Turbo-Student ist „einer der sonnenklarsten Fälle“ So lassen die Plagiatsjäger Doktoren auffliegen

Gutachter zum Fall Freiberg: „Einer der sonnenklarsten Plagiatsfälle“
Lesezeit

Es war die Nachricht der Woche: Ein Gutachten wirft dem Castrop-Rauxeler Mirsad Freiberg massive Plagiate in seiner Doktorarbeit vor. Nicht das erste Mal, dass er in den Schlagzeilen landet, wurde er zuvor doch als „Turbo-Student“, Shaolin-Meister und Immobilienmogul bekannt. Plagiatsgutachter Werner Schrittesser deckt für das Team um Dr. Stefan Weber, dem wohl bekanntesten Plagiatsgutachter im deutschsprachigen Raum, abgekupfte Arbeiten auf. Bei Mirsad Freibergs Dissertation hatte er besonders viel zu tun.

Zur Verdeutlichung: Ein Plagiat ist die Anmaßung fremder geistiger Leistungen. Als „Täuschung über die Eigenständigkeit der erbrachten wissenschaftlichen Leistung“ bewertete der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg „die nicht gekennzeichnete Übernahme kompletter Passagen aus dem Werk eines anderen Autors in einer Dissertation“, sofern sie „planmäßig und nicht nur vereinzelt“ erfolge. Kleine Änderungen an nicht-gekennzeichneten übernommenen Passagen bewertete das Gericht nicht als Beleg für versuchte Eigenständigkeit des Formulierens, sondern als Beleg für „die gezielte Verschleierungsabsicht des Klägers.“ Dies könne die Hochschule „zur Entziehung des verliehenen Doktorgrades berechtigen“.

Plagiate fallen nicht immer sofort auf. Oder hätten Sie gleich gemerkt, dass der Absatz zuvor wörtlich aus Wikipedia kopiert wurde? Werner Schrittesser und Stefan Weber erläutern im Folgenden die Täuschungsstrategien, die sie in Mirsad Freibergs Doktorarbeit entdeckt haben wollen.

Wie kommen Sie als Plagiatsgutachter überhaupt an diese Fälle? Kann ich als Privatpersonal einfach eine Mail schreiben und sagen, „überprüfen Sie mal meinen Nachbarn, der hat bestimmt in seiner Doktorarbeit geschummelt“?

Dr. Stefan Weber: Ich hatte tatsächlich Fälle von Nachbarschaftsstreits, wo der eine Nachbar wissen wollte, ob der andere wirklich Doktor ist. Oder Ex-Ehemänner, bei denen die Ex-Frau plötzlich eine Dissertation geschrieben hat und jetzt will der Ex wissen, ob die Dissertation genauso unredlich ist wie angeblich die Frau. Sehr selten sind es innerakademische Fälle. Wir haben ein großes Misstrauen in das Funktionieren des akademischen Systems und sprechen oft von Hochschulkorruption. Es gibt nicht wenige Kollegen an der Hochschule, für die Plagiieren eigentlich ganz okay ist. Der Großteil der Aufträge an uns läuft aber professioneller, als man sich diese Wadenbeißerei von Nachbarn und Ex-Männern vorstellt. Es wenden sich sehr oft Anwälte an uns.

Was kostet ein solches Gutachten?

Weber: Wir haben meist Fixpreise. 9,80 Euro kostet die Prüfseite. Also 100 Seiten Dissertation kosten etwa 1000 Euro. Das ist dann die Softwareprüfung. Ein tieferes Arbeiten machen wir oft aus Neugierde. Werner Schrittesser ist ein höchst genau arbeitender Mensch, der hat das bei der Dissertation von Herrn Freiberg im Alleingang gemacht. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, ich hätte das Sitzfleisch nicht, so ein komplexes Gutachten zu schreiben.

Sie sagten im Vorfeld schon, dieses Gutachten sei das umfangreichste, das es im Team Weber jemals gegeben hat. Und das will ja was heißen, schließlich haben Sie schon ranghohe Politiker auffliegen lassen. Wieso war es mit fast 400 Seiten denn so umfangreich?

Werner Schrittesser: Weil so umfangreich plagiiert wurde. Es ist eine Dissertation über zwei Bände, die zusammen vier oder fünf Kilo wiegen. Wir haben ursprünglich nur Band 1 geprüft und dann bin ich darauf gekommen, dass ganz offensichtlich auch Band 2 verdächtig ist. Der enthält größtenteils eine Chronologie. Daraufhin habe ich auch Band 2 einer Softwareüberprüfung zu unterwerfen. Das hat ein sehr eindeutiges Ergebnis gebracht und als Nächstes wollte ich das zu einem gerichtsfesten Gutachten erweitern. Das bedeutet, dass man die Textpassagen aus der Quelle und aus der Arbeit farblich markiert gegenüberstellt, damit man auf einen Blick sieht, wie plagiiert wurde.

