„Pino“ ist tot. Giuseppe Gattuso ist am Freitag (4.4.2025) im Alter von 71 Jahren gestorben, drei Tage nach seinem Geburtstag und im Beisein seiner Familie. Bekannt war der gebürtige Sizilianer als Eismann „Pino“, der jeden Tag woanders sein Eis verkaufte.
Auf der Schweriner Straße, in der Zechensiedlung im Castrop-Rauxeler Stadtteil Schwerin, endete jede Tour mit dem Fiat Ducato, aus dem heraus Giuseppe sein Eis anbot. Über Jahre. Über Jahrzehnte. Seine Frau Claudia Gattuso half ihm dort, vor dem eigenen Wohnhaus, beim Säubern. „Ein toller Nachbar, immer nett, immer fröhlich“, sagt Jürgen Wischnewski, der Stadtteilvereins-Vorsitzende, Garten an Garten mit den Gattusos: „Eine italienische Frohnatur.“
Giuseppe Gattuso wuchs im sizilianischen Ravanusa auf, einer Gemeinde im Süden der Insel, umgeben von Olivenhainen und Feldern, auf denen Zitrusfrüchte wachsen. Bis heute zählen einige uralte Olivenbäume auf einem Acker zum Familienbesitz. Verwandtschaft und Freunde leben heute noch dort. Wenn die Eis-Saison in Deutschland zu Ende ging, begann für Giuseppe Gattuso eine Zeit der Ernte in der Heimat. Echte Familienarbeit. Bis heute macht sein Sohn damit weiter.
Dabei verließ Gattuso, geboren am 1. April 1954, als 15-jähriger Junge die Heimat, um in Deutschland Arbeit in der Industrie zu finden. Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre war das Ruhrgebiet für viele Sizilianer noch eine Art Sehnsuchtsort.

Dort fand er auch seine Claudia: Sie wurde um 1960 in Rauxel geboren, zog aber mit vier Jahren nach Dortmund-Brechten, weil der Vater auf Zeche Minister Stein in Eving einfuhr. Dort verbrachte sie ihre ganze Kindheit, machte dann die Lehre zur Verkäuferin im Einzelhandel bei Coop in Dortmund, direkt am Nordmarkt.
Giuseppe ging noch mal für eine Phase zurück in die Heimat, ehe er 1976 zurückkehrte und an die Mallinckrodtstraße zog: Die Straße, die vom Hafen aus Richtung Osten die Nordstadt durchschneidet und am heute bei vielen berüchtigten Nordmarkt vorbeiführt. „Er ist regelmäßig bei uns einkaufen gewesen“, sagt sie.
Achsmontage im Opelwerk
Er hatte auch Beschäftigung gefunden: Im Opelwerk in Bochum nahm er am 1. Oktober seine Arbeit auf und sollte dort fortan für 32 Jahre unter anderem Achsen an Neufahrzeuge montieren. 1977 lernten sich die beiden näher kennen, heirateten 1984, als ihre Tochter Stefanie gerade geboren war. Damals allerdings schon am neuen Wohnort: Sie hatten eine Wohnung zur Miete auf Schwerin gefunden, nicht weit weg von ihrem heutigen Haus entfernt. Am Standesamt im neuen Rathaus und in St. Franziskus heirateten sie. Ein italienischer Pastor kam dazu und stellte die Ehe unter Gottes Segen.
Sie brachte reiche Frucht, wie man in christlicher Weise vielleicht sagen würde: ein Sohn und eine weitere Tochter, heute dazu vier Enkelkinder im Alter von 2, 3, 11 und 17 Jahren. Eine Familie, die für Giuseppe das Ein und Alles war. Tochter Stefanie, die im Doppelhaus nebenan wohnt, sagt: „Er wollte immer, dass alle bei ihm sind. Als er gestorben ist, waren wir alle bei ihm. Ich glaube, er hat mit dem Sterben so lange gewartet, bis alle da sind.“

