Castrop-Rauxel hat Glück gehabt. Während die andauernden Regenfälle in den vergangenen Tagen in vielen Regionen Deutschlands zu Hochwasser führten und auch in unmittelbarer Umgebung in unter anderem Selm, Lünen, Werne, Nordkirchen und Olfen für Überflutungen sorgten, waren es in der Europastadt „nur“ einige Keller, die unter Wasser standen.
Doch wie kommt es, dass die derzeitige Hochwasser-Situation an der Lippe in unserer Region eine komplett andere ist als an der Emscher? Wir haben Illias Abawi um eine Einschätzung und Erklärung gebeten.
„Völlig unterschiedliche Lagen“
„Wir haben bei Lippe und Emscher wirklich völlig unterschiedliche Lagen“, erklärt der Sprecher von Emschergenossenschaft und Lippeverband. Die Lippe sei mit ihren knapp 220 Kilometern Länge – sie entspringt in Bad Lippspringe und mündet bei Wesel in den Rhein – ein „Langstreckenläufer“. Die Emscher sei mit ihren rund 83 Kilometern Länge – sie entspringt bei Holzwickede im Kreis Unna und mündet zwischen Voerde und Dinslaken in den Rhein – hingegen eher ein „Sprinter“.
Die Lippe sei außerdem „sehr ländlich geprägt“, habe mehr Zuflüsse und Schleifen. Die Emscher hingegen sei „kleiner, schneller und begradigter – die führt ein Hochwasser relativ schnell ab, wohingegen es sich in der Lippe auch über längere Zeit hält“.
Insgesamt führt Experte Ilias Abawi drei Gründe dafür an, dass Castrop-Rauxel vom Hochwasser verschont geblieben ist: die geografische Lage, die Entlastung der Anlagen durch den Emscher-Umbau und die Art des Niederschlags.
Geografische Lage
„Castrop-Rauxel liegt nah am Quellgebiet der Emscher. Deshalb hat die Stadt verdammt viel Glück“, erklärt Ilias Abawi. Der ehemals oft auch „Köttelbecke“ genannte Fluss entspringt südöstlich von Dortmund bei Holzwickede. Bis er Castrop-Rauxel erreicht, fließen rund zehn Nebenflüsse in ihn.
Zum Vergleich: Auf dem Abschnitt nach Castrop-Rauxel und bis zur Mündung zwischen Voerde und Dinslaken sind es 22 Nebenflüsse. Je weiter man sich also vom Oberlauf des Flusses entferne, desto mehr Wasser käme aus den Nebenflüssen hinzu, das ebenfalls abfließen müsse, so Abawi.
Auswirkungen des Emscher-Umbaus
„Dass Castrop-Rauxel vom Hochwasser verschont geblieben ist, hat ganz massiv mit dem Emscher-Umbau zu tun“, sagt Ilias Abawi. Dafür müsse man vor allem auf die Maßnahmen blicken, die die Emschergenossenschaft in den vergangenen Jahren in Dortmund umgesetzt habe, erklärt er. „Wir haben alleine in Dortmund mehr als zehn Hochwasserrückhaltebecken geschaffen. Und die haben schon viel Wasser zurückgehalten“, erklärt Abawi. Exemplarisch nennt der Experte die „Emscher-Auen“ zwischen Ickern und Mengede. „Das hat dafür gesorgt, dass die Emscher in den vergangenen Tagen ab Ickern relativ entspannt geflossen ist.“

Auch die an vielen Stellen bereits erfolgte Renaturierung des Flusses trage dazu bei. Abawi nennt ein Beispiel aus Deusen: Hier hat die Emschergenossenschaft in der Vergangenheit die Berme weggenommen. Das ist eine Art „Treppenabsatz“ zwischen Flusslauf und Deichböschung. Durch den Wegfall dieser kann der Fluss bei Hochwasserlagen breiter werden und bleibe dann aber auch flacher, erklärt Abawi. Außerdem gebe es hier Ausbuchtungen, die die Fließgeschwindigkeit der Emscher reduzierten und in der Folge auch die Gefahr von Hochwasserschäden. Dass die Ufer des Flusses mitunter überflutet werden, sei übrigens gewollt, erklärt Ilias Abawi. „Das tut so einem Gebiet auch gut, weil solche Auenflächen für die Artenvielfalt förderlich sind.“ In der Emscher gelte es, diese noch zu erreichen.
Art des Niederschlags
„Was wir in den vergangenen Tagen verzeichnet haben, war Dauerregen. Das ist nicht vergleichbar mit einem Starkregen, wo in kürzester Zeit viel Regen fällt“, sagt Ilias Abawi.
Den hatte es in Castrop-Rauxel zuletzt bekanntlich im Juni gegeben: Laut der Wetterwarte des Deutschen Wetterdienstes kamen damals am Stadtmittelpunkt rund 50 Liter pro Quadratmeter zusammen. Viele Keller in der Europastadt liefen in der Folge voll, weil das Wasser nicht schnell genug abfließen konnte.