Wir haben Castrop-Rauxeler Orthopäden, Kardiologen und Hautärzte angerufen. Erst haben wir uns als Privat-, später als Kassenpatient ausgegeben. Ergebnis: Man wird zum Teil anders behandelt.

Castrop-Rauxel

, 28.10.2019, 04:54 Uhr / Lesedauer: 4 min

Der Verdacht ist weit verbreitet: Privatpatienten erhalten schneller einen Termin als gesetzlich Versicherte. Aber stimmt das wirklich? Als Journalist der Ruhr Nachrichten habe ich verdeckt bei jeweils zwei Kardiologen, Orthopäden und Dermatologen aus Castrop-Rauxel angerufen.

Ich gab vor, von gewissen Symptomen betroffen zu sein, und habe mich nacheinander als Privat- und als Kassenpatient ausgegeben. In manchen Praxen gab es dabei gravierende Unterschiede.

Über ein halbes Jahr auf einen Termin warten

Bei den Castrop-Rauxeler Kardiologen behauptete ich, unregelmäßiges Herzklopfen zu verspüren. Am 21. Oktober versuchte ich gegen 15 Uhr bei der Kardiologischen Gemeinschaftspraxis in Castrop-Rauxel einen Termin zu vereinbaren. Dort sind Dr. Stefan Fromm, Dr. Andreas Schumacher und Dr. Jens Brinkhoff tätig.

Ich machte zunächst keine Angaben zu meinem Versichertenstatus. Die Arzthelferin musste also davon ausgehen, dass ich Kassenpatient bin. Die medizinische Fachangestellte sagte am Telefon, dass ich für die Terminvereinbarung eine Überweisung des Hausarztes benötigte. Als ich um einen Termin ohne Überweisung bat, sagte sie, ich könne erst im Mai nächsten Jahres vorbei kommen, also über sechs Monate später.

Als Privatpatient geht es deutlich schneller

Als Reaktion darauf behauptete ich, Privatpatient zu sein, und habe gefragt, ob ich nicht früher einen Termin vereinbaren könnte. Wenige Sekunden später bot mir die Arzthelferin nur einen Tag später einen Termin an - auch ohne Überweisung.

Daraufhin legte ich meine wahre Identität als Journalist der Ruhr Nachrichten offen und fragte, wie dieser Unterschied zustande kommt. Etwa eine halbe Stunde rief Dr. Stefan Fromm zurück.

Alles nur ein Versehen?

Er zeigte sich von den unterschiedlichen Ergebnissen überrascht und sagte: „Normalerweise unterscheiden wir nicht zwischen Privat- und Kassenpatienten. Das passt nicht in mein Weltbild und meinen Ethos“, so der Arzt. Er wollte nochmal mit seinen Mitarbeitern sprechen, wie diese Differenz zustande kommen konnte.

Andere Praxis, gleiches Experiment: Am 23. Oktober rief ich in der Gemeinschaftspraxis am Münsterplatz 7 an, wo die Kardiologen Jan-Christof Selle und Dr. Jan-Christoph Krüger tätig sind. Am 15. November hätte ich vorbei kommen können. Als ich vorgab, Privatpatient zu sein, hielt die medizinische Fachangestellte nach eigenen Angaben Rücksprache mit den Ärzten.

Ärzte reagieren nicht auf die Anfrage

Kurz darauf teilte sie mir mit, dass am 31. Oktober noch ein Termin frei sei. Wieder gab ich meine wahre Identität preis und fragte auch hier, wie dieser Unterschied zustande kommt. Die medizinische Fachangestellte antwortete darauf nicht, sondern verwies auf die Ärzte. Die waren trotz mehrfacher Nachfrage nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Ist das üblich? Oder sind das Zufallstreffer? Sollte es so sein, oder ist das das oft kritisierte Phänomen der Zwei-Klassen-Medizin?

Roland Stahl ist Pressesprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Das ist die Interessenvertretung der zur Behandlung gesetzlich Krankenversicherter zugelassenen niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten. Auf meine Anfrage sagt Stahl, dass Privatpatienten gegenüber den gesetzlich Krankenversicherten bei der Terminvergabe nicht bevorzugt würden. Er verweist dabei auf eine repräsentative Versichertenbefragung.

