Gegenkandidat, interne Kritik und die Favoritenrolle Frank Schwabe will wieder in den Bundestag

Schwabe: „Ich würde empfehlen, dass man erstmal sagt, was man selber kann“
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Im Herbst 2025 wählen die Castrop-Rauxeler, Recklinghäuser und Waltroper nicht nur einen neuen Bürgermeister, einen neuen Landrat, einen neuen Kreistag und einen neuen Stadtrat, sondern auch einen neuen Bundestag. Und damit auch einen Direktkandidaten. Wer das ist, steht jetzt noch in den Sternen. Aber in der SPD ist nun ein Kandidaten-Duell entbrannt, das sich erst im September aufklären wird.

Frank Schwabe ist der Favorit, denn er ist seit nunmehr 19 Jahren im Berliner Parlament vertreten. Was sagt der Castrop-Rauxeler Familienvater über die Kampf-Kandidatur von Sven Mosdzien aus Recklinghausen und die Kritik an Schwabes aktuellem Auftreten, die damit formuliert wurde?

Vielleicht wurden Sie selbst überrascht: Es gibt eine parteiinterne Gegenkandidatur für das Direktmandat zum Bundestag. Herr Schwabe, erst nachdem das bekannt wurde, haben Sie gesagt: Übrigens, ich trete auch wieder an. War das Ihr Masterplan?

Nein. Die Frage ist ja immer: Wann ist der richtige Zeitpunkt, Dinge zu verkünden? In dem Moment ist klar: Da musst du irgendwie Flagge zeigen. Es war aber so, dass ich den Eindruck hatte, dass vielen innerhalb der Partei, und ich bewerbe mich ja innerhalb der Partei, klar war, dass ich Interesse habe, wieder zu kandidieren. Ich war auch mit dem einen oder anderen schon im Gespräch. Als der Kollege Sven Mosdzien erklärt hat, dass er kandidiert, hat er ja erklärt, dass er gegen mich antritt. Das heißt, er ging davon aus, dass ich wieder antrete.

Wie hätten Sie es sonst gemacht?

Ach, wahrscheinlich auch nicht viel später. Man überlegt ja, wie. Vor vier Jahren habe ich es mit einem Video in den sozialen Medien gemacht, das macht man im Moment aber gar nicht mehr unbedingt so. Am Ende muss man natürlich überlegen: Was sind die Botschaften, die man setzen will? Wofür will man wieder antreten? Warum ist es für eine Partei vielleicht auch gut, jemand, der schon lange dabei ist, wieder zu nominieren? Es ist nicht automatisch schlecht, jemanden, der ein bisschen Erfahrung, aber doch auch noch ein bisschen Mumm hat, wieder aufzustellen.

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Hintergrund der Gegenkandidatur Ihres Parteigenossen aus Recklinghausen ist Kritik an Ihrer Präsenz vor Ort. Es heißt, dass Sie sich von der Basis im Wahlkreis, vielleicht in Recklinghausen, vielleicht aber auch in Waltrop und Castrop-Rauxel entfernt haben. Ist das so?

Wenn man kandidiert, überlegt man sich, was man transportieren will. Grundsätzlich würde ich empfehlen, dass jeder erstmal sagt, was er selber kann und nicht, dass man sagt, was an dem anderen schlecht ist. Das kommt nicht gut, glaube ich. Wir sollten nicht zu einer US-Amerikanisierung von Wahlkämpfen kommen, wo man erstmal sagt, was der andere nicht kann. Man kann auf die Idee kommen, dass ich ein gewisses Profil habe in internationaler Politik, auf Menschenrechtsthemen. Aber ich bin seit fast 20 Jahren Abgeordneter und habe in Berlin immer Schwerpunkte gehabt.

So funktioniert ja ein Bundestagsmandat, das ist bei anderen auch nicht anders. Manche haben ihren Schwerpunkt in der Innenpolitik, andere haben in der Sozial- oder Gesundheitspolitik. Bei mir ist es über die Jahre immer eher Außenpolitik gewesen, internationaler Klimaschutz, aber auch Menschenrechte, Sozialpolitik und der Europarat. Das ist der Teil, den man im Bundestag macht. Den macht jeder Abgeordneter. Wir sind ja am Ende gewählt für die Bundesrepublik Deutschland, um die zu vertreten und nicht nur den eigenen Wahlkreis.

