Wenn man es einfach so laufen ließe wie vorherzusehen ist, dann würde die Stadt Castrop-Rauxel in zehn Jahren zum Schulden-Milliardär. Die aktuell noch nicht einmal 200 Millionen Euro, schon ein Batzen Geld, aber dagegen fast noch eine Kleinigkeit, werden sich nach Angaben der Stadtverwaltung verfünffachen. Die Haushalte der nächsten Jahre schließen bilanziell alle mit mindestens 50 Millionen Euro Defizit ab. Wer soll das alles bezahlen? Und wie kommt die Stadt aus diesem Schlamassel?
Wir fragten das die Verwaltung und bekamen eine recht dezidierte Antwort: Die Kämmerei um den Beigeordneten Michael Eckhardt und Bereichsleiter Stefan Brenk schlagen fünf Punkte vor, die sie aus einem Aktionsbündnis weiterer Kommunen für Castrop-Rauxel adaptiert haben.
Die Punkte im Überblick
1. Altschuldenlösung
2. Angemessene Finanzausstattung strukturell unterfinanzierter Kommunen
3. Übernahme von Soziallasten
4. Reduzierung der zweckgebundenen Förderung
5. Infrastruktur- und Instandsetzungsfonds
1. Altschuldenlösung
Bezogen auf die Liquiditätskredite (also der städtische „Dispokredit“) Castrop-Rauxels (Stand zum 31.12.2024 rund 130 Mio. Euro) wünscht sich die Kämmerei eine „echte“ Altschuldenlösung, wie sie zuletzt von der Landesregierung NRW angedacht wurde.
Ein erster Vorschlag des Landes aus dem Jahr 2023, bei dem die Kommunen den Anteil des Landes durch Verringerung der Mittel im sogenannten Kommunalen Finanzausgleich faktisch selbst gezahlt hätten und der am Ende zu einer „Verschlimmbesserung“ der Haushaltslage geführt hätte, wurde nach heftigen Protesten der Städte und Gemeinden durch die Landesregierung selbst wieder verworfen. Eine Übernahme von 50 Prozent der Altschulden durch den Bund wäre mit Blick auf die Spielräume im Landeshaushalt zwingend erforderlich.
Eine Übernahme der Investitionskredite der Stadt durch den Bund oder das Land stand und steht dabei nicht zur Debatte: Ein geringer Restbetrag bei den Liquiditätskrediten, der als „normale“ Verschuldung angesehen wird, würde darum bei der Stadt verbleiben. Maßstab sind hier aktuell 100 Euro pro Einwohner, für Castrop-Rauxel also rund 7,5 Millionen Euro.
Die Entlastung durch die Altschuldenübernahme würde von den tatsächlich erzielten Zinssätzen abhängen. Eine hypothetische Annahme Stand heute lautet aber:
- Entlastung bei Altschulden: 122,5 Mio. €
- Zinssatz: 3,5 %
- Entlastung Zinsen: rund 4,3 Mio. € pro Jahr
Eine Altschuldenlösung würde aber nur Sinn ergeben, wenn die finanzielle Lage der Städte und Gemeinden insgesamt verbessert würde (siehe nachfolgender Punkt 2), da ansonsten innerhalb von nur wenigen Jahren wieder die gleiche „Altschuldenmisere“ eintreten würde, wie sie aktuell besteht.
2. Angemessene Finanzausstattung statt strukturelle Unterfinanzierung
Wer die Musik bestellt, der muss auch bezahlen: Das fordert die Kämmerei schon seit langer Zeit. Gemeint ist damit eine strikte Einhaltung des Konnexitätsprinzips. Also: Wenn eine Stadt Aufgaben von Bund oder Land oder Kreis auferlegt bekommt, und damit die finanziellen Belastungen, müssen damit auch die Ausgleichszahlungen her. Eine Erhöhung des sogenannten „Verbundsatzes“ im Gemeindefinanzierungsgesetz von aktuell 23 auf 28 Prozent würde aktuell ein Plus von rund 3,4 Milliarden Euro für alle Kommunen in NRW bedeuten. Das, meint die Kämmerei, würde einen Verbundsatz bedeuten, wie er in früheren Jahren bereits einmal bestand. Das Land solle den in NRW besonders hohen Kommunalisierungsgrad reduzieren, heißt es im Fünf-Punkte-Programm weiter, also nicht immer mehr Aufgaben nach unten delegieren. Und wenn doch: Land und letztlich auch Bund müssen die Kosten dafür übernehmen.
3. Höherer Anteil durch Bund und Land an Soziallasten
Die Jugendhilfe ist nur ein Beispiel: Hier zahlt jede Stadt einen relativ hohen Eigenanteil an den Kosten, die zu tragen sind. Doch für die Castrop-Rauxeler Kämmerei handelt sich dabei nicht wirklich um kommunale, sondern allgemeingesellschaftliche gesamtstaatliche Aufgabenfelder. Warum also soll die Kommune dafür aufkommen?
Städte und Gemeinden seien im staatsrechtlichen Sinne Teil von Bund und Land. Dort brauche es ein deutlich stärkeres Augenmerk in Bezug auf eine Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse und die Chancengleichheit. Der Kämmerer beklagt zum Beispiel erhebliche Unterschiede bei der Höhe der Kita-Gebühren. Noch schwerer wiegt für Castrop-Rauxel ein höherer Aufwand an Soziallasten als in anderen Städten.
4. Reduzierung der zweckgebundenen Fördermittel
Die Kämmerei fordert mehr Vertrauen in die Entscheidungen der kommunalen Entscheidungsträger und eine Wiederherstellung der kommunalen Selbstverwaltung. Es solle weniger Programme geben, in denen mit „Goldenen Zügeln“ auf die Kommunen eingewirkt wird. Das würde auch die Gerechtigkeit erhöhen, meint die Stadt Castrop-Rauxel, denn: Heute profitieren besonders große und finanziell bessergestellte Kommunen stärker von den Programmen, da sie Personal vorhalten können, um aufwendige Förderantragsverfahren zu durchlaufen. Ihr Sinn sei vor allem mal zu betrachten: Es gebe inzwischen mehr als 1000 Förderprogramme bundesweit. Sie verursachten erhebliche „Transaktionskosten“: All diese Mittel müssen von einer Seite beantragt, von der anderen Seite beschieden und bewilligt werden. Zudem können Kommunen mit prekärer Haushaltslage zum Teil keine Mittel beantragen, weil sie den Eigenanteil, und seien es auch nur zehn Prozent, nicht finanzieren können.
5. Infrastruktur- und Instandsetzungsfonds
Es muss einen einfachen Zugang für Kommunen zu Finanzierungsquellen anstelle der Aufnahme von Kreditmitteln an den Finanzmärkten geben. Insbesondere wichtig sei das mit Blick auf Zinsrisiken und die Bonität der staatlichen Ebenen. Die Ausgangslage einer hoch verschuldeten Stadt wird immer schwieriger, finanzierbare Kredite zu bekommen. Hilfreich sei auch ein Zugang zu nicht rückzahlbaren Mitteln in bestimmten Schwerpunkt-Handlungsfeldern, so Stefan Brenk aus der Kämmerei.