„Ährwins“ Steigerlied ertönt bis heute auf Schalke Vor 15 Jahren starb Erwin Weiß aus Castrop-Rauxel

Vor 15 Jahren starb Erwin Weiß: Mit seinen Songs ist er eine Revier-Legende
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Ich fuhr diesen Sommer mit Juppi sein Sportcoupé / durch Castrop-Rauxel. Die Sonne vertrieb den Schnee. / Da sah ich ne Perle vor mich anne Ampel steh’n. / Ich fruch: Kommsse mit mit mich? Der Tach is so schön!

Chorus: Mäusken, willze mit mich Eis essen geh’n? Findze datt nich besser, als hier rumzusteh’n? / Bei dieser Sonne hält datt hier kein Deibel aus! Ich geb’n Eis aus, hey kleine Maus.

Ich war ma in Herne da hatt ich echt Parkplatznot. / Ich stellte die Karre einfach in‘ Halteverbot. / Da kam so ne Biene, verpasst mich nen Strafmandat. / „Du kannst mich nicht ärgern!“, hab ich ihr gesagt.

/Chorus/

In Gelsenkirchen war ich in so’n Tanzlokal. / Da griff mich ne Perle und meint, et wär Damenwahl. / Sie hat mich umklammert, als wär se so ein Polyp. / Trotz ihrer zwei Zentner meinte se lieb: / „Hömma Kleiner, watt meinze?“

/Chorus/

Keine Kurzgeschichte. Es ist ein Lied. 1995 schrieb Erwin Weiß aus Castrop-Rauxel diese Zeilen und produzierte um sie herum ein Schunkel-Liedchen, das auf so mancher Auswärtsfahrt von Schalker Schlachtenbummlern in Bussen und Kneipen bis heute gern lauthals gesungen wird.

Erwin Weiß, der Ruhrpott-Barde von nebenan, der 2008 starb, am 2. Oktober genau vor 15 Jahren. Der Sänger, der sogar einen seiner Mundart-Schlager bis in die deutschen Top-100-Singlecharts brachte: Darin ging es auch um ein „Mäusken“, wie Erwin Weiß in den guten Jahren ihrer Ehe seine Frau Gisela nannte.

Bis auf Platz 44 der deutschen Charts

„Wenn dich datt Mäusken beißt“ kletterte im Februar 1974 auf Platz 44 der Charts. Ein Lied, eine Geschichte, die vom Leben des kleinen Bergmanns im Ruhrgebiet erzählt. Wie fast alle Geschichten, die Erwin, der sich auf der Bühne und seinen Platten „Ährwin“ nannte, in seinen Dutzenden Liedern verpackte. „Denn wenne Sonne scheint, und wenn et Sonntach iss, dann weiße, datt de Mensch geblieben bis. Und wenn et dunkel wird, und dich dein Mäusken beißt – dann weiße erst, watt Leben heißt.“

1934 wird Erwin als Sohn einer Bergmannsfamilie auf Schwerin geboren – eine Hausgeburt, wie das damals üblich war. An einem Sonntag, einem, der in Castrop-Rauxel durch die Kirmes in der Altstadt schon ein besonderer Sonntag war. Seine Mutter erklärte sich so, warum Erwin war, wie er war: ein Mensch für die Bühne. Doch Erwin Weiß lernt zunächst in der Volksschule, dann den Beruf des Schreiners, mausert sich später als Ersatzverkäufer auf einer Messe in der Dortmunder Westfalenhalle zum besten Umsatzbringer eines Dortmunder Möbelhauses. Er kann Leute begeistern – ob für Produkte oder für Musik.

Die macht er zu der Zeit schon: Er bringt sich selbst das Orgel-, das Klavier- und Gitarrespielen bei, pumpt gern auf seinem Akkordeon herum. Er interpretiert Lieder von Freddy Quinn, steht damit in Gaststätten und bei Feiern auf der Bühne. So wird eines Tages Hanus Berka, ein tschechoslowakischer Musiker und Musikproduzent aus München, auf ihn aufmerksam. Er soll ihn als erster aufgefordert haben, so zu singen, wie er sprach: in Ruhrpott-Deutsch. „Ein bisschen pointierter“, sagt sein Bruder Jürgen heute – „so speziell hat er eigentlich nur auf der Bühne als Ährwin gesprochen“.