Wahlkreisabgeordneter bin ich aber auch mit Leib und Seele. Da geht es darum, präsent zu sein für die Bürgerinnen und Bürger, so wie eine Art Ombudsmann. Wenn die ein Problem haben, das sie nicht lösen können, zum Beispiel mit der Stadt, mit der Krankenkasse, mit irgendwelchen anderen Behörden, dann können sie zum Bundestagsabgeordneten kommen.

Was machen Sie dann?

Die Bürger kommen auch mit Hinweisen auf kaputte Bürgersteigplatten zu mir. Dann versuche ich, mit den Institutionen zu reden und zu klären, wie man den Menschen helfen kann. Ob Sie es glauben oder nicht: Ich würde sagen, in 80 bis 90 Prozent der Fälle kann man das Problem so lösen, dass die Menschen rausgehen und sagen: Super, das hat mir geholfen.

Sie also als Lobbyist für die Bürger, als Bekanntheit vor der Behörde?

Ja, du bist wirklich Lobbyist, aber nicht in eigener Sache. Menschen kommen zu mir, wenn sie ein Bein verloren haben, eine Prothese brauchen und die Krankenkasse ihnen ein – überspitzt formuliert – ein Holzbein finanzieren will, obwohl sie weiß, dass es mittlerweile Super-Prothesen gibt, wo man fast nicht merkt, dass das Bein weg ist. Wir haben für eine Castrop-Rauxeler Person einen 24-Stunden-Pflegedienst organisiert, die zu Hause gepflegt werden muss. Menschen kommen zu uns, wenn sie irgendein Dokument nicht bekommen, weil sie eine Auslandsreise machen müssen. Jemand ist gestorben, will aber in der Türkei, beerdigt werden. All solche Sachen.

Frank Schwabe (SPD) und Sven Mosdzien kämpfen um das Mandat im Bundestag.
Frank Schwabe (SPD) und Sven Mosdzien kämpfen um das Mandat im Bundestag. © dpa / Ralf Wiethaup (Montage: Weckenbrock)

Moment: Sie rufen dann die Stellen persönlich an? Oder Ihr Team?

Ich habe ein Super-Team, den langjährigen Büroleiter Frank Cerny und oft auch wechselnde junge Leute, Studenten und andere, die das toll machen. Nur so kann ich funktionieren. Ich bin der kreative Teil, muss am Ende aber die Dinge auch verantworten. Ein anderer es nachhalten, muss dafür sorgen, dass Termine eingehalten werden. Das macht Frank Cerny. Er hat einen Erfahrungsschatz und weiß, wo er anrufen muss: Stadt Recklinghausen, Waltrop, Castrop-Rauxel, Kreis Recklinghausen, Bundesbehörde, Bundesagentur für Arbeit, Jobcenter, Asylbehörden.

Das ist aber nur das eine. Das zweite ist: Du musst Lobbyist ein für deinen eigenen Wahlkreis. Die Bürgermeister aus den drei Städten kommen zu mir, auch der Herr Tesche von der CDU aus Recklinghausen. Wenn sie eine Förderung brauchen, wenn sie sonstige Anliegen haben, dann versuchen wir uns darum zu kümmern. Wenn das nicht so wäre, dann würde ich auch sagen: Schwabe, das ist ein Problem.

Wo ich mich ein bisschen rarer gemacht habe in den letzten Jahren, das sind die Parteigremien: Parteivorstände, Ratsfraktionen, diese Termine kollidieren oft wirklich mit anderen Dingen. Wenn ich in Berlin bin, bin ich in Berlin. Ansonsten gibt es ein paar Regeln in der Familie. Ich habe ja noch drei mittelkleine bis große Kinder und eine Frau. Irgendwie sagen mir auch alle. Du sollst ein ordentlicher Familienvater sein. Das kollidiert ab und zu.

Was machen Sie mit der Kritik?

