
Falscher Monteur bestiehlt blinde Frau aus Castrop
So schützen Sie Senioren vor Trickbetrügern
Hildegard Müller wurde von einem skrupellosen Betrüger an der eigenen Haustür überlistet. Eine Sache von Minuten. Jetzt ist ihr gesamter Schmuck fort. Die 81-jährige Castroperin vermutet, dass eine Bande sie bereits Tage vorher als passendes Opfer ausgespäht hat. Hildegard Müller ist zwar betagt und blind, doch vor allem ist sie eines: mutig.
Die Wohnung von Hildegard Müller liegt im vierten Stock. Als es an diesem 9. Februar um 8.45 Uhr zum ersten Mal klingelt, geht die zierliche Frau zunächst zur Gegensprechanlage. „Hallo?“ Aber niemand meldet sich. Der Täter ist wahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt schon längst im Haus. Ob er sich gezielt die Wohnung von Hildegard Müller für seine Tat ausgesucht hat? Die 81-Jährige ist davon überzeugt. „Er muss gewusst haben, dass ich eine Schatulle mit Schmuck besitze“, sagt sie. Dieser Glaube fußt auf einem Besuch, der ihr und ihrer Nachbarin zwei Wochen zuvor abgestattet worden war. Aber dazu später mehr.
Als es nach wenigen Minuten wieder klingelt, hätte Hildegard Müller besser nicht die Tür geöffnet. Aber die 81-Jährige dreht den Schlüssel und drückt die Klinke herunter. Als sie die Tür einen Spalt breit öffnet, ist es schon zu spät. Jemand packt sie am Arm. Wer es ist, kann Hildegard Müller nicht sehen. Sie ist blind.
Was der Täter tatsächlich weiß. Das Haus, in dem Hildegard Müller lebt, ist im Besitz der Wohnungsgesellschaft LEG. Das ist nicht schwierig herauszubekommen. Es steht groß an der Haustür: „LEG. Gewohnt gut.“ Was der Täter auch weiß: In der Tiefgarage unter dem Haus hat es gut zwei Wochen zuvor gebrannt. Die örtlichen Medien haben darüber berichtet. Das macht er sich zunutze. Vielleicht weiß der Täter auch, dass in dem Haus an der Oberen Münsterstraße nur Wohnungen für Senioren sind. Hildegard Müller glaubt, der Mann muss auch gewusst haben, dass sie blind ist. Kriminalhauptkommissar Diether Michalak weiß: "Solche Täter wählen ihre Opfer meist nach dem Zufallsprinzip aus. Oft kommen sie aus einer anderen Stadt und entscheiden erst an der Klingelanlage, bei wem sie es probieren." Michalak ist bei der Polizei Recklinghausen für Kriminalprävention zuständig.
"Es geht ganz schnell"
Nachdem es erneut klingelt und sich niemand über die Gegensprechanlage meldet, spürt Hildegard Müller, dass der Besuch bereits vor der Tür steht. Sie öffnet. „Guten Tag, die LEG hat mich geschickt, ich soll bei Ihnen die Steckdosen kontrollieren.“ Es ist eine männliche Stimme mit einem Akzent, den Hildegard Müller später als „osteuropäisch“ beschreiben wird. Der Mann packt sie am Arm. Vielleicht bemerkt er erst jetzt, dass sein Opfer blind ist. „Der war stabil gebaut, der war groß“, erinnert sich die 81-Jährige „Hier, fühlen Sie, ich habe einen Kontrollkoffer dabei“, sagt der Mann, „für die Steckdosen.“ „Wieso meine Steckdosen?“, fragt Hildegard Müller. „Weil es doch gebrannt hat. Meine Kollegen arbeiten unten, weil bei dem Brand Kabel verschmort sind“, sagt der Mann. „Es geht ganz schnell, ganz schnell.“
„Es waren ja wirklich Handwerker im Haus, ich habe sie unten gehört“, berichtet Hildegard Müller später. In dem Moment glaubt sie dem Mann. Obwohl er sie am Arm gepackt hat. Obwohl er zu ihr sagt, sie solle sich in den Sessel im Wohnzimmer setzen. Sie will aber nicht sitzen. Sie will, dass die Situation schnell vorbei ist. Sie steht im Wohnzimmer und hört, dass der Mann in ihrem Schlafzimmer ist. „Ich habe ihm gesagt, dass die Steckdose vorne an der Tür ist, aber er hat nicht mehr mit mir gesprochen.“ Was er in ihrem Schlafzimmer macht, kann sie nicht hören. Seit gut einem Jahr kann Hildegard Müller nichts mehr sehen. Die Diagnose lautete "Grauer Star". "Es wurde immer schlimmer, auch die Opertion hat nicht geholfen. Am Anfang konnte ich noch Umrisse oder das Licht der Sonne sehen. Jetzt lebe ich im Dunkeln."