In den 70er-Jahren erobert er auch die Bühne des Fußballs im Ruhrgebiet: Als Borussia Dortmund 1976 den Aufstieg in die 1. Bundesliga schafft, singt er den „BVB-Song“: „Wir halten fest und treu zusammen! Hip-hip Hurra! Borussia! Vor keinem Gegner wir verzagen. Hip-hip Hurra! Borussia!“ und das weniger bekannte „Wir steh’n nur auf BVB. Denn unsere Mannschaft ist okay.“

8. Mai 2001: Erwin Weiß und Manager Rudi Assauer präsentieren zusammen eine neue CD von "Ährwin", dem Liedermacher aus Castrop-Rauxel.
8. Mai 2001: Erwin Weiß und Manager Rudi Assauer, beide verstorben, präsentieren zusammen eine neue CD von "Ährwin", dem Liedermacher aus Castrop-Rauxel. © Klaus Wieschus

Dann aber widmet er sich der wahren Liebe, dem FC Schalke 04, und trägt zum Liedgut der Fans einen bis heute unvergessenen Klassiker bei: „Schalke 04 - Liebe im Revier. Junge, da fällt dich nix mehr ein. Schalke 04 ist die Seele vom Revier. Sach mich: Watt kann schöner sein?“ Das Steigerlied, zu dem sich die ganze Arena auf Schalke bis heute vor jedem Anpfiff erhebt – das ist die von Erwin Weiß eingesungene Version: „Glückauf Glückauf, der Steiger kommt. Und er hat sein helles Licht bei der Nacht, und er hat sein helles Licht bei der Nacht schon angezünd’t, schon angezünd’t.“

Enger Kontakt zu Assauer, Eichberg und Charly Neumann

In den 90er-Jahren, als Schalke nach den Abstiegen wieder in der 1. Liga Fuß fasst, gehört Ährwin zum Schalker Establishment: Vor besonderen Heimspielen steht er im Vorprogramm auf der Bühne auf der Tartanbahn unterhalb der Nordkurve des Parkstadions. Mannschaftsbetreuer Charly Neumann, Präsident Günter Eichberg, später Manager Rudi Assauer: Sie alle pflegen eine enge Beziehung zu Erwin Weiß. „Sag mal, bist du der Bruder von Erwin?“, soll das Schalker Idol Olaf Thon nach dem Ende seiner Profi-Laufbahn am Rande eines Spiels der Schalker Traditionself in Castrop-Rauxel einmal Jürgen Weiß gefragt haben. Der Name, das Gesicht – bekannt auf Schalke.

Erwin, der bunte Hund, behält die Füße auf dem Boden, auch wenn er zum Teil in Extravaganz lebt: Er wohnt in einer Villa im Dortmunder Stadtteil Mengede, einem Vorhaus des Schlosses Bodelschwingh, mit einem Wohnzimmer von 150 Quadratmetern, wie Bruder Jürgen sich erinnert: ein Poolbillard-Tisch mittendrin, ein Kamin, so groß, dass er eine ganze Fußballmannschaft wärmen könnte.

Mit einem Preisschild von 2,50 Euro: Ährwins Platte vom Mäusken und der B-Seite Geada ("Meine Perle"): In Schallplattengeschäften gab es die Scheiben auch noch zu Eurozeiten.
Mit einem Preisschild von 2,50 Euro: Ährwins Platte vom Mäusken und der B-Seite Geada ("Meine Perle"): In Schallplattengeschäften gab es die Scheiben auch noch zu Eurozeiten. © Tobias Weckenbrock

Inzwischen hat er eine eigene Plattenfirma: „Dat isset Räkords“, unter deren Label er sich selbst verlegt und vermarktet. Er wird in den jungen Tagen des Privatfernsehens tragendes Gesicht beim RTL-Frühstücksfernsehen, ist zu Gast im WDR-Hörfunk, verliert die Erdung aber nicht. Er tritt bei Vereinsgeburtstagen in Castrop-Rauxel auf – ohne Gage. Er singt in Altenheimen. Er arbeitet mit der Aktion Sorgenkind zusammen.

Bis eines Tages Schluss mit alledem ist: Bei einem Autounfall auf der A42 verliert er 2001 nicht nur beinahe seinen rechten Arm, sondern fast sein Leben. Der Verursacher flüchtet und wird nie gefunden. Der Arzt im Recklinghäuser Krankenhaus, in das er mit lebensgefährlichen Verletzungen eingeliefert wird, erkennt in dem Mann den regional bekannten Sänger und versucht, den Arm, der die Saiten seiner Klampfe schlagen lässt, zu retten. Irgendwie gelingt das.

