Ein Tag wie im Film fürs Motel de Winter Von einer roten Flüssigkeit bis zum Spezialeinsatz

Ein Tag wie im Film fürs Motel de Winter: Spritzer führten zu Spezialeinsatz
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Für Alexander Winter (59) und seine Frau Annette Niescery-Winter aus Castrop-Rauxel begann der Dienstag (25.2.2025) wie ein normaler Tag. Er endete für beide kurz vor Mitternacht in speziellen weißen Schutzanzügen im Rettungswagen auf der Recklinghauser Straße, direkt in der Nähe eine Dekontaminationsstation, taghell ausgeleuchtet von Flutlicht-Strahlern, rundherum Polizei, Feuerwehr und ein mobiles Chemie-Labor. Ein Wahnsinn, wenn man bedenkt, was am Ende dahinter steckte. Aber dafür muss man die Geschichte von vorn aufrollen.

Die Winters sind seit 2017 Betreiber eines Gästezimmer-Betriebs in Ickern. Das gibt es seit rund zehn Jahren, erzählt Alexander Winter am Mittwochmorgen, als wir ihn in der Lobby des Hauses antreffen. Er hat einen Pappbecher Kaffee in der Hand und das Handy in der anderen. Es klingelt während des halbstündigen Gesprächs mehrfach. Aber er nimmt sich Zeit, über seinen Dienstag zu sprechen. Vor der Kamera möchte er nicht, sagt er; das hatte er noch in der Nacht, nachdem alles vorbei war, schon hinter sich gebracht.

Der Geschäftsführer Alexander Winter im Rettungswagen vor seinem Motel: Er musste sich nach dem Kontakt mit dem Reizgas einen speziellen Anzug anziehen.
Der Geschäftsführer Alexander Winter im Rettungswagen vor seinem Motel: Er musste sich nach dem Kontakt mit dem Reizgas einen speziellen Anzug anziehen. © 7aktuell.de/Marc Gruber

Der Castrop-Rauxeler, der in Ickern aufwuchs, zur Marktschule und Realschule ging, verschiedene Jobs hatte und bis heute in Ickern geblieben ist, fuhr zum „Motel de Winter“. So heißt der Betrieb, vorher auch nicht allzu bekannt als „Motel Monteur“, mit seinen 48 Gästebetten seit 2023. Seine Routine-Aufgabe wie so oft: Zimmerkontrolle. Die zwei Gäste im Apartment 2, das hinter dem Haupthaus in einem alten Werkstatt-Trakt liegt, waren abgereist. Und neue Gäste für das Zimmer noch am selben Tag eingebucht.

Er klopfte an der Tür und stellte fest, dass die Gäste abgereist waren. Zwei Personen, ordentlich gekleidet, freundlich und vollkommen unverdächtig, hatten ihr genächtigt, aber waren offensichtlich schon abgereist. Wie er später im Video aus der Kameraüberwachung auf dem Gelände feststellte, hatten sie das Gelände schon gegen 4 Uhr in der Frühe verlassen. Als er die Tür vom Hof aus öffnete, offenbarte sich nicht das normale Bild in diesem Haus. Er sah ein einigermaßen verwüstetes Zimmer.

Fernseher von der Wand gerissen

Der Fernseher, rechts an der Wand montiert, lag auf einem der drei Boxspring-Einzelbetten an der linken Wand. Offensichtlich heruntergerissen aus der Wandverankerung. Der zweite Blick fiel auf die Tür zum Bad: rot besprenkelt mit einer sonderbaren Flüssigkeit. Ebenso einige der Bettbezüge und Teile der Einbauküche. Was war hier geschehen?

Alexander Winter, der gern Freizeit in seinem Chalet in den Niederlanden verbringt und den Freunde dort auf den neuen Namen „de Winter“ brachten, sah sich das näher an und rief seine angestellte Reinigungskraft hinzu. „Ich habe ihr gesagt, sie solle das meiste so lassen, aber die Betten abziehen“, so Alexander Winter. Der Vandalismusschaden war aber was für die Polizei. Ärgerlich, denn erst im Februar 2024 richteten die Winters das Drei-Personen-Apartment her. Neue Betten, neue Möbel, gute Dusche. Alles für die Katz? „Wir müssen mit 3000 bis 5000 Euro Materialkosten rechnen“, sagt Winter unserem Reporter noch in der Nacht.

