
Das Rückhaltebecken in Ickern und Mengede zeigt, was es kann: Im Juli 2021 liefen die Becken so voll und über wie noch nie. Das half Anwohnern im ganzen weiteren Verlauf der Emscher. © Emschergenossenschaft
Jahrhunderthochwasser: Glück und Geschick verhinderten Katastrophe an der Emscher
Unwetter-Tief „Bernd“
14. Juli 2021: Die Emscher steht wie viele Flüsse in Deutschland unter großem Druck. Tief „Bernd“ bringt extrem viel Regen. Ein Stress-Test für die Emscher-Auen. Das Unwetter erfordert Konsequenzen.
Es ist der 14. Juli 2021, abends nach 20.30 Uhr: Drei Stunden lang hat es geregnet wie aus Kübeln. Tief „Bernd“ leistet ganze Arbeit. Im Emschertal steht das Wasser weit über der Berme. Der normalerweise schmale, in einer Betonrinne fließende Fluss reicht nah an die Kanten der Dämme an den Ufern. Selbst die noch im Bau befindlichen Regenrückhaltebecken in Dortmund-Ellinghausen laufen voll.
Auf den Brücken in Mengede und in Ickern stehen Menschen. Sie schauen gebannt nach unten. Niemand weiß, ob der gerade nachlassende Regen an Intensität wieder zunimmt. Der Betriebsweg unter der Autobahn A45 ist mannshoch überflutet.
Trotzdem sind Spaziergänger unterwegs. Sie nehmen den gefahrlosen Emscher-Weg, der 100 Meter weiter südlich die Autobahn unterquert. Ein Stück weiter rauscht Wasser der Emscher durch ein Rohr unter dem Weg in die südlichen Emscher-Auen. Von einer anderen Uferseite kann indes keine Rede mehr sein. Über die bewusst so angelegte Senke eines Betriebsweges schießen gewaltige Wassermassen in das große nördliche Auen-Becken.
Ein Stresstest. Die Spaziergänger sind dabei alles andere als Katastrophen-Touristen. Die Fluss-Anrainer verfolgen das, was Pressemitteilungen der Emschergenossenschaft (EG) und auch Berichte unserer Redaktion über Jahre in der Theorie erklärt haben: Welche Funktion haben die Rückhaltebecken in den Emscher-Auen an der Stadtgrenze zwischen Mengede und Ickern und in Ellinghausen bei Starkregen-Ereignissen?
Filigranarbeit am Ablauf der Emscher-Auen
Sie schützen die Menschen in den Städten flussabwärts vor Überflutung. An diesem Abend nimmt auch der Phoenix-See in Dortmund-Hörde als weiteres Rückhaltebecken weitere 100.000 Kubikmeter Wasser auf. Zu lokalen Überflutungen kommt es überall an Nebenläufen. In Oberhausen erreicht die Emscher mit 7,13 Metern ihren maximalen Höchststand.

Die bewusst angelegte Senke auf dem Betriebsweg ist der Überlauf in das nördliche Rückhaltebecken. Gegen 21.30 rauschen gewaltige Wassermassen über den Damm. © Uwe von Schirp
Dass der nicht überschritten wird, liegt auch an einer Filigranarbeit an der Stadtgrenze von Dortmund und Castrop-Rauxel. In der einbrechenden Dunkelheit haben Mitarbeiter der Emschergenossenschaft die Brücke über das Stauwehr mit ihrem Dienstwagen abgesperrt.
Sie justieren den Wasserdurchlass der Tore am Ablauf der Emscher-Auen. Damit reduzieren sie die Wassermenge ab Ickern flussabwärts, erhöhen aber den Staudruck ab Mengede aufwärts. „Wir gucken vorsichtig, was geht“, erklärt einer der Spezialisten damals.
