Altstadt-Friseur wartet auf seine Einbürgerung „Bürgermeister Kravanja nimmt uns nicht ernst“

Antragsstau: Altstadt-Friseur Al-Nasser wartet auf seine Einbürgerung
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Auf lange Wartezeiten bei Einbürgerungsverfahren weist die Stadt Castrop-Rauxel am 10. November in einer Pressemitteilung hin. Da eine große Anzahl der im Jahr 2015 Geflüchteten inzwischen die zeitliche Voraussetzung erfüllt, sei die Zahl der Einbürgerungsanträge „sprunghaft angestiegen“.

Die Folge: Antragsverfahren und Bearbeitungszeiten verzögern sich. Die Stadt spricht von „hohem Arbeitsaufkommen“ und einer „unzureichenden Personalausstattung“. Das führt in der Konsequenz gar dazu, dass die Behörde Einbürgerungswillige auffordert, derzeit keine neuen Anträge einzureichen.

Der Bearbeitungsrückstand ist groß. „Derzeit sind im Schwerpunkt noch Einbürgerungsanträge aus dem Jahr 2022 in Arbeit“, heißt es in der städtischen Pressemitteilung. Zakaria Al-Nasser wird also noch eine ganze Weile auf die Bearbeitung seines Einbürgerungsantrags warten müssen. Den hat er erst in diesem Jahr gestellt.

Etwas früher darf sein Bruder auf die Bearbeitung hoffen. „Er hat den Einbürgerungsantrag am 8. November 2022 gestellt“, erzählt Zakaria Al-Nasser. „Bis heute hat keiner was gehört.“ Der 36-Jährige ist sauer. Seit Monaten schon. „Wir werden eine Demonstration beantragen, wenn Stadt Castrop nicht auf uns reagiert“, schrieb Al-Nasser in einer Mitteilung an die Redaktion.

Friseursalon am Markt

Mitte September richteten der gebürtige Syrer und andere Einbürgerungswillige eine Petition an Bürgermeister Rajko Kravanja und die Stadtverwaltung. Darin bitten sie um Lösungsvorschläge, wie die Stadt das Problem beheben könne. Im ersten Teil des Schreibens heißt es: „Wir waren und sind ein Teil der Gesellschaft dieser Stadt.“

Und das soll dauerhaft so bleiben und in eine deutsche Staatsbürgerschaft münden. Zakaria Al-Nasser floh 2015 aus dem im Bürgerkrieg zerstörten Aleppo in Syrien. „Am 25. August kam ich in Deutschland an, erst in Mecklenburg-Vorpommern“, erzählt er bei einem Besuch unserer Redaktion. „Nach sechs, sieben Monaten ging es dann nach Castrop-Rauxel.“

2017 folgten ihm im Rahmen der Familienzusammenführung seine Frau und die seinerzeit drei Kinder. Eine Tochter und ein Sohn kamen danach in der Europastadt zur Welt. Die Familie lebt derzeit noch in Deininghausen. Sie hat ein Haus in Behringhausen gekauft und saniert. Ende des Jahres will sie umziehen.

Beruflicher Mittelpunkt von Zakaria Al-Nasser ist die Altstadt, direkt am Markt. Dort betreibt der gelernte Friseur mit einem Kollegen einen Salon. Sieben Angestellte beschäftigen sie. Der 36-Jährige ist bekannt und beliebt – auch wegen seiner kommunikativen Art.

Außenansicht des Castrop-Rauxeler Rathauses am Stadtmittelpunkt.
Im Rathaus gibt es einen großen Bearbeitungsstau von Einbürgerungsanträgen. © Thomas Schroeter (Archiv)

Kravanja: Aussage nie getroffen

Bei unserem Besuch sitzen vier Schüler des Adalbert-Stifter-Gymnasiums in der Sitzgruppe im Schaufenster und plaudern. „Soll ich euch die Glatzen schneiden?“, feixt Al-Nasser. „Spaß – ihr wart ja gerade erst zum Haareschneiden hier.“ Minuten vorher hat Zakaria Al-Nasser seinen Stammkunden Markus verabschiedet. Der Friseur duzt sich mit vielen, die zum Haareschneiden kommen.

Beim Kaffee erzählt er von einem Gespräch bei Bürgermeister Rajko Kravanja Ende Oktober, zu dem er nach der Petition eingeladen worden sei. Kravanja habe auf Prioritäten in der Stadtverwaltung verwiesen. Bei den Sozialleistungen seien Wohngeld und Bürgergeld vordringlich, die Einbürgerung nicht, so Al-Nassers Erinnerung an das Gespräch.

Bürgermeister Rajko Kravanja stellt das Gespräch anders dar.* In einer Stellungnahme der städtischen Pressestelle verwahrt er sich vor allem gegen diese Aussage Al-Nassers: „Die Erinnerung von Herrn Al-Nasser trügt, wenn er behauptet, der Bürgermeister habe gesagt, dass Wohngeld und Bürgergeld vordringlicher seien. Diese Aussage wurde nicht getroffen“, heißt es dort.

El-Nasser aber zeigt sich im Gespräch mit unserer Redaktion verärgert. „Die Leute im Rathaus werden doch von unserer Steuer bezahlt“, sagt er. Der Bürgermeister habe auf die städtische Verschuldung verwiesen. „Er sagt, er habe kein Geld für Mitarbeiter, aber während der Corona-Zeit hatte er Geld für Security vor dem Rathaus.“ Der gebürtige Syrer verweist auf die Gebühren, die die Stadt im Einbürgerungsverfahren einnehme.

