
© Silja Fröhlich
Heinz Tafel und der lange Weg der Mitbestimmung
Abschied vom Bergbau
Heinz Tafel war Personal- und Betriebsdirektor auf Zeche Victor. Für ihn bedeutet der Abschied von der Kohle mehr als den Verlust alter Traditionen. Die Sozialkritik eines Ur-Ickerners.
Heinz Tafel ist ein Gentleman, ein Mann der Sorte, der einer Dame beim Eintritt die Jacke abnimmt und die Tür aufhält. Auch auf Pünktlichkeit legt er großen Wert, denn damals im Bergbau, da musste man pünktlich sein. Die Kissen in seiner Wohnung liegen exakt auf dem Platz, an dem sie sollen, und in jedem Winkel sind kleine Hinweise auf eine Zeit zu finden, die Heinz Tafels Leben stark geprägt haben. Stolz ist er auf seine Vergangenheit und stolz darauf, auch heute immer noch ein Kumpel im Herzen zu sein.
„In den Bergbau zu gehen war damals nicht so normal, wie man denkt“, erzählt er. Seine Kindheit lief nicht so ab, wie es sich der später sehr erfolgreiche Ur-Ickerner gewünscht hätte. „Ich wollte gerne zur Realschule, doch durch die politische Gesinnung meines Vaters war ich nicht tragbar.“ Das war während des Zweiten Weltkriegs. Heinz Tafel war 10 Jahre alt, als ihm 1942 der Zugang zur Realschule verwehrt wurde.
Sein Vater: Ein Altkommunist, der schwere Jahre in der Strafkompanie und im Konzentrationslager ertragen musste. „Er war es, der mir auch sagte, dass ich mich politisch besser nicht festlegen solle“, erinnert sich Heinz Tafel, der fast 30 Jahre lang in der SPD tätig war. Doch der heute 86-Jährige bezeichnet sich selber als jemand, der immer schon seinen Kopf durchgesetzt hat. Eine Eigenschaft, die ihm in seinem Berufsleben zu gute kommen sollte.
Mit 14 die Schule geschmissen
Mit 14 Jahren schmiss Heinz Tafel die Schule, aber „das war eigentlich ziemlich normal. Mein Vater war im Krieg und ich der Hauptverdiener.“ Es galt, Mutter und Geschwister zu versorgen, und so konnte er einen Antrag auf vorzeitige Entlassung aus der Schule stellen. Am 15.2.1947, mit 15 Jahren, wurde er Berglehrling auf Zollern I in Kirchlinde. „Es gab Kleidung, Schuhe, ein Bütterchen und nach der Schicht warmes Essen aus dem Blechnapf“, alles Gründe, die Heinz Tafel dazu brachten, sich für den Weg der Kohle zu entscheiden. Dieser Weg sollte nicht nur nach unten in den Stollen führen.
Nach der Ausbildung legte Heinz Tafel 1953 auch seine Hauerprüfung ab. Doch er blieb nicht nur Hauer, sondern fand seine Bestimmung schnell in der gewerkschaftlichen Laufbahn. „Ich wurde zunächst Schachtgewerkschaftsjugendleiter. Verantwortlich war ich für die Betreuung und Interessenvertretung Jugendlicher – und dafür, dass alles in Ordnung war bezüglich der Ausbildung und Schulung.“ Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Gewerkschaften im Aufschwung. Und Heinz Tafel sprang auf den Zug auf. Den Weg der Mitbestimmung, so nennt er es.
Von der Arbeit freigestellt
1957 stieg er dann zu den „Großen“ auf und wurde in den Betriebsrat gewählt. „Ich wurde freigestellt“, erklärt Hein Tafel. „Ich konnte beispielsweise meine Arbeitszeiten frei wählen und die Arbeitsplätze der Kumpel unter Tage befahren. Aber es war immer ein Kampf. Um die Sicherheit und den Schutz der Arbeitenden, und um Geld. Auch die Gesundheit war wichtig. Später ging es dann darum, den Pütt zu erhalten, als die Zechen nach und nach geschlossen wurden, denn die Schließung hing immer wie ein Schwert über uns.“
Heinz Tafel ist ein entschlossener Mann. Während seiner Zeit im Betriebsrat habe er jedoch immer im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber gearbeitet und feierte einige Erfolge. „Wir konnten verhindern, dass jemand auf die Straße gesetzt wurde, einen neuen Arbeitsplatz nach der Zeit in der Zeche bekam.“ Als sich in Bochum 1961 Autohersteller Opel ansiedelte und dort keine Kohle mehr abgebaut werden durfte, wurden die Bergleute dort übernommen. 1968 dann übernahm Heinz Tafel die Position seines Ziehvaters und wurde Betriebsvorstandsvorsitzender auf der Zentralanlage Germania, die sich mit Zollern vereinigt hatte.

Die Zeche Victor um das Jahr 1960 herum. Hier war Heinz Tafel bis zu seiner Pensionierung in vielen Funktionen tätig.
„Meine Aufgaben blieben, doch hinzu kam der Kampf um die Schaffung der Ruhrkohle AG, die eine Einheitsgesellschaft der Rhein-Elbe-Bergbau AG werden sollte. Und bei der Gründung der Ruhrkohle wurde ich auserwählt, ab dem 1. Januar 1970 Betriebsdirektor von Viktor Ickern in Castrop-Rauxel zu sein.“
PS-Direktor auf Victor Ickern
Eine hohe Position, denn nun stand Heinz Tafel nur noch dem Werksleiter unter. Verantwortlich wurde er für „Personal und Sozialwesen“, abgekürzt: PS-Direktor. Er sah seine Aufgabe darin, auch menschliche Probleme anzugehen. „Sagen wir einmal: Ein Vater, der im Bergbau arbeitet, sorgt sich um die Ausbildung seines Sohnes. Er kam zu uns und wir versuchten, den Jungen bei uns einzubinden und einen vernünftigen Mann aus ihm zu machen, damit sein Vater unbesorgt seine Arbeit verrichten kann“, so Heinz Tafel.
