Eskimo Callboy spielte jetzt die neunte Show ihrer Tour in der Turbinenhalle in Oberhausen. Ein Heimspiel. Wir begleiteten die Band den ganzen Tag – vor und hinter der Bühne.
Noch ist es ruhig an diesem Sonntag Ende März 2018. Auf dem Schotterparkplatz vor der Turbinenhalle in Oberhausen stehen zwei Wagen, ganz einsam. Von Konzertluft und Euphorie fehlt so früh am Mittag jede Spur. Lediglich eine Gruppe Mädchen mit bunten Haaren und einigen Flaschen Bier sitzt bereits wartend an den Steinmauern des alten Industriegebäudes. Es ist warm. Vom Winter der vergangenen Wochen kaum noch etwas zu spüren. Dass in den Räumen des 1909 errichteten Komplexes, der zu seiner Zeit noch zur Erzeugung von Strom und Druckluft diente, heute noch Hunderte Menschen grölend ihrer Band zurufen werden, ist kaum etwas zu ahnen. Beim Betreten der Hallen aber wird das sofort anders.
In den Füßen macht sich ein Kribbeln breit. Verursacht durch den immer wieder vom Bass vibrierenden Boden. Die Scheinwerfer auf der Bühne hüllen die Konzerthalle in ein weißlich-violettes Licht – und mit ihr die Jungs von Eskimo Callboy. Es riecht nach Zigaretten. „Ist krass hallig, der Sound“, ruft Kevin Ratajczak, einer der Sänger der sechsköpfigen Band, von der Bühne herab. Hinter ihm erstrahlt ein großes „X“. „Voll das krasse Delay. Wir befinden uns hier in einer atmosphärischen Schleife.“ Es ist Soundcheck.
Zocken statt fetter Party vorweg
Kevin und Sebastian „Sushi“ Biesler, ebenfalls Sänger der Band, haben sich inzwischen hinter einen schwarzen Koffer auf ein abgerocktes rotes Sofa zurückgezogen. Die Daumen der beiden bewegen sich schnell von rechts nach links, von oben nach unten. Der Blick – konzentriert. „Ich mache jetzt ein Tor“, ruft Kevin. In dem schwarzen Koffer steht ein Fernseher. Auf ihm läuft FIFA, ein Fußball-Konsolenspiel. Die Jungs spiegeln sich mosaikartig in der an der Decke hängenden Discokugel. „Das Ding haben wir immer dabei“, erzählt Kevin mit Blick auf den Bildschirm. „Einmal haben wir auf der Raststätte extra den Nightliner angelassen, damit wir Strom zum Zocken haben.“ Um die Jungs versammeln sich immer mehr Crewmitglieder. Den ganzen Nachmittag über bleibt dieser Platz vor der Konsole nicht einmal leer.
Zur Vorbereitung zieht sich die Band zusammen mit dem noch recht jungen Tourmanager Patrick Unger in den Backstage-Raum zurück. Ein schmaler, beinahe schlauchartiger weißer Raum mit einigen Sitzgelegenheiten. Hier checken sie die Gästeliste: Freunde und Familien müssen draufstehen. Die sieht die Band generell sehr wenig. „Im schlimmsten Fall spielt man, und dann kannst du nicht bei deinen Liebsten sein“, erzählt Sushi mit gesenktem Blick und ruhiger Stimme. Geburtstage und Hochzeiten mussten schon für Gigs weichen. Sie sind Profis, leben von ihrer Musik. Umso voller wird der Backstagebereich, wenn Eskimo Callboy weniger als ein Stündchen von der Heimat entfernt spielen.
Sie spielen FIFA, quatschen mit den Liebsten, rauchen eine, ziehen sich noch mal zurück. Der Backstage-Bereich ist weitläufig. Im halb offenen Raucherbereich riecht’s nach Bier. Am späten Nachmittag gibt es Essen. Der Cateringservice hat neben Spanferkel, Kartoffelgratin und Gemüse auch Vorspeisen aufgefahren. Zahlreiche. An erhöhten Tischen sitzt man auf Barhockern beisammen. Fast ruhig ist es, wenn sich die Teller leeren und die Mägen füllen. Der Geruch von Knoblauch und Fleisch füllt noch den ganzen Abend den eher trostlos erscheinenden, braunen Raum. Vom Einlass-Beginn eine Etage tiefer bekommen Eskimo Callboy um 18 Uhr nichts mit. Während die Mädchen schreiend in die Halle rennen, geht es hinter verschlossenen Türen familiär zu. Es läuft O-Zone mit „Dragostea din tei“ und der Crazy Frog. „Wenn hier jemand Bock auf 'ne 90er-Party hat“, ruft einer aus dem Backstage-Raum der Vorbands. Er lacht.