„Der Bürgermeister hat uns nicht ganz ernst genommen“, meint Zakaria Al-Nasser. „Offenbar denken er und die Verwaltung, wir leben doch wie alle anderen. Wir haben eine Aufenthaltsgenehmigung, unsere Kinder gehen zur Schule, wir gehen arbeiten“, sagt er. „Das ist aber nicht so. Wir leben nicht wie alle anderen.“

Schwierigkeiten bei Stellenbesetzung

Natürlich sei die Situation der Einbürgerungsstelle auch für die Verwaltung unbefriedigend. Bürgermeister Rajko Kravanja erklärt dazu: „Bis Anfang des Jahres betrug die Wartezeit für eine Einbürgerung noch drei Monate und wurde auch von Anwesenden in dem Gespräch bestätigt und gelobt.“ *

Heute aber führten drei Faktoren zu einer Überlastung in der Behörde:

  • der krankheitsbedingte Ausfall mehrerer Mitarbeitenden,
  • die nun nach acht Jahren erreichten Wartezeiten vieler geflüchteter Menschen ab 2015
  • sowie die Ankündigung der Bundesregierung, die Wartezeiten auf fünf Jahre zu verkürzen.

Der Bürgermeister erklärt: „Daher hat die Verwaltung dem Rat der Stadt im Stellenplan eine Erhöhung der Mitarbeiterzahl in der Einbürgerungsstelle vorgeschlagen. Hier ist es leider nicht absehbar, wie die Aufsichtsbehörden diese Stellenausweitung angesichts der städtischen Haushaltslage beurteilen. Auch das wurde in dem Gespräch deutlich gemacht.“

Viele Einschränkungen

Zakaria Al-Nasser verweist auf seine ganz persönlichen Probleme bei Banken-Finanzierungen oder in Behörden. Der Aufenthaltstitel allein bedeute eine Hürde:

Mit der Aufenthaltsgenehmigung und einem einfachen Reisedokument und eben keinem Reisepass könne er keine Visa beantragen, wenn etwa die Familie Angehörige in anderen Ländern besuchen wolle. „Aufgrund der eingeschränkten Reisefreiheit hat meine Frau ihre Eltern seit 2013 nicht mehr gesehen.“

„Abgesehen vom Integrationsrat kann ich nicht an Wahlen teilnehmen“, sagt Zakaria Al-Nasser. Genau das möchte er aber. „Wenn bei der nächsten Wahl die AfD kommt, was soll ich tun?“, fragt der Wahl-Castrop-Rauxeler. „Meine Koffer packen?“

Zakaria Al-Nasser beim Haareschneiden in seinem Friseursalon.
Zakaria Al-Nasser pflegt durch seinen Salon in der Altstadt viele Kundenkontakte. © privat

Fast 2000 Euro habe er bereits bezahlt, allein um für das Einbürgerungsverfahren über einen syrischen Anwalt und die deutsche Botschaft in Beirut Geburtsurkunden für die Familienmitglieder und seine Heiratsurkunde beizubringen. Nach einer Zeit seien die Dokumente für das Antragsverfahren zu alt, müssten erneut besorgt werden – ein monatelanger Prozess.

„Und die sitzen hier bei der Stadt, sehen das und sagen, interessiert mich nicht, was das kostet“, sagt Al-Nasser verärgert. „Mein ältester Sohn wird im Mai 16 Jahre alt. Dann braucht er einen eigenen Antrag. Der kostet auch wieder 240 Euro.“

Die Familie ist nicht allein. Offenbar liegen hunderte nicht beschiedene Anträge in der Castrop-Rauxeler Einbürgerungsbehörde, weiß der geflüchtete Syrer aus seiner Familie und dem Bekanntenkreis.

Al-Nasser, der so vernetzt und integriert ist, ärgert sich, wenn nach den Clan-Auseinandersetzungen und Massenschlägereien an der Wartburgstraße alle syrischen Flüchtlinge über einen Kamm geschoren werden. „Leider gibt es Leute, die Probleme machen“, sagt der 36-Jährige. „Für uns ist das richtig schwer. Sie hatten auch die Möglichkeit, ein ganz normales Leben zu führen.“ Wer Rechte in Anspruch nehme, müsse gleichzeitig auch Verpflichtungen eingehen.

Dass Zakaria Al-Nasser seine Zukunft in der Europastadt sieht, steht außer Zweifel. „Mein Zuhause, meine Heimat ist Castrop-Rauxel“, erklärt er mit voller Überzeugung. Von Syrien, von Aleppo und von damals bleibe nur die Erinnerung. „Heimat Castrop“ steht auch auf der Wand seines Friseursalons.

* Anmerkung der Redaktion: Der Text, erstmals veröffentlicht am Montag (20.11.2023), wurde von der Redaktion am Freitag (24.11.2023) um die Stellungnahme der Stadt mit den Aussagen des Bürgermeisters ergänzt.
Die erste Anfrage unserer Redaktion an die Stadt-Pressestelle vom 13.11., uns Zahlen zum Einbürgerungsverfahren, zum Antragstau und zur personellen Stärke der Einbürgerungsabteilung zu nennen, basierte auf einer Pressemitteilung vom 10.11.2023. Sie wurde am 24.11. beantwortet.