Studie sieht Privatversicherte leicht im Vorteil

Ganz stimmt das jedoch nicht. In dieser Studie fassen die Autoren zusammen: „Bei der Terminvereinbarung kommen Privatversicherte unterm Strich weiterhin etwas schneller zum Zug als die Angehörigen einer gesetzlichen Krankenversicherung.“

Roland Stahl erklärt die Unterschiede so: „Wenn ein Patient akute Beschwerden hat, dann unterscheiden Ärzte nicht, ob sie privat oder gesetzlich krankenversichert sind. Wenn Sie eine Vorsorgeuntersuchung vereinbaren wollen, wie zum Beispiel einen Termin zur Krebsvorsorge, dann kann es sein, dass Privatpatienten vorgezogen werden.“

Laut dieser Logik hätte ich als Kassenpatient bei den Kardiologen nicht benachteiligt werden dürfen. Denn das unregelmäßige Herzklopfen, das ich bei den Kardiologen angab, könnte ein Indiz für eine akute Erkrankung sein.

Keine Unterschiede bei Hautärzten

Laut der Versichertenbefragung sind die Wartezeiten bei Hautärzten etwas geringer als bei Kardiologen. Um dies zu überprüfen, rief ich bei zwei dermatologischen Praxen in Castrop-Rauxel an.

Eckdaten zur Versichertenbefragung

  • Für die Versichertenbefragung wurden 2018 in Deutschland mehr als 6.000 zufällig ausgewählte Personen telefonisch befragt. Die Ergebnisse der Untersuchung sind laut den Autoren repräsentativ für die erwachsene Deutsch sprechende Wohnbevölkerung.
  • Sabine Wolter, Referentin für Gesundheitsrecht bei der Verbraucherzentrale NRW, schätzt die Ergebnisse der Versichtertenbefragung als glaubwürdig ein. Sie begründet die Bevorzugung von Privatpatienten gegenüber gesetzlich Versichterten unter anderem damit, dass sie finanziell attraktiver sind.

Meine Symptome diesmal: Ich gab vor, seit einigen Tagen Hautausschlag auf meinem Rücken zu haben. Bei der Hautarztpraxis von Dr. Karl-Heinz Brune in Castrop-Rauxel meldete ich mich am 22. Oktober um 15.30 Uhr. Am Tag darauf hätte ich um 9.25 Uhr vorbei kommen können.

Daran änderte sich auch nichts, als ich vorgab, Privatpatient zu sein. Trotz identischer Termine wollte Brune die Frage nicht beantworten, ob prinzipiell zwischen Privat- und Kassenpatienten unterschieden wird.

Das gleiche Experiment führte ich bei der Hautarztpraxis am Markt in Castrop durch, in der Dr. Stefan Ulrich und Dr. Friedrich Wilhelm Jütte tätig sind. Dort rief ich am 22. Oktober um 11.30 Uhr an. Als Kassenpatient hätte ich am Donnerstag in die Akutsprechstunde kommen können. Als Privatpatient wäre ich auch nicht früher an der Reihe gewesen.

Einer der Ärzte, der namentlich nicht genannt werden wollte, sagte zu den Ergebnissen: „Wir legen wert darauf, dass keine Patientengruppe bevorzugt wird.“

Leichte Unterschiede bei den Orthopäden

Bei zwei Castrop-Rauxler Orthopäden rief ich ebenfalls an und behauptete, Rückenschmerzen zu haben. Einer davon war Dr. Jörg Sebastian Schilauske, den ich am 21. Oktober kontaktierte. Die Arzthelferin hätte mir als Kassenpatient zwei Tage später einen Termin gegeben.

Am 22. Oktober rief ich dort als Privatpatient an und hätte am Tag darauf in die Praxis kommen können. Zwar ein Tag weniger, aber möglicherweise in der gleichen Terminlücke des 23. Oktober. Aus der Praxis wollte sich niemand zu den Ergebnissen äußern.

Bei Orthopäde Dr. Fausi Ghazzi hätte ich sofort vorbei kommen können. Ich verzichtete darauf, mich als Privatpatient auszugeben - schneller wäre eine Terminvergabe ohnehin nicht möglich gewesen.

So lautet mein Fazit

Unsere Fallstudie ist zwar nicht repräsentativ, aber sie zeigt eine Tendenz: Gesetzlich Krankenversicherte werden bei der Terminvergabe in Castrop-Rauxel teilweise benachteiligt. Es kommt jedoch ganz auf den Facharzt an.

Bei zwei Kardiologen hätte ich als Kassenpatient entweder zwei Wochen oder ohne Überweisung sogar sechs Monate länger warten müssen.

Bei den Orthopäden und Hautärzten hätte es bei der Terminvergabe so gut wie keine Unterschiede gegeben.


In Haltern habe ich dieses Experiment übrigens ebenfalls durchgeführt.
Dort habe ich einen Orthopäden und Hautarzt angerufen. Das Ergebnis: Gesetzlich Versicherte werden in der Stadt am See bei der Terminvergabe nicht benachteiligt.