Eine lange Schlange hat sich am Mittwoch (28.12.) vor dem unscheinbaren grauen Haus an der Bahnhofsstraße 200 in Castrop-Rauxel gebildet. Die etwa 50 Menschen in der Schlange wollen alle zur Praxis von Ewa Zielinski im 2. Stock, brauchen Unterlagen oder dringende Rezepte.
Die ersten Patienten in der Schlange stehen schon mehrere Stunden an. Ewa Zielinskis Praxis schließt zum Ende des Jahres, viele, die hier stehen, haben das aber erst durch einen Bericht unserer Redaktion erfahren.
Ein Ehepaar war Anfang Dezember zum letzten Mal für eine Blutuntersuchung in der Praxis: „Da wurde uns noch nichts davon gesagt. Wir müssen eigentlich auch noch ein Gespräch wegen der Ergebnisse führen.“ Während sie erzählen, kommt eine Frau von oben aus der Praxis, einen Stoß Unterlagen in der Hand.
Sie arbeitet bei einem Pflegedienst, erzählt sie. Ihre Kollegin habe sich am Morgen um kurz nach 10 Uhr angestellt, sie habe sie dann um 12 Uhr abgelöst. Jetzt um 13.15 Uhr hat sie endlich die Unterlagen ihrer Klienten in der Hand.
Über einen Zettel an der Tür der Praxis wurden die Patientinnen und Patienten aufgefordert, zwischen dem 27. und dem 29. Dezember von 12 bis 15 Uhr ihre Patientenakten abzuholen. Aber schon am Dienstag (27.12.) hatte sich eine lange Schlange gebildet. Viele, die an diesem Mittwoch anstehen, waren am Dienstag schon da, waren aber zu den Öffnungszeiten nicht mehr in die Praxis gekommen.
Fünf Leute in zwei Stunden
Die Mitarbeiterin des Pflegediensts erzählt, dass in zwei Stunden nur fünf Leute abgearbeitet wurden: „Es ist nur noch eine Sprechstundenhilfe da.“ Und tatsächlich – oben in der Praxis sitzt am Tresen eine Dame, die mit einem alten Drucker versucht, des Ansturms Herr zu werden.
Mit der Presse möchte die Sprechstundenhilfe nicht sprechen, ihr ist der Unmut der Patienten sichtlich unangenehm. Sie mutmaßt, dass es im neuen Jahr nochmal Termine geben wird. Bestätigen lässt sich das aber nicht. Seit Tagen ist es der Redaktion nicht möglich, Kontakt zu Ewa Zielinski herzustellen.
Die wartenden Patientinnen und Patienten vor der Tür tauschen sich derweil über das aus, was sie über die Schließung wissen oder gehört haben wollen. Zielinski habe bis zuletzt nach einem Nachfolger gesucht, der sei dann aber abgesprungen. Andere erzählen, dass sie sich schon über die Abgänge der Sprechstundenhilfen in den vergangenen Wochen gewundert haben.
Eigentlich immer zufrieden
Von der Art und Weise wie die Praxis schließt, sind viele entsetzt. Eine Dame, die seit vielen Jahren bei Ewa Zielinski in Behandlung war: „Das ist doch keine Art, es so zu beenden. Dieser Abgang ist wirklich nicht schön.“ Dabei waren alle Patientinnen und Patienten, mit denen wir in der Schlange gesprochen haben, mit Ewa Zielinski sehr zufrieden. Sie habe immer ein offenes Ohr gehabt, gerade für ältere Menschen habe sie viel Geduld und Verständnis mitgebracht.

Um 13.25 Uhr wird die Schlange dann plötzlich für diesen Tag geschlossen. Da haben sich aber schon viele enttäuscht auf den Weg nach Hause gemacht, sie waren sicher heute nicht mehr dranzukommen.
Angelika Vergin und Claudia Konrad sind zu spät gekommen. Auch Angelika Vergin war immer zufrieden in der Praxis. Sie gehört zu den wenigen, die schon vor einigen Wochen bei einem Termin durch Zufall von der Schließung erfahren hat: „Sie (Ewa Zielinski) hat versprochen, dass alles geregelt wird, sie würde ihre Patienten ja nicht im Stich lassen. Daraus ist wohl nichts geworden.“
Claudia Konrad ist Schilddrüsenpatientin und extra aus Dortmund hergefahren: „Ich brauche eigentlich meine Medikamente, ich kann nicht bis zum neuen Jahr warten.“ Sie wusste nichts vom Ende der Praxis und fiel bei der Nachricht aus allen Wolken.
Unterlagen sind nicht verloren
Wie es für die Patientinnen und Patienten der Praxis weitergeht, ist unklar. Rezepte und Termine bei der Ärztin selbst wird es auf jeden Fall nicht mehr geben. Die Betroffenen müssen sich schnellstmöglich einen neuen Hausarzt suchen.
Wer seine Patientenakte nicht sofort braucht, kann etwas beruhigter sein. Zehn Jahre lang müssen Ärzte die Unterlagen ihrer Patientinnen und Patienten aufbewahren, so will es das Gesetz. Auch wenn eine Praxis schließt und es keinen Nachfolger gibt, müssen die Akten aufbewahrt werden, und die Betroffenen haben ein Anrecht darauf, ihre Unterlagen zu erhalten.
Wie das im Fall der Praxis von Ewa Zielinski ablaufen wird, ist aber noch unklar. Ein Sprecher der Ärztekammer Westfalen-Lippe konnte kurzfristig zu dem Fall in Castrop-Rauxel keine Angaben machen. Eine Anfrage der Redaktion läuft.
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