Amelie (9) muss bis Recklinghausen fahren Kein Platz an den Gesamtschulen in Castrop-Rauxel

Eine von rund 80 Ablehnungen an Amelie (9): Gesamtschulen weit überbucht
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Für Amelie Glatz (9) und ihre Familie aus Ickern brach jetzt eine kleine Welt zusammen: Das Kind aus den Aapwiesen muss ab dem kommenden Schuljahr wohl mehr als eine halbe Stunde Schulweg einplanen. Dabei wohnt die Familie eine Minute von ihrer Wunsch-Schule, der Neuen Gesamtschule Ickern, entfernt. Das für sie passende Schulangebot liegt nun wohl außerhalb der Stadtgrenzen.

„Wir wohnen direkt neben der NGI, aber wir sind nicht genommen worden“, erzählt Katrin Betker (41). Sie arbeitet in der Intensivpflege in einer außerklinischen Einrichtung in Lünen. Im Schichtdienst. Lars Glatz (44), der Papa von Amelie, ist auch berufstätig. „Erklären Sie einem Kind mal, dass es künftig nach Recklinghausen-Suderwich muss.“

Darauf fiel nun die zweite, die dritte, die vierte Wahl der Familie: Eine Schule, die sie nicht kennen. Ein Ort, mit dem sie eigentlich nichts zu tun haben. „Aber vor der Anmeldung am Ernst-Barlach-Gymnasium habe ich einfach Angst, dass wir wieder abgelehnt werden“, sagt die Mutter am Donnerstag im Telefonat mit unserer Redaktion.

Amelie Glatz mit Papa Lars und Mama Katrin Betker. Im Sommer sollte der Schulweg für Amelie eigentlich an einer Gesamtschule in Castrop-Rauxel weiter gehen. Doch die Neunjähriger aus Ickern wurde abgelehnt.
Amelie Glatz mit Papa Lars und Mama Katrin Betker. Im Sommer sollte der Schulweg für Amelie eigentlich an einer Gesamtschule in Castrop-Rauxel weiter gehen. Doch die Neunjähriger aus Ickern wurde abgelehnt. © privat

Amelie geht zurzeit noch zur Grundschule Alter Garten in Henrichenburg. Das sei akzeptabel in Sachen Erreichbarkeit. Mit einer eingeschränkten Gymnasialempfehlung war die Gesamtschule ihre Wahl: Sie schauten sich bei den Info-Tagen und bei einem Schnuppertag die Ickerner Gesamtschule in den Aapwiesen und die Willy-Brandt-Gesamtschule an. Dort stehen ihr alle schulischen Wege offen. Und es gibt Ganztagsbetreuung.

Katrin selbst war an der Realschule. Auch das eine Option, die FNR in Habinghorst ist auch erreichbar. Aber: „Wenn sie sich da nun doch Richtung Abitur entwickeln sollte, dann müsste sie in einem vermutlich schwierigen Alter wieder die Schule wechseln. Das wollen wir eigentlich nicht“, sagt die Mutter.

Also meldeten sie sich bei der NGI an. Amelie war eins von 183 Kindern. Die Gesamtschule mit ihren regulär 108 Schulplätzen im neuen Jahrgang 5 stockt auf 135 auf, wird also fünfzügig. Aber: Es fehlen Plätze für weitere 48 Kinder. Eines davon: Amelie. An der WBG besteht nun auch keine Chance mehr: 114 Anmeldungen, 108 Plätze, 6 Schüler abgewiesen.

Schulen melden: Restlos voll

Eine betroffene Mutter ist wohl Verena Stein: „Die Gesamtschule, an der wir uns angemeldet haben, hat uns am Montagmorgen angerufen und gesagt, wir müssten die Schulpapiere abholen und unser Kind schnellstmöglich an einer anderen Gesamtschule anmelden“, berichtet sie unserer Redaktion.

Daraufhin habe sie die Gesamtschulen in Ickern und Waltrop angerufen. „Die haben mir sofort am Telefon gesagt, dass sie restlos voll sind. Die Schule in Waltrop hat mir angeboten, mich auf die Warteliste zu setzen. Also sind wir gezwungen, unser Kind nach Suderwich zu schicken, weil Castrop-Rauxel keine Hauptschule mehr hat und die Gesamtschulen alle voll sind. Ich als Mutter verstehe nicht ganz, warum mein Kind nicht auf eine Schule gehen kann, die nur knapp zwei Kilometer entfernt ist“, ärgert sich Verena Stein.