Es ist eine Chance, jetzt wieder mit Leuten zu reden. Ich hatte diesen Fokus zum Teil nicht. Jetzt rede ich aber gerade mit vielen Leuten aus der Partei und höre rein, was los ist. Die Frage ist: Kann ich dieser Partei und meinem Wahlkreis noch was geben? Da muss man sich auch überprüfen, wenn Kritik kommt. Ich finde, da ist irgendwie noch was, das ich geben kann und dass da noch ein kleines Feuerchen in mir brennt.

Regieren Sie als Kreisvorsitzender und Abgeordneter denn nach Gutsherrenart, wie Kritiker sagen?

Natürlich nicht. Ich bin Kreisverbandsvorsitzender seit über zwölf Jahren und gerade wiedergewählt mit 86 Prozent der Stimmen. Gar nicht so schlecht. Da haben wir zehn Stadtverbände, die man unter einen Hut bekommen muss. Ich wurde von den allermeisten Stadtverbänden gebeten, wieder zu kandidieren. Ich halte nichts von Personalfindungskommissionen. Die gucken, wer könnten unsere Kandidaten sein. Da kann sich jeder melden, dann wird das öffentlich diskutiert.

Es ist eine Demokratie. Auf dem Parteitag wird entschieden. Ich entscheide das ja gar nicht. Ich finde, der Job nicht nur des Vorsitzenden, sondern des engeren Vorstandes ist es, die Dinge zu organisieren. Demokratisch, aber ich habe eine Verantwortung, mich umzuhören, umzugucken und am Ende der Partei einen Vorschlag zu machen. Das ist mein Job. Das ist auf Bundesebene nicht anders. Friedrich Merz macht auch keine Personalfindungskommission, sondern sagt: Ich mache zusammen mit Söder einen Vorschlag für einen Kandidaten. Dagegen kann jemand kandidieren. Aber ich finde, das ist seine Verantwortung.

Ich klebe nicht an diesem Job als Kreisverbandsvorsitzender. Ich hätte mir gut vorstellen können, dass das auch jemand anderes macht, aber es gab ein paar Leute, nicht wenige, die gesagt haben: Du hast Erfahrung, mach das doch bitte mindestens bis zur nächsten Kommunalwahl. Ich versuche, die unterschiedlichen Stränge, die zehn Stadtverbände und Kreisfraktionen zusammenzuhalten.

Also steht am Ende eine deutliche Mehrheit hinter Ihnen?

Ich gehe nicht als deutlicher Außenseiter in diese Frage. Vielleicht denken ja auch einige Leute jetzt noch mal intensiver darüber nach. Aber ich will da dem Wahlergebnis nicht vorgreifen.

Bei der Bundestagswahl gibt es zwei Stimmen. Mit der einen wählt man den Kandidaten, mit der anderen die Partei. Ich traue mir zu, in aller Bescheidenheit, dass ich in der Lage bin, über die Kernwählerschaft der SPD hinaus auch Menschen zu gewinnen, die sagen: Der setzt sich für unsere Belange ein, engagiert sich für Klimaschutz, außenpolitisch und gegen Korruption, der den Wahlkreis gut kennt.

Und dann geht es gegen Michael Breilmann von der CDU. Der macht doch auch keinen schlechten Job, oder?

Es ist ja so, dass ich gerade jetzt nicht sagen will, was er alles falsch macht. (lacht) Aber wenn ich ihn nun über den grünen Klee loben würde, wär das vielleicht auch nicht richtig. Wir kommen gut miteinander klar, treffen uns ab und zu in Berlin, dann ist man nett zueinander, ist dort dann Castrop-Rauxeler oder kommt aus dem Wahlkreis.

Wir sind in einer ähnlichen Lebensphase, haben wenig Zeit, sind immer im Stress, es ist ein spezielles Leben. Das versteht man nicht so sehr, wenn man dieses Leben nicht hat. Er hat einen vergleichbaren Rhythmus. Wir treffen uns montags im Zug nach Berlin und sehen dann beide zu, dass wir freitags eine Fahrt zurückbekommen. Er hat andere Verpflichtungen im Innenausschuss, haben aber auch Themen, die sich überschneiden. Ich kümmere mich um Antisemitismus eher nach außen gerichtet, er eher mit der innenpolitischen Perspektive. Bei Migrationsthemen bin ich aus Menschenrechtsperspektive unterwegs, er innenpolitisch. Wir haben politisch unterschiedliche Meinungen, aber es muss möglich sein in einer Demokratie, verschiedene Konzepte zu haben und trotzdem für dieses Land zusammenzuarbeiten.