Seine Arbeit bei Opel war sein Lebensunterhalt. „Die Eisbude aber war sein Leben“, sagt seine Frau Claudia, die heute als Stationsassistentin im Evangelischen Krankenhaus arbeitet. Dabei hatte der Italiener eigentlich gar keine Eis-Vergangenheit. Aber ein Sizilianer, dazu noch Frohnatur und Menschenfreund als Eisverkäufer: Das passte wohl.
Irgendwie erfüllte er sich im Frühjahr und Sommer 1989 selbst einen Traum, als er bei einem Dortmunder Bekannten einen Eiswagen für eine Saison auslieh, praktisch mietete, und zu dem wurde, für das man ihn in Castrop-Rauxel richtig kennenlernte. Es war zu einer Zeit, als Schwerin selbst noch eine Eisdiele am Markt, dem heutigen Neuroder Platz, hatte. Aber er genoss die Zeit: Nach der Frühschicht, Claudia hatte den Wagen oft schon vorbereitet, fuhr er durch die Straßen der Stadt, in die Wohnviertel, und machte mit seinem Bimmeln die Kinder glücklich. Die Kugel Eis, sie kostete damals noch 60 Pfennig.
Eine Eiswagen-Saison zur Probe
Das war schon stressig, neben der Arbeit im Werk. Aber es erfüllte ihn doch mit Glück und Freude und füllte seine Taschen nebenher. So konnten sie, die zunächst zur Miete wohnen, sich später, um die Jahrtausendwende, als die LEG die Häuser der Siedlung zum Kauf anbot, den Traum vom Eigenheim erfüllen. Stefanie war fünf Jahre alt und durfte damals schon oft mitfahren. „Zum Helfen war ich damals noch zu jung, aber Taler einsammeln, das konnte ich schon“, erinnert sie sich.
Die Idee vom eigenen Eiswagen kam erst wieder, als es in Bochum mit Opel nicht mehr weiter ging. Sie boten Giuseppe Gattuso einen Aufhebungsvertrag an, entließen ihn so mit etwas Geld in eine Transfergesellschaft. Das war Mitte/Ende der Nullerjahre. Doch irgendwie war er ja noch zu jung, um gar nichts mehr zu machen. Was tun? „Er hatte Langeweile“, erinnert sich Claudia, „und überlegte sich, er wolle wieder einen Eiswagen haben. Aber einen eigenen.“

Gemeinsam kauften sie einen Lieferwagen, bauten ihn um zu dem bekannten weißen Ducato mit der markanten Klingel, grünen und roten Streifen für die Landesfarben und der Aufschrift „Da Pino Ital. Eis“. Für die Zeit nach der Auffanggesellschaft fehlte noch ein Business-Plan. Den schrieb er mit seiner Frau. Das Eis kauften sie bei „Da Luigi“ in Bövinghausen an der Provinzialstraße ein, später dann in Bochum-Langendreer.
Und dann ging es los. Nach Tagen aufgeteilt, ging es auf Schwerin los, nach Frohlinde und Dingen. Ickern war auch sein Revier, in Dorf Rauxel musste er sich absprechen mit einem Kollegen. Man kam sich da nicht in die Quere. Aber die Schulen, die waren Pinos Domäne: Die Willy-Brandt-Gesamtschule war phasenweise nicht so begeistert von Pinos Eiswagen-Besuchen. Aber am Ernst-Barlach-Gymnasium liebten sie ihn. Auch Schulleiter Dr. Friedrich Mayer. Er ließ ihn sogar auf den Schulhof fahren, damit er nicht in der ohnehin schon verkehrsproblematischen Lunastraße halten musste.
„Er hat es geliebt - und die Kinder ihn“
„Das hat er geliebt“, sagt Claudia, „und die Kinder haben ihn geliebt.“ Und Tochter Stefanie ergänzt: „Man konnte mit ihm nicht durch die Stadt gehen, ohne dass die Leute ihn ansprachen oder riefen.“ Auch im Freibad im Sommer war er ein Star: Beim Freibadfest stand er da und brachte Kinderaugen zum Leuchten. Bis 2023. Das war sein letztes Eismann-Jahr.
2021 fingen die gesundheitlichen Probleme an: Er hatte schon Stents gesetzt bekommen, musste sich nun aber einer Bypass-OP in Dortmund unterziehen. Giuseppe kam auf die Intensivstation, mitten in der Corona-Zeit. „Wir durften ihn nicht sehen, und er hat sich dort mit Corona angesteckt“, erinnert sich die Ehefrau. Er bekam das Essen vor das Zimmer gestellt: Kontaktreduzierung. Daran litt er ebenso wie seine Frau und Kinder: „Wir haben uns auf den Parkplatz des Johannes Hospitals gestellt, weil wir dort sein Zimmer sehen konnten“, sagt Claudia. „Er hat herausgeguckt und mit uns telefoniert. Sieben Wochen lang haben wir uns nicht richtig sehen können. Und Abschied nehmen vor der OP mussten wir durch eine Glasscheibe, mit der Info, dass es sein könnte, dass er die Operation nicht schafft.“

