Das kleine Eichhörnchen wird ganz unruhig, als Mechthild Trippe (66) es behutsam aus seinem Käfig nimmt. Es strampelt mit den Beinen und schnuppert hektisch. Das kleine Tier weiß genau, was es jetzt gibt: Futter. Endlich bekommt es den kleinen Sauger zwischen die Zähne. Langsam drückt Mechthild Trippe dem Eichhörnchenjungen mit einer Spritze die Milch ins Maul.
Erst schmatzt es ganz aufgeregt, dann beruhigt es sich und nuckelt zufrieden am Sauger. „Da sind wir dem Hungertod nur ganz knapp entkommen, oder?“, fragt Trippe das Tierchen und beobachtet es lächelnd beim Fressen.

Das Tier auf ihrem Arm ist erst wenige Wochen alt. Es fiel aus dem Kobel (der Eichhörnchenbau) und hatte Glück, dass es gefunden wurde. Jetzt wohnt es in einem Gehege in der Küche von Mechthild Trippe aus Castrop-Rauxel.
Wenn es weiter so prächtig wachse, sagt die, dann dürfe es in wenigen Wochen in einen größeren Auslauf im Wohnzimmer und dann in die Freiheit. Doch genau das ist das Problem. „Wir haben zu wenig Auswilderungsstationen“, erzählt Trippe. Wenn die Eichhörnchen groß genug sind, werden sie nämlich nicht einfach in den Wald gesetzt: „Die müssen sich erst wieder an die Wildnis gewöhnen.“
Ein langsamer Abschied
Deswegen ziehen die Eichhörnchen in Auswilderungsgehege. Die sind relativ groß, etwa zwei mal drei Meter. Zu Beginn leben die Tiere hier ganz normal, werden zweimal täglich gefüttert.
Haben die Eichhörnchen sich an die neue Umgebung gewöhnt, werden Klappen an dem Gehege geöffnet. Die Tiere können also raus, haben aber immer noch die Sicherheit des Geheges und werden hier auch weiter gefüttert: „Irgendwann kommen sie seltener oder nur noch zum Füttern und dann sind sie weg und haben ein neues Revier gefunden“, sagt Mechthild Trippe.

Doch es gibt in Castrop-Rauxel nicht genug Orte, an denen die Eichhörnchen ausgewildert werden können. „Wir mussten jetzt ein Gehege abbauen, weil an der Stelle schon genug Eichhörnchen leben“, erklärt Mechthild Trippe und verbindet das mit einem Aufruf: Sie sei händeringend auf der Suche nach Menschen in der Stadt, die einen großen Garten und Liebe zu Eichhörnchen haben.
„Es ist im Prinzip nicht viel Arbeit. Zweimal am Tag muss das Futter reingestellt werden, das wir bereitstellen“, sagt sie. Die Käfige müssten an Orten stehen, wo die Eichhörnchen ein neues Zuhause finden können: „Am Wald oder zumindest da, wo es viele Bäume gibt. Friedhöfe eignen sich auch gut.“

Wer dazu bereit ist, dem müsse aber klar sein, dass Eichhörnchen keine Kuscheltiere sind: „Es geht darum, sie wieder auszuwildern.“ Sind die Tiere noch klein, suchen sie die Nähe von Menschen und klettern überall und auch auf Mechthild Trippe herum. Aber mit der Zeit halten sie immer mehr Abstand. „Und das ist auch gut so“, meint die Tierschützerin.
Sind irgendwann alle Tiere in die Freiheit gekommen, zieht die nächste Generation von Eichhörnchen ein. Auch wenn man natürlich mal Pausen machen kann: „Wenn jemand in den Urlaub fährt, dann finden wir immer eine Lösung.“
So können Sie helfen
Wenn Sie einen Garten haben, der sich für die Auswilderung von Eichhörnchen eignet und Interesse haben, dann können Sie sich per Mail hoernchenmaggy@gmail.com bei Mechthild Trippe melden. Die Einzelheiten und ob der Garten wirklich geeignet ist, werden dann im persönlichen Gespräch geklärt. Auch wer für die Eichhörnchen nähen möchte oder grundsätzlich Interesse hat zu helfen, kann Mechthild Trippe per Mail erreichen.
Wer ein verletztes Eichhörnchen findet, kann den bundesweiten Eichhörnchennotruf kontaktieren (0700/20020012). Hier gibt es Hilfe für die erste Versorgung und der Kontakt zur nächsten Notfallstelle wird hergestellt.
Jeden Tag eine Nuss
Auch wenn die wild lebenden Eichhörnchen keine Kuscheltiere sind, so haben sie manchmal doch eine enge Verbindung zu den Familien, bei denen sie ausgewildert wurden. Trippe erinnert sich an ein Eichhörnchen, das sie nackt und nur wenige Gramm schwer bekommen und großgezogen hat: „Das war wirklich mein Baby.“
Am Ende wurde es ausgewildert, ist aber jeden Tag zur Terrasse der Familie gekommen, bei der die Station im Garten stand. „Es ist dann an der Frau hochgeklettert, hat sich eine Nuss aus der Hosentasche genommen und ist wieder in den Wald geflitzt.“

Sie selbst könne keine Station in ihren Garten stellen. Es gebe einfach nicht genug Wald oder Bäume in der Nähe. Auch wer keinen Platz für eine Auswilderungsstation hat, könne helfen: „Wir brauchen immer Leute, und die Not der Eichhörnchen wird nur größer.“
Lebensräume wie Wälder verschwinden. Bäume, die nachgepflanzt werden, tragen oft erst nach Jahren Früchte und Blüten, die die Tiere essen können: „Die Eichhörnchen verhungern uns hier im eigenen Wald.“
Erster Wurf im Januar
Auch die Temperaturen machten den Tieren zu schaffen: „Die wachen teilweise im Dezember wieder auf und jagen sich um die Bäume“, so Mechthild Trippe.
Sie kann sich noch an einen besonders krassen Fall erinnern: „Ich habe ein trächtiges Weibchen bekommen, das dann hier bei mir im Januar seine Jungen bekommen hat.“ Normalerweise gehe die Saison erst im Mai los, mittlerweile aber auch schon im März oder April. Dafür gehe sie heute viel länger.

Sie und ihre Schwester suchen auch Freiwillige, die Hängematten oder Verstecke für die kleinen Nager nähen. Noch wichtiger aber seien die, die bereit sind, junge Eichhörnchen aufzunehmen. „Wir brauchen Nachwuchs.“
Die 66-Jährige habe immer überlegt, mit 70 Jahren aufzuhören. Aber sie weiß eigentlich jetzt schon: Sie wird wohl weitermachen: „Was soll denn sonst aus den Eichhörnchen werden?“
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien erstmals am 18.08.2024.