Ein Ort, Fotos aus drei Zeiten Diese Straße in Castrop erkennt man heute kaum noch wieder

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Im Jahr 1973 gab es eine Serie mit dem Titel „Castrop-Rauxel – einst und heute“. Leserinnen und Leser haben der Redaktion alte Fotos zur Verfügung gestellt und meistens war es der Fotograf Helmut Orwat, der dann losgefahren ist und diesen Ort noch mal fotografiert hat. Jeden Tag erschienen dann diese zwei Bilder zusammen, manchmal waren die Unterschiede gigantisch, manchmal hatte sich kaum etwas getan. Wir haben uns diese Serie noch mal vorgenommen, denn was 1973 „heute“ gewesen ist, ist für uns schon längst Vergangenheit. Wir setzen also die Serie fort und haben die Orte 50 Jahre später wieder besucht. Hier gibt es den zweiten Teil der Serie mit Fotos aus Castrop und der Altstadt, auch im ersten Teil der Serie waren wir schon in Castrop unterwegs. In den kommenden Tagen und Wochen folgen weitere Artikel aus anderen Stadtteilen.

Ein Geschäft im Wandel der Zeit

Eine ganz besondere Verwandlung hat das Eckhaus an der Kreuzung Dortmunder Straße und Wittener Straße hinter sich. Auf dem Foto aus dem Jahr 1937 sehen wir ein Gebäude, dessen Architektur noch ganz im Zeichen des 19. Jahrhunderts steht. Eine geschmückte Fassade und drei Giebeldächer lassen das Eckhaus prunkvoll erscheinen. Vor Urzeiten gab es im Erdgeschoss des Hauses ein Möbelgeschäft, aber ab 1930 hatte die Familie Mollen ihren Laden in dem Haus.

Das Eckhaus an der Dortmunder Straße/Wittener Straße auf einem Foto aus dem Jahr 1937.
Das Eckhaus an der Dortmunder Straße/Wittener Straße auf einem Foto aus dem Jahr 1937. © Ruhr Nachrichten Archiv

1963 kaufte die Familien Mollen das Haus den Vorbesitzern – der Metzgerei-Familie Kranefoer – ab. Zwei Jahre später wurde das Haus umgebaut und sah danach deutlich schlichter aus. Fassadenstuck, Erker-Türmchen und ein kleiner Balkon verschwanden.

Auf diesem Bild aus dem Jahr 1973 ist das Eckhaus kaum noch wiederzuerkennen.
Auf diesem Bild aus dem Jahr 1973 ist das Eckhaus kaum noch wiederzuerkennen. © Ruhr Nachrichten Archiv

Im Juli 2011 eröffnet Andreas Schülken in dem Haus sein Bettenfachgeschäft. Vorher hatte er 26 Jahre lang im Familienbetrieb von Familie Mollen gearbeitet.

Zumindest architektonisch hat sich an dem Haus in den vergangenen 50 Jahren nicht viel verändert. Seit 2011 gibt es allerdings einen neuen Inhaber des Geschäftes im Erdgeschoss.
Zumindest architektonisch hat sich an dem Haus in den vergangenen 50 Jahren nicht viel verändert. Seit 2011 gibt es allerdings einen neuen Inhaber des Geschäftes im Erdgeschoss. © Nora Varga

Stadtschule, Mädchengymnasium, ASG

Das Adalbert-Stifter-Gymnasium ist eine Schule mit bewegter Geschichte. Unser erstes Foto der Schule dürfte mehr als 100 Jahre alt sein, denn auf dem Foto war die Schule noch „Höhere Stadtschule“. Eigentlich wollte man aus der Schule 1906 ein Jungengymnasium machen, man entschied sich jedoch um und aus dem Gebäude an der Leonhardstraße, Ecke Victoriastraße, wurde ein Mädchengymnasium. Im Jahr 1924 hatte die Schule acht Klassen mit 275 Schülerinnen.