Er erholte sich zwar wieder, aber hatte einen gesundheitlichen Knacks bekommen. Ein Jahr lang habe er gelitten unter Fieber, Schüttelfrost, unerklärlich, zum Teil und ohne Linderung. Immer wieder musste er ins Krankenhaus. „Und wir wussten nicht, warum“, so seine Frau.
Als er wieder besser zurecht war, gönnte er sich 2022 einen Flug in die Heimat nach Sizilien. Dort stieg er auf eine Leiter, um die in Sizilien üblichen Trinkwasserbehälter im Obergeschoss des Hauses zu überprüfen. Ein Sturz, ein Oberschenkelhalsbruch. Er wurde dort operiert, mit einem ADAC-Flugzeug ins Knappschaftskrankenhaus Bochum und später ins EvK Lütgendortmund verlegt.
Die Nieren hatten die Bypass-OP nicht gut überstanden: Er musste alle zwei Tage zur Dialyse, und das drei Monate lang. Das schlauchte. Im April 2024 konnte er seinen 70. Geburtstag noch einmal ausgiebig feiern: In der Garage der Gattusos kamen über 50 Freunde und Verwandte zusammen. Doch dann der Rückschlag im Mai 2024, als wieder ein Nierenversagen ihn quälte. „Er war zu Hause, hat sich aber zu Feiern noch aufgerafft und ist im Oktober 2024 noch nach Sizilien geflogen“, erzählt Claudia.
Am 19. Februar 2025 erlitt Giuseppe Gattuso einen Schlaganfall, als er gerade wieder in der Dialyse war. Von da an war er einseitig gelähmt und konnte nicht mehr sprechen. Für die Familie stand sofort fest, dass sie ihn nach Hause holen würden: „Wir hätten ihn niemals abgegeben“, sagt Claudia Gattuso. Zuletzt war er im Schweriner Pflegeheim Haus am Ginsterweg zur Kurzzeitpflege.
Er war Seelsorger und Tröster
Als die Familie zusammen war, bei ihm am Krankenbett, da legten sie eine Fotodecke mit Bildern der Familie über seinen schwachen Körper. Sie weinten zusammen, aber lachten auch, in Erinnerungen schwelgend. Sie ließen ihn gehen, den Seelsorger und Tröster, den Mann und Papa und Opa. Ihren Pino. Und unseren Eismann. „Er war sowas wie ein Friseur“, sagt seine Tochter Stefanie: „Die Leute bestellten drei Kugeln Schoko, mit dem Hinweis: ‚Meine Frau ist übrigens ausgezogen, wir haben uns getrennt‘“ Solche Geschichten habe er an der Eistheke erfahren, als Meckerkasten, als der Mann mit dem offenen Ohr. „Er konnte über jedes Haus und jede Familie irgendwas erzählen“, so seine Tochter.
An einer Stelle, erinnert sich seine Frau Claudia, die auch ab und an mal eine Eiswagen-Schicht mit ihm oder auch allein übernahm, „kam immer ein Hund. Der hat schon immer am selben Ort auf uns gewartet. Und er hat immer seine Eiskugel bekommen“. Eis, das Pino selbst kaum schleckte: „Vielleicht mal eine Kugel Stracciatella, aber eigentlich nicht“, so Stefanie. Er sei immer großzügig gewesen, sagt Claudia, „nur an sich selbst hat er gespart“.

Am Donnerstag (10.4.2025) fand er seine letzte Ruhe. Die Familie aus Sizilien reiste an. Sein Bruder, ein Schwager und Freunde trugen den Sarg zu den Klängen seines Lieblingsliedes „L’Italiano“ von Toto Cutugno aus der Friedhofskapelle auf Schwerin zu seiner letzten Ruhestätte. Die Fotodecke lag bei ihm im Sarg. „Ihm war immer ein bisschen kalt hier in Castrop-Rauxel. Jetzt hat er ein Sonnengrab bekommen“, sagt seine Schwester.
„Es ist ein großer Verlust für die ganze Siedlung“, findet Nachbar Jürgen Wischnewski.
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