Am 1. Januar 2023 tritt Luiz Inácio „Lula“ da Silva seine dritte Präsidentschaft in Brasilien an. Er löst den als rechtsextrem geltenden Präsidenten Jair Bolsonaro ab. „Es ist gut, dass Deutschland bei der Vereidigung mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier höchstrangig vertreten ist“, sagt Frank Schwabe. „Um zu würdigen, dass es dort einen demokratischen Machtwechsel gegeben hat.“ Dieser sei so alles andere als selbstverständlich gewesen. Schließlich habe ja auch die Sorge existiert, dass es in dem großen südamerikanischen Land zu Unruhen oder einem Putsch kommen könnte.

Lula habe nun „vier superschwere Jahre vor sich“, sagt der 52 Jahre alte SPD-Bundestagsabgeordnete für Recklinghausen, Waltrop und Castrop-Rauxel - gerade auch wegen der leeren Kassen. Schwabe hofft, dass unter Lula die Demokratie konsolidiert werden kann. „Und auch der Kampf gegen den Hunger, unter dem in Brasilien 33 Millionen Menschen leiden, wird ein zentrales Thema sein.“ Lula müsse politisch erfolgreich sein, sagt Schwabe, die Wirtschaft ankurbeln, die Armut bekämpfen und vor allem eine stark polarisierte, tief gespaltene Gesellschaft wieder zusammenführen. Sonst bestünde die Gefahr, dass die Präsidentschaft des 77-jährigen Linken nur eine Atempause sei, ehe jemand aus dem Bolsonaro-Lager wieder an die vergangenen Jahre anknüpfe. Für Schwabe geht es in Brasilien um die Frage, ob die Demokratie in ihrer Grundsubstanz erhalten bleibt - oder nicht.
Wahlparty wie Karnevalsfeier
Der gebürtige Waltroper verfolgt die Entwicklung in Brasilien auch deshalb so engagiert, weil er bei der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen live vor Ort dabei sein konnte. Drei Tage lang - als Mitglied einer SPD-Delegation. „Ich bin ja auch oft als Wahlbeobachter unterwegs“, sagt er - im Rahmen von internationalen Missionen, bei denen es höchst offiziell, formalisiert und neutral zugehe. „In Brasilien war das anders. Dort war ich als Wahlbegleiter. Wir wollten, dass Lula gewinnt. Ganz klar.“ Zumal sich der Politiker der brasilianischen Arbeiterpartei (PT) als Sozialdemokrat bezeichne - und es nach Schwabes Wahrnehmung bei der Wahl eben auch um die Demokratie an sich gegangen sei. Und so habe man als Zeugen vor Ort vor allem sicherstellen wollen, dass das Wahlprozedere integer ist und das Ergebnis anschließend auch von allen respektiert wird.
Schwabe hat Lula bei seinen politischen Gesprächen in Brasilien nicht persönlich kennengelernt. „Aber wir waren nah dran am Geschehen, auch bei seiner letzten Wahlkampf-Kundgebung.“
An eine Situation auf der Avenida Paulista erinnert sich der SPD-Kreisvorsitzende besonders intensiv: Gerade als er auf der Hauptstraße von Sao Paulo auf dem Weg zu dem Hotel war, wo sich die Arbeiterpartei und Lula versammelt hatten, ging der neue Präsident bei der Auszählung erstmals in Führung - „und es war klar, dass es nun kippt. Die Anspannung entlud sich in einem einzigen riesigen Jubelschrei, ein wahnsinnig emotionaler Moment.“ Überhaupt seien Wahlkampf und -party mit Deutschland nicht zu vergleichen. „In beide Richtungen. Die Feier in Sao Paulo war unglaublich. Wie Karneval. Mit Zehntausenden Menschen auf den Straßen. Aber der Wahlkampf wurde auch von Gewalt überschattet, es gab Tote.“
Aufwühlende Ukraine-Reise
Schwabe ist seit Januar Beauftragter der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit; und auch deshalb - bei allem Engagement für seinen Wahlkreis, das er immer wieder betont - einfach viel in der Welt unterwegs. Trotzdem sei Brasilien ein ganz besonderes Erlebnis für ihn gewesen, sagt er rückblickend: Mitzuerleben, wie jemand, der autoritär unterwegs sei, abgewählt werde - in einem Land, das eine unglaubliche Bedeutung für Lateinamerika, ja die ganze Welt besitze.
Ähnlich tief berührt habe ihn sonst nur sein Besuch in der Ukraine. Als Vorsitzender der Fraktion der Sozialisten, Demokraten und Grünen in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates war Schwabe kurz nach Kriegsbeginn in Lwiw (Lemberg). Auch das sei sehr emotional gewesen, aufwühlend. Ganz anders als in Brasilien - und irgendwie auch wieder nicht. „Wir leben gerade leider in einer Zeit, in der es viele solcher Momente gibt.“ Momente, in denen es um die ganz großen Fragen geht. Um Demokratie. Um Freiheit. Um Krieg und Frieden.
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