Spezialeinheiten der Feuerwehren aus Dortmund, Oer-Erkenschwick und Waltrop unterstützten die Feuerwehr Castrop-Rauxel beim Gefahrenstoff-Einsatz in Ickern.
Spezialeinheiten der Feuerwehren aus Dortmund, Oer-Erkenschwick und Waltrop unterstützten die Feuerwehr Castrop-Rauxel beim Gefahrenstoff-Einsatz in Ickern. © Jan Keuthen

Die Arbeitsstunden nicht eingerechnet. „Ich suche nun ein Reinigungsunternehmen, das mit kontaminierten Räumen umgehen kann“, sagt Winter am Morgen danach. Und das kostet auch eine Stange Geld. Geld, das er („Ich bin kein Rockefeller“) zwar hat, aber nicht im Überfluss.

Ihr Betrieb laufe gut, erzählt er. 65 Prozent Auslastung, fast nur gute Bewertungen, eine schicke Website: „Wir haben Durchreisende als Gäste, Angehörige von Krankenhauspatienten oder Pflegeheim-Bewohnern hier um die Ecke“, sagt er, aber vor allem: „Geschäftsreisende und Montage-Gäste.“ Der vorige Name Motel Monteur sei zutreffend gewesen, aber den habe sich der vorherige Betreiber schützen lassen. Er habe ein zweites Motel Monteur und habe 2023 Geld für die Nutzung des Namens verlangt. Darum benannten sie es um.

Am Dienstagmorgen war es ein Schlamassel. Aber das ganz große Drama, zumindest von außen betrachtet, war es noch nicht. Winter spürte nach einiger Zeit ein Brennen im rechten Auge. Er wusch es aus, doch das verschärfte das Problem. Er wurde skeptisch, fragte seine Putzfrau, ob es ihr gut gehe. Sie beschrieb dasselbe Symptom. Als es auch zum Abend nicht besser wurde, beschloss Winter, ins Krankenhaus zu fahren. Darüber informierte er aber erst die Polizei: Es hing nun für ihn zusammen mit der seltsamen Flüssigkeit. Die bat ihn, so erzählt er es, am Haus zu verbleiben: Man werde Feuerwehr und Rettungsdienst alarmieren, um das ganze zu untersuchen.

Das Ende vom Lied war der Riesen-Einsatz, der sich wie eine Kaskade entwickelte: Die Feuerwehr Castrop-Rauxel kam, betrat den kontaminierten Raum nicht, holte stattdessen die Kollegen von der Dekontaminationseinheit aus Oer-Erkenschwick und Waltrop und später die „Analytische Taskforce“ der Feuerwehr Dortmund dazu. Die nahm, streng geschützt, die Flüssigkeit in ihr Labor und stellte fest: ein eher harmloses Reizgas oder Tierabwehrspray. Bei Winter, der selbst im Schutzanzug im Rettungswagen zur ärztlichen Beobachtung saß, seiner Frau und der Reinigungskraft ließen die Symptome nach.

Das Motel de Winter in Ickern. An der Recklinghauser Straße war am Mittwoch, dem Tag nach dem Großeinsatz, fast schon wieder business as ususal. Nur Apartment 2 sah fast noch aus wie in der Nacht zuvor. Der Fernseher abgerissen, Flüssigkeit noch an der Tür und den Küchenmöbeln.
Das Motel de Winter in Ickern. An der Recklinghauser Straße war am Mittwoch, dem Tag nach dem Großeinsatz, fast schon wieder business as ususal. Nur Apartment 2 sah fast noch aus wie in der Nacht zuvor. Der Fernseher abgerissen, Flüssigkeit noch an der Tür und den Küchenmöbeln. © Tobias Weckenbrock