Ich möchte nicht, dass wir in eine Situation wie in den USA kommen, wo Demokraten und Republikaner überhaupt nicht mehr miteinander reden, sondern nur noch böseste Dinge übereinander erzählen. Das haben wir hier zum Teil mit der AfD, darum dürfen die, finde ich, keine Macht übernehmen. Ich fände auch nicht schön, wenn der Merz Bundeskanlzer würde, aber das Land würde es wahrscheinlich überleben. In anderen Ländern wie in den USA bin ich mir da nicht sicher, dass noch viel Demokratie überbleibt, wenn Trump Präsident wird.

Vorher stehen noch Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen an. Was macht Ihnen da mehr Sorge: USA, Ihre Kandidatur oder die Ost-Wahlen?

Ich muss manchmal aufpassen, dass die Leute sagen, ich würde Dinge verharmlosen. Das hat aber viel mit meiner internationalen Brille zu tun. Ich sehe, was abgeht. Wir leben in einer Situation, wo Menschen in westeuropäischen Demokratien den komplizierten Prozessen gegenüber müde sind. Früher war das einfach hier: Die Leute aufm Pütt haben SPD gewählt, außer vielleicht drei, aber die kannte man. Die Poahlbürger in der Altstadt und die Bauern haben alle CDU gewählt. Das ist heute anders und führt zu viel Unsicherheit.

In Westeuropa ziehen die Leute die Konsequenz daraus, Populisten zu wählen. Rechte, aber auch linke wie Sahra Wagenknecht. In Osteuropa haben alle nach der Überwindung des Kommunismus gedacht, es werde alles ganz toll. Da kommt nun nach zwei, drei Jahrzehnten eine Art Enttäuschungseffekt. Die Demokratie tragenden Parteien, die Alt-Parteien, werden infrage gestellt. Das haben wir in Ostdeutschland besonders, weil diese Entwurzelungsprozesse dort besonders frappierend sind. Darum habe ich natürlich Sorge. Aber wir müssen trotzdem gucken, dass es gut funktioniert. Die Partnerstadt von Recklinghausen ist Schmalkalden in Thüringen. Ich war letztens da und kann nur empfehlen, hinzureisen. Ich habe dem Bürgermeister, einem Sozialdemokraten, zu über 60 Prozent gratuliert. Es ist auch in schwierigen Situationen möglich, am Ende Vertrauen zu gewinnen, die Menschen mitzunehmen und am Ende zu überzeugen.

Ich habe Sorge, aber ich glaube trotzdem, dass es einen Gegeneffekt gibt. Die Leute wählen Rechtsextremisten aus einer Frustration und Sorglosigkeit heraus, weil ihnen nicht klar ist, was passieren kann. Aber die Menschen werden über Jahre verstehen, dass es keine gute Idee ist, wenn diese Leute eine Mehrheit bekommen. Die Gefahr ist, dass sie versuchen, Institutionen wie freie Presse und öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder eine unabhängige Justiz schwächen. Lasst es uns also nicht versuchen.

Ich bin aber optimistisch und glaube fest daran, dass es mehr Leute gibt, die eine austarierte Politik auf dem Boden der Demokratie haben wollen, die einen ein bisschen weiter links, die anderen etwas weiter rechts. Die müssen da sein, wach sein. Sie dürfen nicht am Ende nicht denen, die mit Heilsversprechen, aber letztlich dem Aufeinanderhetzen von Leuten, das Land kaputt machen wollen. Die müssen in die Schranken gewiesen werden. Ich will die Mitte ansprechen, dann kann es eine gute Zukunft geben. Auch in ostdeutschen Bundesländern.

Das ganze Interview zum Anhören in unserem Spezial-PottCAS auf rn.de/castrop