Die „Höhere Stadtschule“ auf einem Bild, das wahrscheinlich mehr als 100 Jahre alt ist.
Die „Höhere Stadtschule“ auf einem Bild, das wahrscheinlich mehr als 100 Jahre alt ist. © Ruhr Nachrichten Archiv

1970 wird die Geschlechtertrennung aufgehoben uns auch Jungen dürfen die Schule besuchen. In den Folgejahren verdoppelt sich die Zahl der Abiturienten. Immer wieder wurde die Schule ausgebaut und erweitert. Der kleine Turm, der auf dem ältesten Bild zu sehen ist, wurde irgendwann allerdings ein Stück gekürzt.

Die Nachbarschaft hat sich verändert, die Bäume sind größer geworden, aber das alte Gebäude des ASG erkennt man auf dem Bild aus 1973 sofort wieder.
Die Nachbarschaft hat sich verändert, die Bäume sind größer geworden, aber das alte Gebäude des ASG erkennt man auf dem Bild aus 1973 sofort wieder. © Ruhr Nachrichten Archiv

Heute ist das Adalbert-Stifter-Gymnasium eins von zwei Gymnasien. Insgesamt wurden im vergangenen Schuljahr 890 Schülerinnen und Schüler im ASG unterrichtet, der Schulleiter heißt Joachim Höck. Im Gebäude auf unserem Foto ist heute die Oberstufe untergebracht. In dem kleineren Gebäude im Vordergrund befinden sich Cafeteria und die Schülerbücherei.

Steht man an der gleichen Perspektive wie der Fotograf 1973, dann verdeckt ein kleiner Baum das Gebäude des ASG, am markanten Giebel ist das Haus dennoch gut zu erkennen.
Steht man an der gleichen Perspektive wie der Fotograf 1973, dann verdeckt ein kleiner Baum das Gebäude des ASG, am markanten Giebel ist das Haus dennoch gut zu erkennen. © Nora Varga

Ein Denkmal verändert sich

Historische Denkmäler erinnern nicht nur an einen Zeitpunkt in der Geschichte, sondern sie sind selbst ein Teil der Geschichte. In welchem Kontext Gedenkstellen eröffnet oder umgebaut werden, ist wichtig, wenn man sich mit ihnen beschäftigt. Ein eindrückliches Beispiel dafür ist das „Ehrenmal“ an der Dortmunder Straße beim Haus Goldschmieding. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde es in Gedenken an die „Helden des Weltkrieges“ errichtet. Aus seiner Mitte trat die Figur eines Mannes mit Schwert hervor.

So sah das „Ehrenmal“ an der Dortmunder Straße vor dem Zweiten Weltkrieg aus.
So sah das „Ehrenmal“ an der Dortmunder Straße vor dem Zweiten Weltkrieg aus. © Ruhr Nachrichten Archiv

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Denkmal umgebaut. Der Krieger mit Schwert wurde abgenommen, eine Metallplatte hinzugefügt. Auf ihr steht bis heute „Den Opfern zweier großer Krieg“, darunter die Jahreszahlen beider Weltkriege.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wird das Denkmal umgestaltet, der Krieger verschwindet, die Inschrift wird geändert. Das Foto stammt aus dem Jahr 1973.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wird das Denkmal umgestaltet, der Krieger verschwindet, die Inschrift wird geändert. Das Foto stammt aus dem Jahr 1973. © Ruhr Nachrichten Archiv

Aber trotz Umgestaltung sieht man dem Denkmal auch dieser Tage noch seine Vergangenheit an. Zwei „Eiserne Kreuze“ prangen oben am Stein, die Inschrift „Helden des Weltkrieges“ kann man auch heute noch lesen. Auch der Schriftzug „Euch zu Ehr‘, ein einig Deutschland, Erwacht zur Wehr“ und die Daten des Ersten Weltkrieges auf der Rückseite des Steines wurden nie entfernt.