Heute sei das anders, „wenn man sich die Jugend auf der Straße anschaut, oder wie die Menschen in ihrem Job hin und her geschoben werden. Dem hätten wir damals abhelfen können.“
Der Ton im Bergbau sei rau, aber herzlich gewesen, es habe Kameradschaft geherrscht. Heinz Tafel sieht den Einfluss der Bergbau-Gewerkschaften mit verantwortlich dafür, dass die Arbeit zu der Zeit menschlicher wurde. „Wir konnten natürlich Schwarzes nicht weiß machen“, gibt Heinz Tafel zu. „Aber einen Wunsch habe ich nie abgelehnt, ohne mein „Nein“ wenigstens zu erklären.“ Etwas, das Heinz Tafel an seiner Arbeit hoch schätzte, war die Zusammenarbeit mit allen Betriebsbereichen: „Es wurde nicht diktiert, sondern diskutiert, es ging immer darum, gesunde Kompromisse zu finden, „zusammen zu leben, zu arbeiten und zu raufen.“
Kameradschaft ist flöten gegangen
Das alles sei verloren, so Heinz Tafel. Mit dem Abschied von der Kohle ginge viel mehr als nur alte Tradition verloren, Knappenvereine, Männerchöre oder das Wissen über den Bergbau. „Es sind nicht nur die Arbeitsplätze, die weg sind, es ist auch die Kameradschaft, das Mitmenschliche“, bedauert Tafel. Jugendliche hätte der Bergbau früher aufgefangen und zu vollwertigen Mitgliedern der Gesellschaft gemacht. Keiner wäre nach dem Jobverlust ins Bergfreie gefallen.
Es war aber nicht alles Gold. „Rückblickend ist es nicht so, wie man die Zeit heute darstellt. Wir sind anders groß geworden, ich erinnere mich gut an die 10 Zentimenter dicke Schicht roter Erde auf der Decke im Kinderwagen, als wir einmal in Dortmund spazieren gingen und die Hütte dort die Erde ausstieß.“
„Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder Blau werden“, sagte Willy Brandt 1961. Daran erinnert sich Heinz Tafel. „Als Kinder haben wir kaum die Sonne gesehen, es war immer diesig.“ Aber das sei nun mal so gewesen. „Heute regen sich die Menschen über einen Milligramm Schmutz zu viel in der Luft auf, und da muss direkt alles geändert werden, ohne über die Konsequenzen für die Menschen nachzudenken. Da herrscht Dramatik, da werden direkt Gesetze geändert“, so Heinz Tafel. Seine Generation wisse, wie sich so etwas entwickle, es gelte, Lösungen für Probleme zu finden, kurz-, mittel- oder langfristig. Aber nicht überstürzt.
Mit 51 Jahren ging es in Pension
Bis 1983 blieb Heinz Tafel auf Viktor Ickern. Zuletzt als Betriebsdirektor. Danach folgte die Rente, mit nur 51 Jahren. Darüber ist Heinz Tafel froh. „Mit 30 waren wir damals ja schon körperlich kaputt“, erzählt er. Doch es hielt ihn nicht im Ruhestand, der Ickerner war schon immer aktiv, und das in jeder Hinsicht. Sportlich und auch parteipolitisch.
Von 1954 bis 1994 war er aktives Mitglied der SPD, war auch Ratsmitglied. Seine Arbeit als Betriebsdirektor trennte er konsequent von seinen parteipolitischen Aktivitäten, „da machte ich einen klaren Strich.“ Nicht immer schaffte er es, das Unvorhersehbare zu erahnen.
Nach der Wiedervereinigung reaktiviert
So meldete sich 1990 unverhofft die IG Bergbau bei ihm. „Wir brauchen dich, sagten sie. Wofür? Um bei der Wiedervereinigung zu helfen“, erzählt Heinz Tafel. So wurde er mit 58 Jahren noch einmal in die Position eines Arbeitsdirektors erhoben, und kümmerte sich in Chemnitz für seine damals 2200 Mitarbeiter als einziger „Wessi“ um den Personalbereich und Arbeitsschutz.
Zwei Kulturen stießen hier aufeinander, „alles ging drunter und drüber“, so beschreibt der 86-Jährige die Anfänge im Osten. Die „Mannschaft“ aber, wie er die Gruppe aus Vorstand und Abteilungsleitern nennt, habe gut zusammen gearbeitet, nur die Politik habe ihre Arbeit immer wieder zurück geworfen. Bis Juni 1992 blieb Heinz Tafel im Dienst, bis er sich schlussendlich in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedete.
Ich bin immer noch einer von denen
Heute sitzt er in seiner Wohnung, umgeben von kleinen Bergarbeiterfiguren, einem Thermometer mit Bergbausymbolen und dem Foto eines seiner Söhne, den es, ganz wie seinen Vater, in den Bergbau trieb. Bald treibt es Heinz Tafel noch einmal zurück zur Ruhrkohle, zum Weihnachtskonzert des Ruhrkohle- Chores am 16. Dezember in Bochum, wo er alte Kameraden wieder treffen wird. „Ich bin immer noch einer von denen“, sagt Heinz Tafel und lächelt dabei auf eine Weise, die für einen Moment den 15-Jährigen enthüllt, der im Jahr 1947 einen langen Weg von der Schule über die Kohle hin zum Recht der Mitbestimmung der Arbeiter antrat.