Neue Stromleitungen und ein hochgerüstetes Umspannwerk werden in Pöppinghausen benötigt. Das bestreitet niemand. Dennoch gibt es Unstimmigkeiten: Eine Bürgerinitiative wirft Amprion Ignoranz vor.

Castrop-Rauxel

, 28.11.2020, 14:55 Uhr / Lesedauer: 3 min

Strom braucht jeder. Und im Zuge der Energiewende von der Atomenergie und vom Kohlestrom zum Offshore-Strom aus Windkraftanlagen in Nord- und Ostsee braucht es neue Stromautobahnen. In Pöppinghausen, wo ein Umspannwerk die Energie von 220 kV auf 110 kV auf haushaltsübliches Format bringt, muss deshalb umgebaut werden.

Kern der Planungen ist die Hochrüstung des Umspannwerks auf 380 kV: In dieser Intensität, auf Höchstspannung, wird heute der Strom auf den Fern-Leitungen transportiert. Diese Technik soll in Pöppinghausen die aktuelle 220-kV-Spannung ablösen. Das erfordert die Hochrüstung der alten Technik.

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Amprion ist für diesen Ausbau zuständig und plant seit mehreren Jahren an den Aufbauten im 800-Seelen-Dörfchen am Nordwest-Rand von Castrop-Rauxel. Seit einigen Jahren gibt es eine Bürgerinitiative „Nicht über unseren Köpfen“, die sich kritisch mit den Plänen auseinandersetzt.

Nicht ernsthaft erwogen?

Nachdem Amprion in der vergangenen Woche in einem Internet-Stream mit sieben Experten über den Stand der Planungen berichtete, meldet sich jetzt die Bürgerinitiative zu Wort. Sie wirft dem Unternehmen vor, den Planungs-Gegenentwurf nicht ernsthaft in Erwägung gezogen zu haben. Amprion sprach bei der Bürgerinformations-Veranstaltung von einem „nicht vorzugswürdigen“ Plan.

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Das sehen Karl-Heinz Vogel, Gaby Winkelkotte und Georg Winkelkotte, Sprecher der Bürgerinitiative, anders. Sie liefern Gegen-Thesen, die sie in einem Brief an die Bezirksregierung als Genehmigungsbehörde formuliert haben: „Die Bürgerinitiative fordert, dass die Firma Amprion unseren Vorschlag endlich als Gesamtkonzept mit Ernsthaftigkeit überprüft und nicht, wie bisher, mit falschen Rückschlüssen verwirft“, heißt es.

Als von der BI favorisierte Standort ist der König-Ludwig-Hafen (2) vorgesehen. Von dort, so die Bürgerinitiative, könne man ein Erdkabel zur alten Umspannanlage verlegen. Die Oberleitungs-Trasse zum neuen Standort wäre fernab der Siedlung.

Als von der BI favorisierte Standort ist der König-Ludwig-Hafen (2) vorgesehen. Von dort, so die Bürgerinitiative, könne man ein Erdkabel zur alten Umspannanlage verlegen. Die Oberleitungs-Trasse zum neuen Standort wäre fernab der Siedlung. © Google / Bürgerinitiative

Man fordert eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem eigenen Entwurf: Der sieht den Bau einer neuen Umspannanlage auf der alten Koks-Umschlagfläche am König-Ludwig-Hafen vor, also weitab der Siedlung. Dorthin könne man die 380-kV-Leitung von Norden aus einführen und dann eine Erdkabel-Verbindung zur bisherigen 110-kV-Umspannanlage an der Wewelingstraße schaffen.

Amprion behauptete bei der Bürgerinfo-Veranstaltung, das gehe nicht. Fünf Gründe hat das Unternehmen angeführt. Und die Bürgerinitiative nennt fünf Gegenargumente:

(1) „Es entstehen neue, kilometerlange Trassen“: Die BI sagt: Es entstünde eine neue Trasse parallel zu einer Bestandstrasse von etwa 1 km Länge.

(2) „Massiver Holzeinschlag, um die 110-kV-Anbindung an die alte Umspannanlage durchzuführen“: Die BI sagt: Man könnte eine Anbindung der 110-kV-Ebene als ca. 1 km langes Erdkabel unter der bestehenden Trasse im Naturschutzgebiet schaffen.