Drei Monate im Koma ändern vieles

Erwin liegt drei Monate lang im Koma, kommt wieder auf die Beine – muss aber erkennen: Gitarrespielen geht nicht mehr. Bruder Jürgen, der FC Schalke 04: Sie lassen ihren Erwin nicht fallen. Aber er fällt doch: Von seinen zwei Söhnen und seiner Frau lebt er praktisch getrennt. Und seine Leidenschaft, die Musik, kann er nur noch Playback darbringen. So lässt Manager Rudi Assauer ihn noch zu manchem Schalker Heimspiel aus Mengede in die Arena chauffieren. Doch der Alte ist Erwin nicht mehr.

Erwin Weiß ließ in seinen Liedern viele Städte des Reviers vorkommen.
Erwin Weiß ließ in seinen Liedern viele Städte des Reviers vorkommen. © Repro Weckenbrock

Zum Schalker Vereinsjubiläum am 4. Mai 2004 – dem großen 100-Jährigen, das in der Arena groß gefeiert wird – soll Ährwin wieder trällern. Am Abend zuvor gibt es eine Fanparty in der Gelsenkirchener Disko Fledermaus. Auch dorthin haben ihn die ausrichtenden „Supporters“ und Ultras eingeladen. Er ist ein gebrochener Ährwin, wird praktisch auf die Bühne geschoben, doch er singt und wird gefeiert.

Als Ärzte bei ihm 2008 einen Darmtumor entdecken und ihm noch maximal ein Jahr zu leben geben, da ist es um Erwin geschehen: Nur zwei Wochen nach der Diagnose, dem Grund für die starken Rückenschmerzen, die ihn plagen, stirbt Erwin Weiß am 2. Oktober im Alter von 74 Jahren.

Häusken und Mäusken

Er wird da bestattet, wo er her kommt: auf Kohle geboren, auf Kohle unter der Erde begraben. Ein bloßes Holzkreuz auf dem Merklinder Friedhof erinnert bis heute an einen Künstler, der gute Laune verbreitete. Der Heimat geatmet hat – dessen Lieder die Freude an der Heimat verkündeten.

„Ich hatte in seinen letzten Lebensjahren nicht mehr so viel Kontakt zu ihm“, sagte sein Sohn Frank Weiß 2018 im Interview mit unserer Redaktion über seinen Vater. Auch er liebt die Musik. Andere. „Mein Stil ist eher Metal – aber ich habe kein Problem damit, seine Musik gehört zu haben. Und es gibt ja Ohrwürmer, die man bis heute im Kopf hat: Häusken und Mäusken – das waren die ganz besonderen Lieder.“ Sie schallen bis heute nach. Auch 15 Jahre nach dem Tod von „Ährwin“, einer Ruhrgebiets-Legende.

Kuck dich die Welt an, dann weiße Bescheid. Alle malochen und keiner hat Zeit. / Für datt, watt uns doch so richtich glücklich macht: Datt iss de Sonne am Tag und

so‘n Schatz in der Nacht. / Datt muss doch auch ma sein.

Hasse dein Häusken, dein Pils und dein Korn, hasse in Rom und Paris nix verlor’n.

/ Legsse dich still in dein Garten hinten raus. Und wenn de Schuhe dich drücken,

dann ziehsse se aus. / Datt muss doch auch ma sein.

Chorus: Denn wenne Sonne scheint und wenn et Sonntach iss, dann weiße datte Mensch geblieben bis. / Und wenn et dunkel wird und dich dein Mäusken beißt, dann weiße erst, watt Leben heißt.

Hörsse die Pumpe, die schlägt ganz hart. Dich zahlt die Knappschaft, kein Doktor Bernard. / Lass dich doch Zeit, man! Und sei doch ma schlau. Eh du mal schlapp machst, da mach lieber blau. / Datt muss doch auch ma sein.

Sacht dich dein Steiger: Der Pütt macht bald zu. Zuckse de Schultern: Watt kannze dazu? / Holsse de Kohle von deinem Arbeitsamt und lässt de andern malochen –

datt ist doch kulant / und kann doch auch ma sein.

/Chorus/

Gehse am Sonntag raus in den Park. Bisse fidel und fühlze dich stark. / Reißte am liebsten de nächsten Bäume aus und watte so aufreißt, datt locksse na Haus. / Datt muss doch auch ma sein.

/Chorus/

Geschwister: Erwin (auf dem Foto) und Jürgen Weiß waren 12 Jahre auseinander. Heute hält Jürgen die Erinnerung an seinen 2008 verstorbenen Bruder wach.
Geschwister: Erwin (auf dem Foto) und Jürgen Weiß waren 12 Jahre auseinander. Heute hält Jürgen die Erinnerung an seinen 2008 verstorbenen Bruder wach. © Tobias Weckenbrock (2018)

Dieser Text erschein zuerst im Jahr 2018.