Die Jalousien in ihrem Schlafzimmer sind auch tagsüber herunter gelassen. Der fremde Mann ist immer noch dort. "Ich weiß nicht, ob es Sekunden oder eine Minute war", sagt Hildegard Müller. Plötzlich beschleicht sie das Gefühl, dass da etwas nicht stimmt, dass es ein Fehler war, den Fremden in ihre Wohnung zu lassen. Dann hört sie noch einmal seine Stimme. „Alles in Ordnung“, ruft der Fremde und verlässt die Wohnung so überstürzt, wie er gekommen war. Hildegard Müller steht im Wohnzimmer. Es ist still. Es ist dunkel. Sie atmet schnell, lauscht in ihre 50 Quadratmeter große Wohnung hinein. Ist er wirklich weg? „Ich habe alles abgetastet. Ich habe in der Dusche gefühlt, überall. Ich wollte sicher sein, dass niemand mehr in meiner Wohnung ist. Plötzlich hatte ich große Angst, ich wollte erstmal raus aus meiner Wohnung.“

Direkt neben ihrem Bett bewahrte Hildegard Müller den Schmuck auf. © Foto: Habersack
Zu prüfen, ob etwas fehlt, ob der Eindringling etwas mitgenommen hat, auf diese Idee kommt Hildegard Müller in diesen Momenten der Konfusion nicht. Sie fährt mit dem Fahrstuhl in den zweiten Stock und fragt die Handwerker, ob jemand den Auftrag hatte, die Steckdosen zu überprüfen. Nein, diesen Auftrag habe niemand erhalten, sagen die Handwerker. Hildegard Müller ist irritiert. Sie geht zu Gertrud Wernau. Die 87-Jährige wohnt ebenfalls im vierten Stock. Sie ist die Person, der Hildegard Müller am meisten vertraut. Die beiden Damen siezen sich, als Freundinnen würden sie sich nicht bezeichnen, aber sie sind für einander da. Gertrud Wernau liest ihrer erblindeten Nachbarin jeden Tag aus der Zeitung vor, was sich in Castrop-Rauxel ereignet hat und was am Abend im Fernsehen kommt. Wenn Gertrud Wernau zu Besuch kommt, benutzt sie ein vereinbartes Klopfzeichen. Hildegard Müller weiß dann, dass ihre Vertraute vor der Tür steht.
Ansonsten hat Hildegrad Müller niemanden mehr, der sich um sie kümmert. Es gibt noch eine Schwester. Aber die lebt in Ickern und ist alt und krank. Ihr Mann ist vor vielen Jahren gestorben - damals verließ sie das gemeinsame Haus und zog in die Wohnung an der Oberen Münstertraße. Ob sie Kinder hat? Darüber möchte Hildegard Müller nicht sprechen. Einmal am Tag kommt der Essensdienst, alle 14 Tage eine Haushaltshilfe, einmal in der Woche der Pflegedienst. Die 87-jährige Gertrud Wernau ist jeden Tag für sie da.
Die beruhigt ihre Nachbarin, als sie hört, dass ein seltsamer Mann in deren Wohnung gewesen sei. Die beiden Damen gehen erstmal einkaufen. Erst danach kommen sie auf die Idee zu prüfen, wie es in der Wohnung von Frau Müller aussieht. Ob etwas durcheinander ist, ob vielleicht etwas fehlt. Und da trifft Hildegard Müller der Schlag. „Als ich meine Uhr im Schlafzimmer gedrückt habe, merkte ich, dass etwas nicht stimmt. Der Platz, an der die Schatulle mit meinem Schmuck stand, war leer. Ringe, Goldektten, Ohrringe - alles weg." Die beiden Frauen rufen sofort die Polizei und berichten auch von einer Begebenheit, die sich zwei Wochen zuvor ereignet hatte.
