Stadtwerke Castrop-Rauxel kündigen Tausende Energie-Verträge Spektakuläre Aktion geplant

Stadtwerke kündigen Tausende Verträge: Vollmacht soll Rückkehr sichern
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Tausende Castrop-Rauxelerinnen und Castrop-Rauxeler erhalten in diesen Tagen Post von ihrem Energieversorger, den Stadtwerken Castrop-Rauxel.

Der Inhalt wird viele Empfänger nicht freuen: Die Stadtwerke kündigen zum Jahresende alle rund 4700 Strom- und Gasverträge mit Preisgarantie. Die rund 800 Verträge, die ohne Preisgarantie laufen, werden ab 1. Januar deutlich teurer.

In dem Schreiben, das unserer Redaktion vorliegt, heißt es: „Diese Maßnahme fällt uns ausgesprochen schwer, ist aber notwendig, um uns selbst vor existenzbedrohenden Risiken zu schützen.“

Preise zeitweise 20-mal höher

Wie Stadtwerke-Geschäftsführer Jens Langensiepen im Gespräch mit unserer Redaktion erläutert, reagieren die Stadtwerke damit auf die „massive Eskalation“ der Einkaufspreise für Strom und Gas seit dem Sommer.

„Im Juli hat Strom an der Börse zeitweise mehr als 1 Euro pro Kilowattstunde gekostet. Bis Spätsommer 2021 lagen wir bei 4 bis 7 Cent pro Kilowattstunde“, führt Langensiepen aus. Beim Gas sei die Situation ähnlich gewesen. Zuletzt seien die Einkaufspreise zwar etwas gesunken, lägen aber immer noch etwa zehnmal so hoch wie früher.

Alle Stadtwerke-Kunden, die einen Vertrag mit Preisgarantie hatten und nicht auf das Schreiben reagieren, werden also ab 1. Januar 2023 vom Castrop-Rauxeler Grundversorger versorgt: von E.on.

Alternativ können sie sich auch dafür entscheiden, einen neuen Vertrag mit deutlich höheren Preisen abzuschließen, der auch für alle Kunden gilt, die bisher einen Vertrag ohne Preisgarantie hatten. Sie müssen ab 1. Januar 69,99 Cent pro Kilowattstunde (kWh) Strom und 20,99 Cent/kWh Gas zahlen.

Diese Preise sind, das bestätigt ein Blick in das Vergleichsportal Verivox, durchaus marktüblich. Die Stadtwerke Castrop-Rauxel sind hier nicht gelistet, aber selbst der neue Gaspreis läge unter den Top-Werten, der Strompreis nicht allzu weit davon entfernt.

Grundversorger viel günstiger

Aber: Beide Preise sind deutlich höher als das, was der Grundversorger E.on aktuell verlangt: nämlich knapp 30,85 Cent/kWh für Strom und ca. 12,1 Cent/kWh für Gas.

Es gibt für Castrop-Rauxelerinnen und Castrop-Rauxeler also eine deutlich günstigere Alternative zu den Stadtwerken. Nämlich, in die Grundversorgung zu wechseln. Wer etwa 3000 kWh Strom und 10.000 kWh Gas pro Jahr verbraucht, würde allein für den Verbrauch bei den Stadtwerken knapp 4200 Euro zahlen. In der Grundversorgung nur 2139,10 Euro.

Unklar ist aber, wie lange das so bleibt. Denn die Grundversorgung könnte bald ebenfalls deutlich teurer werden. Dass E.on momentan bei den niedrigen Preisen bleibt, nennt Langensiepen „überraschend“.

Deutschlandweit kein Vorbild

Auf diese Unsicherheit setzen die Stadtwerke mit einer spektakulären Option, die sie in dem Kündigungs-Schreiben als zweite Alternative zu einem neuen Stadtwerke-Vertrag anbieten. Eine Option, von der Jens Langensiepen glaubt, dass es für sie deutschlandweit kein Vorbild gibt:

Die Stadtwerke bitten ihre Kunden um eine Vollmacht, die besagt: Sobald die Preise der Stadtwerke wieder unter denen des Grundversorgers liegen, kündigen die Stadtwerke für ihre Kunden den E.on-Vertrag – und beliefern die Kunden wieder selbst. „Sie müssen sich dabei um nichts kümmern“, heißt es im Schreiben.

Und weiter: „Wir machen Ihnen dieses Angebot aus der Überzeugung heraus, Ihnen dadurch die günstigste Versorgung ermöglichen zu können. Auch wenn das für Sie bedeutet, dass wir Sie für eine gewisse Zeit als Kunde verlieren, so verbinden wir damit die Hoffnung, Sie bald wieder bei uns begrüßen zu dürfen.“

„Keine gute Lösung“

Der „Vollmacht-Gedanke“, sagt Jens Langensiepen, sei zwar nicht grundsätzlich neu. „Aber mir ist nicht bekannt, dass ihn ein Versorger nutzt.“ Der Stadtwerke-Geschäftsführer räumt ein, das Vorhaben sei „mit wahnsinnig vielen Unsicherheiten“ verbunden. Die Alternative wäre aber gewesen, dass die Kunden ohne Vollmacht kündigen, zum Grundversorger wechseln und auch später nicht zurückkehren.

Insgesamt nennt Langensiepen das Vorgehen „keine gute Lösung, aber die bessere, als auf die Vollmacht zu verzichten“. Wichtig ist dem Stadtwerke-Chef, dass auch jene Kunden, die die Vollmacht jetzt erteilen, diese jederzeit widerrufen könnten.

Das könnte dann attraktiv sein, wenn andere Anbieter günstiger werden sollten als der Grundversorger, aber die Stadtwerke (noch) nicht.

Warum ist E.on billiger?

Die Kündigung der Verträge gefährdet das Unternehmen nach Jens Langensiepens Angaben nicht. „Vor drei Jahren wäre das ein existenzielles Problem gewesen, aber heute macht der Energievertrieb nur ein Drittel unserer Einnahmen aus.“ 2022 werde man sogar ein positives Ergebnis ausweisen.

Warum übrigens E.on in der Grundversorgung so viel niedrigere Preise nehmen kann als die Anbieter am freien Markt, darüber möchte Jens Langensiepen nur spekulieren. Für ihn das „plausibelste Argument“: „Weil der Grundversorger weiß, dass viele Kunden über Jahre bei ihm bleiben, kann er deutlich früher Energie am Markt einkaufen.“ Wenn die Preise so wie zuletzt explodieren, kommen ihm diese „Vorräte“ zugute.

Um ihren Kunden alle Fragen über das Schreiben hinaus beantworten zu können, laden die Stadtwerke zu einer Infoveranstaltung in die Stadthalle am Europaplatz ein. Sie beginnt am Dienstag, 22.11., um 19 Uhr. Dafür bitten die Stadtwerke um eine Anmeldung unter veranstaltung@swcas.de oder auf der Webseite unter www.swcas.de/info

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