Jüdischer Kantor Isaac Tourgman sieht Israel im Zugzwang „Der schlafende Riese ist erwacht“

Isaac Tourgman sieht Israel im Zugzwang: „Der schlafende Riese ist erwacht“
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Eigentlich ist Recklinghausen weit entfernt von Tel Aviv und Co., doch als am 7. Oktober der pure Terror über Israel hereinbrach, war das

Land auf einmal ganz nah – auch für Isaac Tourgman. „Über das Internet, WhatsApp oder Facebook habe ich ganz schnell erfahren, was los ist“, erklärt der 66-Jährige, der schon seit Jahrzehnten ein herausragender Repräsentant der Jüdischen Kultusgemeinde im Kreis Recklinghausen ist.

Doch auch Tage nach dem Angriff der radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas kann Tourgman nicht wirklich fassen, was da passiert ist: „Man findet keine Worte, man kann es gar nicht glauben, das ist ein Schock.“

Wie alle sei auch er von der Attacke überrumpelt worden. Doch überrascht habe ihn auch das Ausmaß des Hasses, den die Hamas nach Israel hineingetragen hat. „Da sind Kleinkinder getötet worden, ganze Familien wurden geköpft. Frauen wurden vergewaltigt, und alte Leute hat man tanzen lassen, um sie zu demütigen“, sagt Isaac Tourgman – und der Schmerz, den ihm diese Sätze zufügen, ist zu spüren.

Nach offiziellen Angaben des israelischen Militärs sind seit der Attacke mehr als 1200 Israelis getötet und mehr als 3200 verletzt worden (Stand 13. Oktober). Mindestens 150 Menschen wurden zudem in den Gazastreifen entführt. Bestätigt wurden auch 222 tote israelische Soldaten.

Direkte Familie ist nicht betroffen

Seine direkte Familie sei derzeit zum Glück nicht betroffen, erklärt Isaac Tourgman, der die Auseinandersetzungen zwischen Israelis und unterschiedlichsten arabischen Gruppierungen seit frühester Kindheit kennt („Es gab immer Terror-Anschläge“). Aufgewachsen ist er in Nahariya im Norden Israels, das nur elf Kilometer von der libanesischen Grenze entfernt liegt: „Auch dort sind Raketen geflogen, abgeschossen von der Hisbollah im Libanon.“

In Isaac Tourgman, der ab dem 18. Lebensjahr selbst sechs Jahre lang beim Militär war, lösen die Ereignisse einerseits eine tiefe Betroffenheit aus, andererseits wecken sie aber auch einen Kampfgeist, der nie wirklich weg war. Und das gelte eben nicht nur für ihn selbst: „Die Israelis sind stark.“

Und Tourgman ist sich sicher, dass das auch in den kommenden Wochen unter Beweis gestellt wird. Als historische Referenz zieht er dabei den japanischen Angriff auf Pearl Harbour auf Hawaii im Zweiten Weltkrieg heran, der die USA im Jahre 1941 erst geweckt habe. „Genauso ist es jetzt auch: Die Hamas hat eine Grenze überschritten, ganz Israel ist wach und steht zusammen – egal, ob links oder rechts.“ Womit er auf die innenpolitischen Debatten abzielt, die zuletzt einen Keil in die israelische Bevölkerung getrieben hatten: „Das zählt nun nicht mehr.“ 400.000 Reservisten seien alarmiert.

Doch so weit hätte es nicht kommen müssen: Schon der einstige Palästinenserführer Jassir Arafat wäre nie auf das Angebot, friedlich zusammenzuleben, eingegangen. Er hätte stattdessen immer mehr eingefordert und die Geduld der Israelis beansprucht. Das ziehe sich durch die Geschichte, „bis heute lassen die Palästinenser alle nach ihrer Pfeife tanzen, auch Deutschland“, sagt Tourgman, „doch das ist jetzt vorbei.“

Raketenabwehrsystem im Einsatz
Mit Raketenabwehrsystemen hat sich Israel gegen den Angriff gewehrt. © picture alliance/dpa

Man könne zum israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu stehen, wie man will, „aber auch für den war ein schlechter Frieden immer noch besser als ein guter Krieg. Doch jetzt ist die Hamas zu weit gegangen, Israel macht ab sofort die Regeln.“ Man habe die Legitimation, die Hamas auszulöschen. Isaac Tourgman geht fest davon aus, dass genau dieses das Ziel der israelischen Führung ist und auch sein muss. „Denn wenn Israel das nicht schafft, dann wird der Geist der Hamas auch nach Europa getragen.“

Tourgman glaubt nicht, dass alle Palästinenser Anhänger der Hamas sind, „aber niemand hat sich dort vom Handeln der Hamas distanziert“. Und überhaupt: „Von der gesamten arabischen Welt kam keine Reaktion.“ Verhandlungen mit Terroristen kämen nicht infrage, auch wenn noch viele Entführte im Gazastreifen seien: „Das ist ein Fenster zur Erpressung, doch Israel wird darauf nicht eingehen.“

Das Szenario, das Isaac Tourgman für die nächsten Wochen und Monate entwirft, ist nur schwer vorstellbar und erträglich: „Von Gaza wird nicht viel übrig bleiben, wenn die Hamas sich dort versteckt. Aber die Hamas kann Gaza retten, wenn sie rausgeht.“ Dass damit wieder an der Spirale der Gewalt gedreht wird, ist ihm schon bewusst: „Am besten ist eben, man fängt damit gar nicht erst an.“

Und weiter: „Wir haben immer gedacht, wir hätten es mit Menschen zu tun und nicht mit Tieren. Wir werden gezwungen, uns so zu verhalten.“ Tourgman sieht harten Zeiten entgegen: „Das wird schwer für die Israelis. Die Welt wird gegen Israel sein.“

„Aus Hass erwächst nie etwas Gutes“

Trotzdem sei für ihn klar: „Aus Hass erwächst nie etwas Gutes“, so Tourgman: „Sechs Millionen Juden sind von den Nazis umgebracht worden, aber deswegen hassen wir die Deutschen nicht.“ Daher bringt er auch überhaupt kein Verständnis dafür auf, „dass schon Kinder in den Schulen im Gazastreifen zum Hass erzogen werden“. Und das werde mit Geld aus Europa, auch aus Deutschland, sogar noch unterstützt.

Isaac Tourgman sieht nur eine logische Konsequenz: „Auch in Deutschland muss man einen Schlussstrich ziehen, sonst wird das alles auch hierhin schwappen.“ Seiner Ansicht nach ist die Clan-Kriminalität, die in Deutschland zunehme und die zum Beispiel in Schweden schon zu haarsträubenden Verhältnissen geführt habe, ein Indiz für diese Entwicklung.

Nicht deutlich genug könne man daran erinnern, dass die Hamas vom Iran finanziert wird: „Der sorgt für die Bewaffnung und das Training, doch auch dort wird man sich noch wundern“, sagt Isaac Tourgman: „Der schlafende Riese ist erwacht.“

(Das Gespräch führte unsere Redaktion am Donnerstag. Inzwischen steht Israel kurz vor dem Einmarsch im Gaza-Streifen, Stand: 15. Oktober, 16 Uhr)

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