Sechs Stunden Einsatz, 100 Kräfte vor Ort: Es war ein Riesen-Aufheben um wenig. Vielleicht. Denn: „Wir wussten nicht, um was für einen Stoff es sich handelt. Wir müssen Fachkräfte hinzuziehen. Da gilt für uns maximale Sicherheit“, sagte Feuerwehrsprecher Heiner Holtkotte in der Einsatznacht gegenüber unserer Redaktion. „Wir versuchen, alle Einsatzkräfte heil nach Hause zu bringen. Eigenschutz und Schutz der Bevölkerung haben Priorität.“

Der war gewährleistet: Keiner der Anwohner müsse irgendwas befürchten, hieß es schon am frühen Abend. Auch wenn es so ausgesehen hat, als wäre „Holland in Not“.

Und wie bilanziert die Polizei das Geschehen am Tag danach? „Es war eine Art Reizgas, ein Flüssigkeitsstrahl, in diese Richtung wird es gehen“, mutmaßt Pressesprecher Andreas Lesch. Aber da warte man noch die genauen Laborbefunde ab. Vielleicht ein Tierabwehrspray? Davon gibt es auch rote, dickflüssige Varianten, die man im Online-Handel erwerben kann. Letztlich, so Lesch, sei nun auch die Frage, in welchem Delikt man ermittle: fahrlässige oder gefährliche Körperverletzung? Sachbeschädigung?

Das Zimmer habe jedenfalls ein 26-jähriger Castrop-Rauxeler angemietet. Personalien lägen über vor. „Wir warten nun auf die Vernehmung und werden dann vielleicht mehr Klarheit haben, wie die Abläufe waren“, so Lesch aus der Pressestelle. Erstaunlich, dass ein Castrop-Rauxeler sich in das Zimmer einmietete. Aber ob das Rückschlüsse auf den Vorfall zulässt? Das ist ein Thema der Ermittler.

Das Motel de Winter hat im Internet gute Bewertungen und in der Regel auch vernünftige Gäste, meint der Betreiber.
Das Motel de Winter hat im Internet gute Bewertungen und in der Regel auch vernünftige Gäste, meint der Betreiber. © Tobias Weckenbrock

Pfefferspray-Einsätze kenne Heiner Holtkotte aus der Vergangenheit bei der Feuerwehr in Castrop-Rauxel „Gott sei Dank bisher nicht“, sagte er. Alexander Winter sagt unserer Redaktion, er habe zwei Personen in dem Zimmer gesehen. Wer die zweite Person war, ob es vielleicht noch eine dritte gab, was sich im Apartment 2 des Motel de Winter abgespielt hat: Vieles ist unklar. Am Ende könnte das Aufsehen um den Fall, ausgelöst durch den Großeinsatz, möglicherweise überdreht sein.

Der Betrieb kann normal weiter laufen. Die neuen Gäste buchte Alexander Winter auf ein anderes Zimmer um. Die, die schon eingebucht waren, verfolgten das filmreife Geschehen auf dem Hof am Dienstag mit Interesse. Unterhaltsamer noch als Sky, das es in jedem Zimmer kostenfrei dazu gibt; spannender als so mancher Film über das maximal schnelle W-LAN im Haus.

Winters Augen brannten Mittwochmorgen nicht mehr. Auch die seiner Frau und der Angestellten nicht. Wohl die beste Nachricht an diesem ruhigen Tag an der Recklinghauser Straße, an dem nichts, aber auch gar nichts an den spektakulären Vorabend erinnert.

Vandalismus und Reizgas-Einsatz am Motel de Winter: Rund 100 Feuerwehr- und Rettungskräfte waren am Dienstagabend in Ickern auf der Straße.
Vandalismus und Reizgas-Einsatz am Motel de Winter: Rund 100 Feuerwehr- und Rettungskräfte waren am Dienstagabend in Ickern auf der Straße. An diesem Dekontaminationsplatz wurden Einsatzkräfte abgewaschen. © 7aktuell.de/Marc Gruber