Einer der auffälligsten Plagiate sind die kopierten Textpassagen aus dem Online-Lexikon Wikipedia. Als Freiberg seine Dissertation vor rund 15 Jahren verfasste, war die Plattform nicht so gängig wie heute.
Einer der auffälligsten Plagiate sind die kopierten Textpassagen aus dem Online-Lexikon Wikipedia. Als Freiberg seine Dissertation vor rund 15 Jahren verfasste, war die Plattform nicht so gängig wie heute. © Werner Schrittesser/Stefan Weber & Team

Welche Strategien konnten Sie in Mirsad Freibergs Doktorarbeit erkennen?

Schrittesser: Vor allem in Band 2 sieht man, dass immer wieder dieselben Wortumstellungen gemacht wurden. Also die Wortreihenfolge 1 2 3 4 5 war dann 3 5 2 4 1 oder so. Bei seinen Wikipedia-Plagiaten ist es so, dass nicht nur der Text übernommen wurde, sondern auch diese Klammer mit der Fußnote dazu. Und dann stellt man noch fest, dass der angeblich zitierte Inhalt überhaupt nicht auf dieser Seite steht.

Weber: Wir nennen das das „garnierte Plagiat“. Das heißt, die Leute plagiieren und verschweigen die tatsächliche Quelle, garnieren aber dieses Plagiat mit anderen Quellen, sodass der Betreuer glaubt, das ist eine Wiedergabe ganz in eigenen Worten. Das ist ein großartiger Trick und ähnlich wie die sogenannte Bauernopferreferenz. Das wiederum heißt, ich zitiere drei Sätze, dann kommt ein Absatz ohne Zitat, aber es ist aus derselben Quelle weiter abgeschrieben.

Bei Herrn Freiberg kommt noch der Umfang der Arbeit hinzu. Er wird sich gedacht haben: Damit beeindrucke ich die Menschen. Da wirken halt 600 Seiten Doktorarbeit besser als 200 Seiten. Ich glaube, dass er mit der Quantität die qualitative Prüfung umgehen wollte. Jeder Plagiator weiß, dass 600 Seiten noch weniger gelesen werden, als 200. Dieses Phänomen haben wir gerade bei juristischen Dissertationen übrigens seit einigen Jahren; die werden immer dicker. Auch diese Verknüpfung von Streber-Image mit Plagiat, wie bei Freiberg, sehen wir immer wieder.

Die Auflistung zeigt, auf welchen Seiten die Gutachter Plagiate gefunden haben wollen. Auffällig ist vor allem Band 2.
Die Auflistung zeigt, auf welchen Seiten die Gutachter Plagiate gefunden haben wollen. Auffällig ist vor allem Band 2. © Werner Schrittesser/Stefan Weber & Team




Stichwort Quantität: Im Gutachten konnten Sie gar nicht alle Quellen überprüfen. Warum?

Schrittesser: Herr Freiberg hat viele Abfragen über ein Query gemacht, das ist eine Abfrage über Schlagwörter an eine Datenbank. Die über Query ermittelten Zeitungsartikel, die Freiberg als Quellen angegeben hat, finden Sie gar nicht mehr. Das heißt, es gibt möglicherweise Mängel im Text, die gar nicht überprüft sind, die aus Zeitungen abgeschrieben sein könnten. Das ist aber eine reine Hypothese und nicht gesichert, weil man auf die Quellen eben keinen Zugriff mehr hat oder sonst tausende Quellen einzeln durchforsten müsste.

Und noch etwas ist bei Freiberg auffällig: Band 1 zeichnet sich durch zwei Phänomene aus. Kennen Sie Hausarbeiten.de? Da kann man Hausarbeiten erwerben oder ansehen. Da sind mehrere Hausarbeiten, aus denen er ebenfalls abgeschrieben hat. Er hat aber nicht die Hausarbeit gekauft, sondern nur aus dem Abstract, also was umsonst einsehbar ist, übernommen, den Text etwas umformuliert und die Quellenangaben von dort übernommen. Der zweite Teil sind eben diese Wikipedia-Plagiate.

Ihrer Meinung nach ist das bei Mirsad Freiberg also eine ganz klare Sache?

Weber: Es ist einer der sonnenklarsten Plagiatsfälle, die wir bisher dokumentiert haben. Das ist ein großer deutscher Testfall für uns und wir werden uns anschauen, ob seitens der Universität Jena die richtigen Maßnahmen, sprich die Aberkennung des Doktortitels, ergriffen werden. Und wir fordern die Universität Bochum auf, uns die Diplomarbeit zu überreichen.

Plagiatsvorwürfe gegen Turbo-Student: So dreist soll er für den Doktor-Titel abgeschrieben haben