Schmuckeinkäufer nach Hause eingeladen
Damals hatten sie eine Annonce in der Zeitung entdeckt, von einem Schmuckankäufer aus Dortmund. Eine gute Gelegenheit, um die Rente etwas aufzubessern, dachten sich die beiden Frauen, wählten die angegebene Nummer und luden den Ankäufer in die Wohnung von Gertrud Wernau ein. "Ich habe ihm eine Uhr für 40 Euro verkauft. Dann hat er gefragt, ob wir auch Schmuck zu verkaufen hätten", erinnert sich Wernau. Hildegard Müller erzählte dem Mann, dass sie Schmuck in ihrer Wohnung hätte und über einen Verkauf nachdenken würde. Ein weiteres Geschäft kommt aber an diesem Tag nicht mehr zustande. Was bleibt, ist ein Verdacht, der die beiden Frauen nicht mehr los lässt. "Wer sollte also wissen, dass ich Schmuck in meiner Wohnung habe. Das wusste nur dieser Mensch", sagt Hildegard Müller. Die Polizei wird dem Verdacht nachgehen. "Er ist vermerkt und wir werden das prüfen", sagt eine Sprecherin auf Nachfrage.
Zurück bleibt eine 81-jährige Frau, die viel verloren hat. Dass sie ihren Schmuck wahrscheinlich nie wieder sehen wird, macht sie traurig und wütend. Viel schwerer wiegt aber der Verlust ihres Vertrauens, ihres Sicherheitsgefühls. In ihren eigenen vier Wänden fühlte sie sich geborgen und sicher. „Wenn ich jetzt an Stellen taste, wo der Verbrecher gewesen sein muss, krieg ich Schüttelfrost. Manchmal, wenn ich ein Geräusch höre, denke ich, hier ist noch jemand", sagt Hildegard Müller. Seitdem sie nicht mehr sehen kann, ist das Bedürfnis nach einem geschützten Raum, nach einer festen Ordnung noch gestiegen. Aber diese wenigen Minuten am Morgen des 9. Februar haben diese Ordnung zerstört. „Ich schlafe jetzt nur noch mit Schlüssel im Schloss, sonst fühle ich mich gar nicht mehr sicher.“
Vielleicht hätte Hildegard Müller misstrauischer sein müssen. Aber, und das betont Kriminalhauptkommissar Diether Michalak: "Die Opfer tragen keine Schuld daran, dass sie ausgeraubt wurden. Sie müssen auch keine Scham haben, dass sie auf einen Kriminellen reingefallen sind, sondern solche Fälle direkt zur Anzeige bringen." Für Hildegard Müller stand sofort fest: So ein Verbechen muss gemeldet werden und die Öffentlichkeit soll davon erfahren, was für skrupellose Menschen es gibt. Der Besuch des fremden Mannes lässt sie nicht los und ein Gedanke kommt ihr immer wieder: „Wenn er die Schmuckkassette nicht gefunden hätte, wer weiß, ob ich hier heil raus gekommen wäre. Ich war diesem Verbrecher total ausgeliefert.“
So können Sie Ihre Eltern schützen
Geschichten wie die von Hildegard Müller sind der Arbeitsalltag von Diether Michalak. Als Kriminalhauptkommissar ist er bei der Polizei Recklinghausen für Opferschutz und Kriminalprävention zuständig. Seine oberste Devise lautet: „Besonders ältere Menschen sollten immer ein gesundes Misstrauen mitbringen, wenn sie von Fremden angesprochen oder angerufen werden. Aber gerade der Nachkriegsgeneration fehlt dieses Misstrauen oft. Sie haben gelernt, anderen zu helfen und sich helfen zu lassen.“
Wir haben Diether Michalak gefragt: „Was kann man unternehmen, um ältere Familienmitglieder davor zu beschützen, dass sie auf einen Betrüger reinfallen? Wie sollen sie sich verhalten, wenn ein Unbekannter anruft oder an der Tür steht?“ Im Video gibt der Kriminalhauptkommissar wichtige Tipps:
Wassertrick, Zetteltrick oder der falsche Polizist. Diether Michalak gibt einen Überblick über die Maschen der Betrüger:
- Kriminalhauptkommissar Diether Michalak hält Vorträge zum Thema Kriminalprävention. Wer ihn zu einer Infoveranstaltung oder zu einem Gesprächsabend einladen möchte, kann ihn unter Tel. 02361-553346 kontaktieren.
- Infomaterial zum Thema "Schutz vor Kriminalität im Alltag" kann man auch auf der Internetseite der Polizei Recklinghausen runterladen: Infobroschüren zum Download
1976 in Krefeld als Sohn einer Lehrerin und eines Richters geboren. Seit über 20 Jahren wohnhaft in Münster. Beruflich in Dortmund zuhause. Verheiratet, zwei Kinder. Politisch und sportlich eher rot als schwarz-gelb. Motto: Lokaljournalismus muss auch unbequem sein.
