Niederlande liefert Täter aus Staatsanwalt Kruse: „Er hat massiv auf sein Opfer eingetreten“

Gefährliche Körperverletzung vor zwei Jahren: Niederlande lieferte Täter aus
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Die Tat im April 2023 war heftig – so brutal, dass sich für das Opfer, ein heute 60 Jahre alter Mann aus Castrop-Rauxel, an diesem Tag das Leben wohl für immer veränderte. Er ist nun auf einen Rollator angewiesen und hat starke Probleme mit dem Gedächtnis. „Der Mann ist nicht mehr in der Lage, seinen Alltag wie zuvor zu bestreiten“, sagt der Staatsanwalt Henner Kruse. Am 4.4.2023 wurde der damals 58-Jährige gegen 11 Uhr von einem Zeugen schwer verletzt auf einem Firmengelände nahe der Fatih Vakfi Moschee an der Rheinstraße in Habinghorst gefunden. Zunächst lautete der Tatvorwurf versuchter Totschlag, später gefährliche Körperverletzung.

An die Tat selbst hat der Castrop-Rauxeler keine Erinnerungen, erklärte Staatsanwalt Kruse später. Doch es gibt Videoaufnahmen von einer Überwachungskamera. „Der Täter hat massiv auf sein Opfer eingetreten und eingeschlagen“, sagt Kruse weiter. Das Material legte den Beamten den Verdacht nahe, dass der Angreifer psychisch krank sein könnte.

Niederlande liefern Täter aus

Anschließend ergaben sich Hinweise darauf, dass der Täter aus den Niederlanden stammen könnte. Die Familie des Mannes hatte ihn als vermisst gemeldet und sein Bruder hatte sogar in der Moscheegemeinde in der Rheinstraße nachgefragt, ob sein Bruder dort sei, denn er sei häufiger nach Castrop-Rauxel gefahren. „So sind wir auf den Täter gekommen“, sagt Henner Kruse: „Der Täter ist türkischer Staatsbürger, hat aber zuletzt in den Niederlanden gewohnt.“ Dort war er auch bereits in psychiatrischer Behandlung.

Im April 2024, also ein Jahr nach der Tat, erklärte Kruse, dass der Täter inzwischen zur internationalen Fahndung ausgeschrieben sei. Damals gab es allerdings keine Hinweise auf dessen Aufenthaltsort im Ausland. „Ich sehe da Erfolgschancen, das liegt aber maßgeblich in der Hand anderer Länder“, sagte Kruse dennoch. Auslieferungsverfahren mit den Niederlanden gingen üblicherweise schnell.

Nun, wieder ein Jahr später, gibt es tatsächlich Neuigkeiten. Der Täter ist nicht nur in den Niederlanden festgenommen und am 8.8.2024 nach Deutschland ausgeliefert worden, sondern am 4.3.2025 wurde auch ein rechtskräftiges Urteil gesprochen. Der Täter ist schuldunfähig. Damit ist der Fall abgeurteilt, der Täter aber nicht verurteilt. Vor dem Prozess am Landgericht in Dortmund stellte sich im Februar durch das Gutachten eines Psychiaters seine Schuldunfähigkeit heraus. In Deutschland kann eine Person nur dann bestraft werden, wenn sie auch schuldhaft gehandelt hat. Ohne Schuld handelt jemand laut Strafgesetzbuch, wenn er oder sie bei der Tat keine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit hatte, weil eine krankhafte seelische Störung, eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung, Intelligenzminderung oder eine schwere andere seelische Störung vorlag.

Täter ist strafunfähig

Aktuell ist der Täter in einer psychiatrischen Klinik in Deutschland untergebracht. Das dürfte sich allerdings noch ändern. Die Niederlande habe ihn unter der Bedingung ausgeliefert, dass die Strafe später auch in den Niederlanden vollstreckt wird. Wie lange der Täter in der Psychiatrie bleiben muss, steht – anders als bei einer Haftstrafe – zunächst nicht fest. Die Person muss so lange in der Psychiatrie bleiben, bis sie nach einer Überprüfung nicht mehr als gefährlich gilt. Die Unterbringung in der Psychiatrie kann für den Betroffenen auch lebenslang bedeuten.

Eine kleine Anfrage der AfD an den Landtag Nordrhein-Westfalens im Frühjahr 2024 ergab, dass 2022 von 176.167 in NRW abgeurteilten Personen nur 0,09 Prozent, also 163 Menschen als schuldunfähig eingestuft wurden. Diese Fälle verteilen sich allerdings ungleich auf die unterschiedlichen Straftaten. Ebenfalls 2024 analysierte der Spiegel deutschlandweite Daten der Strafverfolgungsstatistik und kam zu dem Ergebnis, dass bei Straftaten gegen das Leben, zu denen (versuchter) Mord und (versuchter) Totschlag gehören, der Anteil deutlich höher liegt. 16 Prozent der Täter waren hier 2022 schuldunfähig.