Der Regen im Emschertal lässt am späten Abend tatsächlich spürbar und dauerhaft nach. Zum Jahrestag der Extremwetterlage fällt die Bilanz der Emschergenossenschaft positiv aus. „Es sind keine Toten und Verletzten zu beklagen, die Sachschäden halten sich in Grenzen“, heißt es in einer Pressemitteilung. „Deiche und Hochwasserrückhaltebecken haben gemäß ihrer Bestimmung funktioniert, es hat keine extremen Überflutungen gegeben.“
Glück und Geschick verhinderte eine Katastrophe
Dennoch reiche das nicht, – auch wenn die EG alle gesetzlichen Vorgaben zum Hochwasserschutz einhalte und darüber hinausgehe, erklärt Dr. Emanuel Grün. „Wir hatten Glück und Geschick“, so der technische Vorstand. „Wenn es im Emscher-Lippe-Gebiet die gleichen Regenmengen wie zum Beispiel in Hagen oder im Ahrtal gegeben hätte, wären die Schäden erheblich gewesen.“ Selbst die besten technischen Systeme können solche Niederschlagsmengen nicht aufnehmen und abführen.

Die Emscher-Auen am Tag nach der Flut: Langsam sinken die Pegel im Fluss und in den Hochwasser-Rückhaltebecken. © Wolfgang Knappmann
In den vergangenen zwölf Monaten stellte die Genossenschaft zusammen mit kommunalen und gewerblichen Mitgliedern eine „Roadmap Krisenhochwasser“ auf. Dazu zählen unter anderem mehr Retentionsflächen, die im Ernstfall kontrolliert geflutet werden können. Das Ziel: mehr Raum für Wasser.
Hochwasser-Härtetest an der Emscher
Mit 30 zusätzlichen Pegeln im Raum von Emscher und Lippe wollen Emschergenossenschaft und Lippeverband (EGLV) die Hochwasser-Warnung verbessern. Deiche wollen sie ertüchtigen, Hochwasser-Schutzanlagen an extreme Wetterlagen anpassen.
All das erfordert in den nächsten 10 bis 15 Jahren erhebliche Investitionen. „Allein die ‚Roadmap Krisenhochwasser‘ sieht bis 2037 Investitionen in Höhe von rund 500 Millionen Euro vor“, heißt es in der Pressemitteilung. Angesichts der Finanzierung und Flächenknappheit im dicht besiedelten Emschertal seien Förderprogramme notwendig.
Schwammstadt-Prinzip gegen die Folgen des Klimawandels
Unterstützung bei der Lösung dieser zentralen Fragen fordert der EGLV-Vorstandvorsitzende Prof. Dr. Uli Paetzel von der neuen Landesregierung. „Wir zählen darauf, dass die schwarz-grüne Koalition ihr Vorhaben umsetzt, mehr in ökologische Infrastruktur zu investieren.“
Über die „Roadmap“ hinaus gelte es, das sogenannte Schwammstadt-Prinzip in jeglicher Stadt- und Bauleitplanung zu etablieren. Regenwasser soll demnach nicht mehr in die Kanalisation abfließen, diese im Extremwetter-Fall überlasten und zur Kläranlage geleitet werden. Maßnahmen sind etwa Dach- und Fassadenbegrünungen, Entsiegelung von Flächen, Bau von unterirdischen Speichern oder das Anlegen von Versickerungsmulden, Überflutungs- und Wasserflächen.
Damit könne Regenwasser lokal zurückgehalten und gespeichert werden. Es diene dann dazu, Straßengrün zu bewässern oder über Verdunstung die Temperatur in den überhitzten Wohnquartieren im Sommer zu kühlen. „Die Folgen des Klimawandels wie Hitze, Dürre oder Starkregen können so abgedämpft werden“, heißt es in der Pressemitteilung.
Geboren 1964. Dortmunder. Interessiert an Politik, Sport, Kultur, Lokalgeschichte. Nach Wanderjahren verwurzelt im Nordwesten. Schätzt die Menschen, ihre Geschichten und ihre klare Sprache. Erreichbar unter uwe.von-schirp@ruhrnachrichten.de.
