
© Ronny von Wangenheim
Illegale Bebauung an der Victorstraße: Eigentümer wundert sich über Stadt
Victorstraße
Die Nachricht, dass jede Bebauung auf der Grünfläche an der Victorstraße unzulässig ist, hat viele der 50 Eigentümer und Pächter aufgeschreckt. Es gibt Kritik an der Stadt. Und Verwunderung.
Seit Ende der 1960er-Jahre bauen Castrop-Rauxeler Gemüse oder Obst auf einem Gelände an der Victorstraße in der Nähe des Westrings und der Bahnlinie an. 50 Parzellen gibt es dort. Seit den 80er-Jahren entstehen immer mehr kleine Gebäude: Gartenlauben, Holzhütten, Gewächshäuser, Zwinger. Jetzt hat die Stadt reagiert und allen Grundstückseigentümern einen Brief geschrieben. Die ersten Reaktionen sind da.
Die bittere Tatsache: Bei den Flächen handelt es sich um Außenbereich. Und damit ist jede Bebauung, sogar eine Terrasse, unzulässig. In ihrem Brief hat die Stadt auch gefragt, ob eventuell Genehmigungen vorliegen. Die ersten Eigentümer, das bestätigt Stadtsprecherin Nicole Fulgenzi, haben sich bereits gemeldet und erste Gespräche geführt. Jeder einzelne Fall müsse individuell geprüft werden.
Einen „städtebaulichen Missstand“ nannte das Stadtbaurätin Bettina Lenort im Gespräch mit unserer Redaktion. Erlaubt sei nur die leere Parzelle. Und sie sagte, dass die Stadt die Ursprünge nicht kenne. Es gebe keine Unterlagen bei der Stadt.
Warum wird die Stadt nach Jahrzehnten plötzlich aktiv
Das wundert Jürgen Wischnewski sehr. Der Castrop-Rauxeler Rechtsanwalt besitzt eine der Parzellen und weiß genau, wie sie in den Besitz seiner Familie kam. „Ich bin erstaunt, dass die Stadt gar nichts wissen soll“, sagt er. Und dass sie jetzt plötzlich nach Jahrzehnten aktiv werde, überrascht ihn auch.
„Hier gibt es kein Wasser, keinen Strom“, sagt er, „hier brennt noch nicht mal ein Kartoffelfeuer. Und übernachtet wird hier auch nicht regelmäßig“. Damit reagiert er auf die Nachricht, dass ein besorgter Bürger sich wegen der Brandgefahr und fehlender Rettungswege an die Stadt gewandt hatte. Die daraufhin aktiv wurde.
Seine Parzelle ist nicht bebaut. Handlungsbedarf gibt es bei ihm also nicht, wie der Blick über das Gartentor zeigt. Das Tor und den Zaun hat die Emschergenossenschaft gebaut. Das war eine Gegenleistung dafür, dass Jürgen Wischnewski die Fläche für eine gewisse Zeit zur Verfügung stellte. „Hier ging es 20 Meter in den Boden. Das war im Zuge der Renaturierung des Deininghauser Baches“, berichtet er.
Am Anfang standen Siedlerscheine
Doch wie ist das alles entstanden? Jürgen Wischnewski erzählt von seinem Vater Fritz Wischnewski, der nach dem Zweiten Weltkrieg als Flüchtling aus Ostpreußen nach Castrop-Rauxel kam. Dessen Eltern hatten in der alten Heimat einen Bauernhof besessen. Das war die Voraussetzung, einen Siedlerschein zu bekommen.
Und mit dem Siedlerschein wiederum konnte die Familie Wischnewski 1967/68 ein Haus an der Moritzstraße kaufen und zusätzlich eine 400 Quadratmeter große landwirtschaftliche Nutzungsfläche. Die Häuser, die den Siedlern aus dem Osten zum Kauf angeboten wurden, so berichtet Wischnewski, gehörten früher den Klöckner-Werken und lagen an der Max- , Moritz- und Victorstraße.
Vergeblich habe der Vater anfangs versucht, Kartoffeln anzubauen. 20 Kilo Saatkartoffeln und 18 Kilo Ertrag, so hat es Fritz Wischnewski minutiös verzeichnet, erzählt sein Sohn lächelnd. Dann habe man das Grundstück lange verpachtet. Jetzt wolle das die Familie nicht mehr. Obwohl die Nachfrage enorm sei. „Erst gestern habe ich eine Anfrage bekommen“, erzählt er. „Aber wir überlassen es jetzt der Natur.“
Wasser kommt aus einigen Brunnen, Strom gibt es nur mit Aggregat
Auch andere Eigentümer haben ihre Parzellen verpachtet. Giuseppe Cervino ist einer der Pächter. Er baut viel Gemüse an: Zucchini, Paprika, Bohnen, Auberginen, Mangold, außerdem Tomaten. Seit 2002, also seit fast 20 Jahren gärtnert er hier. Die kleine Hütte, die er damals vorfand, hat er noch etwas ausgebaut. Hier lagern sein Werkzeug, der Rasenmäher und andere Utensilien.

Giuseppe Cervino hat seit knapp 20 Jahren eine Parzelle an der Victorstraße gepachtet. Er baut hier viel Gemüse an. © Ronny von Wangenheim
Wenn er Strom braucht, nutzt er ein Aggregat. Wasser kommt aus einem Brunnen, wie es einige auf dem insgesamt 16.000 Quadratmeter großen Gelände gibt. Gemeinsam mit dem Nachbarn hält er acht Hühner. „Für die Eimer.“ Alle zwei Tage kommt er deshalb vorbei.

Giuseppe Cervino hat seit knapp 20 Jahren eine Parzelle an der Victorstraße gepachtet. Er baut hier viel Gemüse an. In der Hütte bewahrt er sein Werkzeug und den Rasenmäher auf. © Ronny von Wangenheim
Noch hat er nichts vom Eigentümer seiner Parzelle gehört, aber mit Nachbarn hat er sich schon ausgetauscht. Wie es weitergehen wird, weiß er nicht. Er hofft auf eine, von der Stadt angekündigte, Eigentümerversammlung.
„Ich bin jeden Tag hier. Das ist mein ganzes Leben“
Darauf setzt auch Edward Wojcichowski. Vor rund 25 Jahren hat er die Parzelle gekauft. „Für die Hütte gibt es eine Genehmigung“, sagt er. Aber nicht für das große Taubenhaus und andere kleine Bauten. Vor einem Jahr hat er die Parzelle verkauft, kann sie aber immer noch nutzen. „Ich bin jeden Tag hier“, sagt der. „Das ist mein ganzes Leben.“ Vor allem an den Tauben hängt er. Mit dabei sind aber auch Katzen und ein Hund.
„Ich warte jetzt auf eine Versammlung“, sagt er. Und betont ausdrücklich: „Ich sehe es positiv. Ich will eine Lösung finden.“ Aber auch er versteht die Aktion der Stadt nicht ganz: „Die Leute haben hier über Jahre gebaut. Die Stadt hätte doch die ganze Zeit immer sofort auf neue Bauten reagieren können. Ist denn hier nie jemand vorbeigekommen und hat sich umgesehen?“