Kurz vor Show-Beginn
Die Halle füllt sich mit einem Publikum, das etwa zwischen 16 und 30 Jahren alt ist und unterschiedliche Motive hat, um hier zu sein: Sebastian (23) aus Rees ist nicht etwa wegen Eskimo Callboy angereist, sondern wegen ihrer Proberaumnachbarn aus Castrop-Rauxel: „To The Rats and Wolves“ heißt die Band, die im Vorprogramm spielt. Jenny (31) und ihr Mann Daniel sind da; ihre 16-jährige Tochter und deren Freundin auch, aber getrennt von den Eltern. Daniel hatte seine Tochter erst auf den Eskimo-Callboy-Geschmack gebracht, erzählt er. Das hat richtig gewirkt. Denn für die 16-jährige Lilly hat die Band einen hohen emotionalen Stellenwert: „Manchmal, wenn es einem schlecht geht, holen die einen wieder hoch. Ich hatte schon sehr lange den Wunsch, die einmal live zu sehen.“
Euphorie vor und auf der Stage
Es wird lauter vor der Bühne. Mit fortschreitender Uhrzeit wird die Luft in der Turbinenhalle immer dicker. Auf der Bühne schwitzen die Vorgruppen Novelists und To The Rats and Wolves. Die Menge hüpft, tanzt, grölt. Sie wird aufgefordert, sich zu setzen, zu springen und die Arme von links nach rechts zu schwenken. Unglaubliche Euphorie macht sich breit. Der Alltag scheint vergessen. Die Leere am frühen Nachmittag ist ausgelassener Party gewichen. Dabei ist der Haupt-Act noch gar nicht am Start.
Gegen 21 Uhr aber: In schwarzen Outfits warten Eskimo Callboy rechts von der Bühne. Immer wieder schreit Kevin, um die Menge einzuheizen. Die vielen Fans rufen ihren Namen. In einem Dunst aus Nebel, Zigaretten- und Biergeruch und jeder Menge Schweiß springen die sechs Jungs auf die Bühne. Songs von „We are the mess“ bis hin zu „Muffin Perper-Gurk“ schreien Sushi und Kevin aus tiefster Seele. Die Gitarrenseiten vibrieren, der Bass dröhnt durch die Halle.
Auch nach einer guten Stunde lässt die Stimmung nicht nach. „Zugabe! Zugabe!“ Die Halle schreit, klatscht in die Hände, ruft Eskimo Callboy zurück auf die Bühne. Die fordert, alles aus den Taschen herauszuholen, das leuchtet. Handylichter blitzen auf und die Feuerzeuge erwärmen den eh schon überhitzen Raum. Weiß-silbernes Konfetti fliegt im Scheinwerferlicht funkelnd zu Boden. Schluss-Akkord. Verschwitzt und mit bester Laune verlässt die Band die Bühne.
Ende gut - alles gut
Für Eskimo Callboy war das die neunte Show auf ihrer Tour. Die Band mit ihren Wurzeln in Castrop-Rauxel, die die ganze Welt bespielt, hatte Heimspiel. Kevin und Sushi schwelgen in Erinnerung: „Wenn wir dann mal im Ausland auf einer riesigen Bühne in Moskau stehen“, sagt Kevin, „und du denkst, wir haben da mal irgendwo auf der Oskarstraße in einem Habinghorster Kellerraum angefangen und jetzt stehen wir hier, die Menschen jubeln dir zu und halten Castrop-Rauxel-Flaggen im Ausland hoch... alter Falter!“
Die Turbinenhalle Oberhausen bleibt ihnen positiv in Erinnerung. Und während sich die Halle leert, die Luft kühler wird und die letzten Konfettischnipsel sich in der Luft zu Boden wiegen, genießen Eskimo Callboy den Feierabend. Zusammen mit ihren „Liebsten“, wie Kevin sagt. Irgendwo Backstage. Kurz vor dem Heimweg.