(3) „Technisch problematische Einführung der 380-kV-Leitungen (kommend aus Norden und Süden) zur neuen 380-kV-Anlage“: Die BI sagt: Nach Rücksprache mit einem Fachmann wäre dies für einen Ingenieur lösbar.

(4) „Das Erdreich des RAG-Geländes ist schadstoffbelastet und muss ausgetauscht werden“: Die BI sagt: Diese Aussage wurde ohne Untersuchung von Bodenproben getroffen. Es handele sich tatsächlich um eine „Altlastenverdachtsfläche“, allerdings ohne industrielle Nutzung. Hier wurde nur Koks auf freien Acker- und Weidenflächen gelagert. Ohne Bodenproben könnten keine seriösen Aussagen gemacht werden.

(5) „Durch die veränderte Leitungsführung ergibt sich ein starker Eingriff in das Landschaftsbild. Die letzte freie Sichtachse in Pöppinghausen wird verbaut“: Die BI sagt: Die Leitungen würden nicht zur alten Umspannanlage geführt, sondern zur neuen, ausgelagerten 380-kV-Anlage. Daher entstünde kein Eingriff in das Landschaftsbild. Die letzte freie Sichtachse aus dem Dorf bliebe erhalten.

Ein Moderator und fünf Amprion-Experten im Raum, ein Jurist per Video zugeschaltet: Diese Runde beantwortete die Fragen der Pöppinghausener zum Ausbau der Stromleitungen und Umspannanlage auf 380 kV.

Ein Moderator und fünf Amprion-Experten im Raum, ein Jurist per Video zugeschaltet: Diese Runde beantwortete die Fragen der Pöppinghausener zum Ausbau der Stromleitungen und Umspannanlage auf 380 kV. © Tobias Weckenbrock

Warum sollte Amprion so handeln, wenn die Argumente der BI stimmen? Als Motiv sehen die BI-Sprecher Vogel und Winkelkotte ein Festhalten an einem Plan, in dem Amprion seit Jahren (teure) Planungsarbeit gesteckt habe. Man habe sich zwar jetzt plakativ mit neun verschiedenen Umspannwerk-Standorten auseinandergesetzt, aber die Argumente, warum sie nicht „vorzugswürdig“ seien, seien oberflächlich oder konstruiert.

„Die haben nicht positiv drauf geschaut, sondern negativ“, findet Winkelkotte. „Wenn ich negativ drauf schaue, finde ich immer Kriterien, die mir irgendwie nicht passen.“ Man habe bewusst einen abseitigen Alternativstandort intensiver gegengecheckt, um das im Planungsprozess als Argumentation vorbringen zu können. Aber nicht den Favoriten der BI.

Planfeststellungsverfahren: Ist es dann schon zu spät?

2021 soll das Planfeststellungsverfahren beginnen. Dann können Bürger, Vereine und Verbände, Kommunen und andere Behörden Einwendungen einbringen. Die muss Amprion alle beantworten. Für Karl-Heinz Vogel ist es dann aber eigentlich zu spät.

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Ob Pöppinghausen noch lebenswert sei? „Das Dorf ist im Wandel, die ältere Generation wird durch junge Familien ersetzt“, sagt Vogel. Er bliebe auch danach sicher in Pöppinghausen wohnen. Georg Winkelkotte aber findet: Wenn die Amprion-Pläne verwirklicht werden, dann sei es dort nicht mehr attraktiv.

Seine Frau Gaby meint: „Die Zusammenarbeit mit Amprion ist auf minimalem Niveau, auch wenn Regierungspräsidentin Dorothee Feller uns da zu Gesprächen angeraten hatte. Nutzt Amprion hier die Gunst der Stunde, dass man keine Versammlungen abhalten kann?“ Eine Online-Versammlung entfalte nicht die Wucht, die eine Präsenz-Versammlung entfalten könne.

Auch die Variante von Amprion habe erhebliche Auswirkungen und Zusatzbelastungen für die Menschen: „Es gibt 48 zusätzliche Leiterseile. Die 220-kV-Leitungen werden nicht abgebaut, sondern sollen erhalten bleiben. Unser Vorschlag wäre dagegen eine echte Entlastung.“

Immerhin habe Amprion ein Gespräch in Aussicht gestellt, bei dem zwei BI-Sprecher eingeladen werden sollen. „Fest steht“, so Winkelkotte: „Die Bürger haben sich überhaupt nicht an die Leitungen gewöhnt, diese Aussage stimmt nicht.“