Das Verfahren ist dabei festgelegt: „Es wurden, so wie es das Schulgesetz vorsieht und vorschreibt, drei Leistungstöpfe gebildet, aus denen per Losverfahren die gleiche Anzahl an Schüler*innen positiv herausgezogen wurden“, erklärt Stadtsprecherin Maresa Hilleringmann. „Lediglich Geschwisterkinder wurden, so wie laut Schulgesetz möglich, bevorzugt aufgenommen.“

Katrin Betker aus Ickern habe weder Eltern noch Schwiegereltern in der Nähe, die die Betreuung phasenweise übernehmen könnten, wenn sie im Schichtdienst in der Pflicht ist und ihr Kind schulfrei hat. Und: „Meine Tochter hat hier ihr soziales Umfeld. Wir wohnen in den Aapwiesen. Soll ich sie nach Suderwich mit neun oder zehn Jahren allein fahren lassen?“ Es gebe wohl einen Einsatzbus von Ickern Markt oder Henrichenburg Zentrum. Aber da müsse das Kind ja auch erst einmal hinkommen.

„Warum nimmt man bei kinderreichen Schulen nicht erst die aus der eigenen Stadt? Das ist doch auch in Sachen Umwelt keine sinnvolle Lösung“, meint Betker. Der Ruf der NGI sei prima. „Amelie hat nach dem Schnuppertag sofort gesagt: Da möchte ich hin!“ Geht aber nicht. Und das, obwohl viele andere Mitschülerinnen dorthin wechseln würden. Ihre Tochter sei nicht unbedingt die Draufgängerin, die schnell neue Kontakte knüpfe.

Die Neue Gesamtschule Ickern: Millionen fließen seit Jahren in die Sanierung und den Umbau des Gebäudes an der Waldenburger Straße. Im kommenden Schuljahr kommt ein weiterer Jahrgang zu der wachsenden Schule hinzu.
Die Neue Gesamtschule Ickern: Millionen fließen seit Jahren in die Sanierung und den Umbau des Gebäudes an der Waldenburger Straße. Im kommenden Schuljahr kommt ein weiterer Jahrgang zu der wachsenden Schule hinzu. © Stadt Castrop-Rauxel

Für Betker und Glatz steht fest: „Wir reichen einen Widerspruch ein. Das macht für uns ein Rechtsanwalt.“ Ob das von Erfolg gekrönt sein wird? „Wir wissen es nicht. Aber wir versuchen es. Die Absage war für uns alle ein Schock. Damit hätten wir überhaupt nicht gerechnet. Vergangenes Jahr sollen alle Gesamtschul-Anmelder aus der Stadt irgendwie untergekommen sein“, sagt sie.

Die Stadt sagt, es gebe schon einzelne bekannte Widerspruchsfälle bezüglich der NGI. Bei der WBG nicht. Die leite sie an die zuständige Stelle weiter: die Bezirksregierung. Zu Alternativen für die abgelehnte Schüler und Schülerinnen liefen bereits Gespräche. Regina Kleff, Erste Beigeordnete der Stadt Castrop-Rauxel, auf Anfrage unserer Redaktion: „Wir tauschen uns sowohl mit der Bezirksregierung als auch mit den schulpolitischen Sprechern der Fraktionen aus, um hier Lösungen zu finden.“

Castrop-Rauxel hat nach dem Auslaufen der Sekundarschule Süd ein Problem: Es gibt einfach zu viele Schüler im aktuellen Jahrgang für die zwei Gesamtschulen. Intern wird an dem Problem gearbeitet. Aber aktuell stünden nur noch Hauptschulen in Dortmund und Oer-Erkenschwick bereit für leistungsschwächere Schüler.

Vielleicht wird nach der neuen Grundschule am Hügel bald auch eine neue weiterführende Schule gegründet. Aber das wird im neuen Schuljahr natürlich noch nichts. Es kommt auch vor, dass Schulen ihre Klassen leicht überbelegen. Übergroße Klassen sind wiederum für die Qualität des Unterrichts ein Problem. Für Amelie (9) aus Ickern und viele Familien werden die nächsten Wochen noch spannend. Und das eher nicht im positiven Sinne...

Bürgermeister Rajko Kravanja, Schulleiterin Dr. Kerstin Bröker (NGI) und Prof. Dr. Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft (v.l.), unterzeichnen eine Kooperationsvereinbarung.
Bürgermeister Rajko Kravanja, Schulleiterin Dr. Kerstin Bröker (NGI) und Prof. Dr. Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft (v.l.), unterzeichnen eine Kooperationsvereinbarung. © Kirsten Neumann