Das Denkmal in seiner heutigen Form. Aufmerksame Beobachter finden überall an dem Denkmal Hinweise auf seine Geschichte. Auf der Rückseite gibt es beispielsweise kleine Vierecke, die früher mal Hakenkreuze gewesen sind.
Das Denkmal in seiner heutigen Form. Aufmerksame Beobachter finden überall an dem Denkmal Hinweise auf seine Geschichte. Auf der Rückseite gibt es beispielsweise kleine Vierecke, die früher mal Hakenkreuze gewesen sind. © Nora Varga

Der Altstadtring – komplett verändert

Selbst wenn man genau hinschaut, findet man bei diesen drei Bildern unserer Serie kaum Gemeinsamkeiten. Kein Wunder, der Altstadtring hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Auf dem ersten Bild aus dem Jahr 1934 (fotografiert von der Oberen Münsterstraße) sind noch Fachwerkhäuser zu sehen, Straßenbahnschienen führen um die Kurve.

Bei diesem Foto aus dem Jahr 1934 kann man sich kaum vorstellen, dass hier mal eine vierspurige Landesstraße entlangführen wird.
Bei diesem Foto aus dem Jahr 1934 kann man sich kaum vorstellen, dass hier mal eine vierspurige Landesstraße entlangführen wird. © Ruhr Nachrichten Archiv

39 Jahre später ist die Stadtbahn weg, dafür steht am Ring ein gigantischer Hochbunker. Der Bunker wurde zwischen August 1941 und Ende 1942 gebaut. Weder Bombentreffer noch in der Nähe explodierende Luftminen oder der Beschuss während der Eroberung im April 1945 konnten dem 34 Meter hohen Bau während des Zweiten Weltkriegs etwas anhaben. Er hatte 13 Obergeschosse und war für 1000 Menschen ausgelegt. Beim Richtfest 1942 wiederum wurde der Größenwahnsinn in der Zeit des Zweiten Weltkriegs noch einmal laut: „Allen Widerwärtigkeiten zum Trotz wuchs langsam, aber sicher von tiefer Grundlage immer höher aufragend, das neue Wahrzeichen unserer Stadt aus dem heimatlichen Boden. Als Symbol dieser ruhmreichen Kriegsjahre wird dieses ‚Bauwerk Nr. 1‘ des Castrop-Rauxeler Stadtmittelpunktes in seiner erhabenen Größe und Wuchtigkeit auf das Rathaus neben sich, die in der Achse des Platzes liegende Stadthalle und die ihm gegen sich hinziehende Berufsschule hinabblicken.“

Der Altstadtring mit dem Hochbunker im Hintergrund auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1973.
Der Altstadtring mit dem Hochbunker im Hintergrund auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1973. © Ruhr Nachrichten Archiv

Bereits in der Besatzungszeit begannen die Erörterungen über eine zivile Weiternutzung. Nach Umbauarbeiten durch eine Spezialfirma zogen eine Bücherei, das Stadtvermessungs- und Katasteramt, das Stadtarchiv und die Reste des Heimatmuseums dort ein. Ende der 60er-Jahre mehrten sich die Stimmen, die einen Abriss des „Scheusals“ forderten.

Am 24. Mai 1975 war es schließlich so weit: Der Hochbunker wurde gesprengt. So berichteten die Ruhr Nachrichten in ihrer Ausgabe vom 26. Mai 1975: „Fliegende Splitter hatten eine Frau leicht verletzt, in den anliegenden Häusern waren einzelne Fensterscheiben zu Bruch gegangen, Betonbrocken hatten einige Dachpfannen durchschlagen. An einem Pkw wurde die Windschutzscheibe zerstört, obwohl er vorschriftsmäßig außerhalb der Absperrung geparkt war.“

Der Altstadtring wie er heute aussieht. In nicht allzu ferner Zukunft soll die Straße saniert werden.
Der Altstadtring wie er heute aussieht. In nicht allzu ferner Zukunft soll die Straße saniert werden. © Nora Varga
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