Die evangelische Kirche ist ebenso wie die katholische Teil der Christen-Flucht-Bewegung: Viele Menschen legen nun schon seit Jahren ihre Mitgliedschaft in der Kirche ab. Das Tempo der Mitgliederzahl-Rückgänge nimmt zu. Die Gemeinden fusionieren und verkleinern sich zugleich: Zuletzt entschied die Evangelische Kirchengemeinde Castrop-Rauxel-Nord, die Petrikirche abzugeben. 112 Jahre nach der Widmung an der Wartburgstraße steht sie nun leer.
300 Menschen kamen zum letzten Gottesdienst am Sonntag. Sie zogen gemeinsam während der Feier aus der Kirche aus und setzten sie in der Ickerner Christuskirche mit dem Abendmahl fort. Das war symbolisch, aber es ist wohl auch einer der Wege, den die Gemeindemitglieder in Zukunft wählen werden. Oder wohin führt es sie?
Presbyterin Ute Krapp (65) kündigte im Gespräch mit unserer Redaktion an, sie werde sich vermutlich nach Henrichenburg zur Erlöserkirche hin orientieren. Dorthin zöge es in Teilen auch den Habinghorster Pfarrer Sven Teschner, der Henrichenburg mit Diakon Robin Auvernkamp, während Pfarrerskollege Dominik Kemper sich um den Standort in Ickern kümmert. „Ich denke, das wird dann mein neues kirchliches Zuhause“, so Krapp, die in der Petrikirche wirklich fast zu Hause war. Das müsse sich die ehrenamtlich Engagierte sich am neuen Standort aber noch erarbeiten.
Die Christuskirche in Ickern mit dem Lutherhaus nebenan wird eine zweite Dependance der zusammengelegten Gemeinde bleiben. Und dann sollen noch Räume her im Bereich Lange Straße, so der Plan der Gemeinde: Man werde auch als Ersatz für das Christophorus-Heim mit dem Jugendtreff Café Q etwas im näheren Umfeld anmieten, so der Plan. Jugendarbeiter Frank Ronge veranstaltete zuletzt allerdings ein Open-Stage-Konzert auch im Ickener Lutherhaus.
Zum bald bevorstehenden Weihnachtsfest soll es wohl drei konkrete Optionen geben. Immerhin war das einer von zwei Anlässen im Jahr, zu dem die Petrikirche so gut gefüllt war wie beim Abschied letzten Sonntag: Man kann in die Christuskirche, die Erlöserkirche oder die Josefskirche gehen. Die ist ganz nahe bei an der Lessingstraße, allerdings katholisch. Dort soll es erstmals an Heiligabend um 23 Uhr einen ökumenischen Gottesdienst geben. Dabei feiern Protestanten und Katholiken gemeinsam.

Umstrittenes Altarbild
In den Tagen nach dem Entwidmungs-Gottesdienst und auch vorher meldeten sich derweil mehrere Leser in unserer Redaktion. Man möge die Petrikirche nun unter Denkmalschutz stellen, lautet eine Forderung. Das sieht die Gemeinde aber eher als kontraproduktiv an, weil es einen Verkauf verkomplizieren würde. Auch wenn sie den Käufer danach auszusuchen versucht, ob er sie erhalten und umnutzen möchte oder nicht. Fest steht: Man müsste mindestens 1 Million Euro investieren, so Pfarrer Sven Teschner auf seiner Abschieds-Predigt am Sonntag.
Am Montag hieß es von einem Anrufer auch, man müsse das Altarbild konservieren. Es ist eine Wandmalerei, die in der Gemeinde sogar als umstritten bezeichnet wird. Thomas Nießen (43), Finanzkirchmeister im Presbyterium, sagte unserer Redaktion gegenüber, dass einige der abgebildeten Personen große Ähnlichkeiten mit leitenden Gemeindemitgliedern früherer Jahre hätten. Der Grund: Der Künstler brauchte Gesichter als Quell, als Inspiration. Also nahm er sich unter anderem den einstigen Pfarrer Alfred Rohlfing, den Großvater von Thomas Nießen.
Es gibt aber auch die Unterstellung, der Pfarrer selbst habe sich nach dem Wiederaufbau der Kirche nach der Kriegszerstörung in den 50er-Jahren dort verewigen lassen, bewusst als Jesu Lieblingsjünger Johannes. Er trägt auf dem Gemälde tatsächlich sogar ein Zeichen, das sonst eher dem Katholizismus anheimfällt: einen Heiligenschein, den hellsten in der ganzen Kirche. Was daraus wird, ist vollkommen offen. Wer die Kirche kaufen will, verrät unserer Redaktion niemand. Die Gespräche sollen aber recht weit sein.

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