, die feiern wollen. Der Text interessiert sie nicht. Sie interessiert die Melodie und ob sie mitsingen können. Um den Sinn geht es nicht. An Künstlern wie den Flippers, die schon vor Jahrzehnten populär waren, sieht man es. Einer von denen ist dieses Jahr überraschend bei Rock am Ring aufgetreten und die Leute haben diesen Menschen abgefeiert und kannten den Text. Der hat alles richtig gemacht.

Ihr seid mit eurer Homosexualität ja sehr offen. Wie viele bekennend queere Künstler gibt es im deutschen Schlager?

Garantiert viel zu wenig. Aber die Dunkelziffer ist sehr hoch, nur wenige bekennen sich dazu, ähnlich wie im Fußball. Es wird aber viel spekuliert. In den 70er Jahren wurden Sängern wie Rex Gildo mit Fiesta Mexicana Homosexualität angekreidet. Der erste bekannte Fall im Schlager war Patrick Lindner, der eher für ältere Menschen Musk gemacht hat. Bei ihm sind damals viele Fans abgesprungen. Es hat auch viel mit der Popularität zu tun. Wie oft wurde über Florian Silbereisen gesagt, dass er schwul ist und sich Helene Fischer als Pseudo-Frau an die Seite gestellt hat.

Gibt es aktuelle Gerüchte um Schlagerstars?

Die gibt es immer. Beim bereits verstorbenen Jürgen Marcus gab es das Gerücht immer, der hat sich später auch dazu bekannt. Kerstin Ott hat sofort Klartext gesprochen. Bei jemandem wie ihr sagt man, dass man es der Person ja schon angesehen hat, was natürlich Quatsch ist. Marianne Rosenberg ist irgendwann auch offen damit umgegangen. Sie hatte erst eine ziemlich wilde Beziehung mit Rio Reiser und später mit einigen Frauen.

Ist es im Schlager einfacher oder schwieriger, sich zu outen?

Kann man nicht sagen, das ist eher von der Person abhängig. Es liegt daran, was für ein Mensch man ist, wo man in der Gesellschaft steht und wie egal es einem ist. Für uns ist das überhaupt kein Ding gewesen, weil wir seit Jahren offen damit umgehen, nicht nur in Castrop-Rauxel. Wenn uns mal einer gefragt hat, ob wir schwul sind, haben wir immer gesagt: „Ja, du nicht?“ Für uns war das normal.

Welchen Vorurteilen begegnet ihr als schwules Schlagerpaar?

Karsten und ich wurden auf einer Veranstaltung schon als Brüder-Paar angekündigt. Da haben wir uns angeguckt und auf der Bühne geküsst. Außerdem machen wir seit zig Jahren die größte AIDS-Gala in Europa. Von vielen Gästen werde ich gefragt, ob die Künstler alle AIDS haben. Dabei treten die einfach für einen guten Zweck auf. Dieses Vorurteil hält sich hartnäckig. Oder letztes Jahr ist das in der Schlagerszene bekannte Schlagerduo Fantasy bei uns aufgetreten. Da sagten die Leute: Die sind schwul. Weil sie bei uns aufgetreten sind. Das witzige ist: Einer ist es tatsächlich, der Freddy, der andere nicht.

Wirklich erstaunlich, wie manche Vorurteile sich halten.

Wir bekommen auch Sprüche wie: „Auch wenn du schwul bist, das macht mir nichts.“ Ich finde das abwertend. Meine Antwort ist dann: „Mir macht es auch nichts aus, dass du hetero bist.“ Viele Menschen sind dumm. Die beschäftigen sich nicht mit Homosexualität und haben Vorurteile. Wer weiß, wie viele Ballermann-Stars so sind wie wir, aber nichts sagen, weil sie dann vielleicht nicht mehr auf der Bühne stehen können und nicht mehr von ihren Fans abgefeiert werden. Wenn uns keiner mag, interessiert uns das nicht. Wir haben beide einen normalen Job, wir müssen nicht von der Musik leben. Uns ist das Wichtigste, dass wir uns selbst nicht belügen, deshalb spielen wir mit offenen Karten.

Gibt es auch Anfeindungen gegen euch?

Bei Instagram oder Facebook bekommen wir ständig Nachrichten, in denen „verrecke“ oder sonst was steht. Sowas ignorieren wir. Es gibt aber auch Gegenbeispiele. Wir waren in Gelsenkirchen auf einem Open-Air-Konzert von den Freeway Rider‘s aus Essen, also Rockern eines Motorradclubs. Die haben sofort ein Statement darüber abgegeben, dass die eine Randgruppe sind, genau wie Homosexuelle, dass das schade ist und wir uns gegenseitig nichts tun. Das war eine tolle Veranstaltung, die gezeigt hat, dass Rocker und Homosexuelle komischerweise gut zusammenpassen.

Ihr thematisiert eure Sexualität aber nicht in euren aktuellen Songs. Hab ihr das noch vor?

Mal schauen. Es ist mal ein Produzent an uns herangetreten, der hatte einen Song namens „Der Susan aus Leverkusen“, in dem es um eine trans Person ging. Er sagte, das könnten nur wir singen, er könne es keinem Ballermann-Sänger geben, der als Macho auf die Bühne geht. Ich fand den Text gut, den müsste aber, wenn überhaupt, eine Person singen, die selber betroffen ist. Wir machen erstmal das, worauf wir Lust haben.

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