Drei echte Fallbeispiele
FALL 1: Familie Ranft zog am 25. August von Castrop nach Ickern um. Zum 1. September wollte sie sich ummelden - zwei Wochen Zeit hat man dafür normalerweise. Doch das ging nicht, weil der nächste freie Termin Anfang August im Webportal am 27. September war. Stella Ranft nahm den Termin nicht, sondern wollte sich erst telefonisch rückversichern - aber erreichte niemanden. Erst der Urlaub, dann der Blick ins Portal am 26. August: Der nächste freie Termin ist am 12. Oktober. Sie buchte den Termin und wartet immer noch drauf. Das Sonderkündigungsrecht beim Telefonanbieter wegen Umzugs entfällt damit vorerst.
FALL 2: Micha K. aus Dorf Rauxel fliegt mit seiner Partnerin Ende Dezember nach Ägypten. Reisepass und Personalausweis sind abgelaufen. Mitte September wollte er einen Termin vereinbaren. Der nächste freie war am 12. November. Die nachträgliche Bearbeitungszeit der Pässe - die Unterlagen müssen zur Bundesdruckerei, weil das Bürgerbüro hier nur als Dienstleister für den Bund auftritt, und zurück - dauere noch mal 4 Wochen bis zur Abholung, so die Auskunft im Internet. Er schaute nach einem neuen Einzeltermin für nur einen Pass - da wurde ihm der 8. Oktober angeboten. Denn die Dauer betrüge hier nur 15 Minuten, bei zwei Passangelegenheiten 60 Minuten, hieß es im Termin-Portal. „Die Situation ist wirklich grenzwertig“, sagt er. „Wenn wir die Expressbearbeitung nehmen“, so Micha K., „dann wird es richtig teuer.“ Dann fielen neben den 60 Euro Bearbeitungsgebühr noch 37 Euro Extrakosten an.
FALL 3: Erika Schäfer brauchte einen neuen Personalausweis. Sie hat keinen Internetanschluss und versuchte, beim Bürgerbüro anzurufen. „Ewig“, sagt sie, „es ist nie einer dran gegangen. Und zurückgerufen hat auch niemand.“ Sie entschloss sich, einfach hinzugehen - und stand vor verschlossener Tür. Mittagspause. Beim nächsten Versuch im Juni war geöffnet, doch sie fand eine lange Schlange vor. Sie bekam einen Termin für drei Wochen später und nahm einen Belegzettel mit, den sie erst zu Hause aufmerksam durchlas. Sie müsse sich noch ein Beiblatt aus dem Internet herunterladen, habe darauf gestanden. „Warum hat man mir das Beiblatt nicht einfach mitgegeben?“, fragt sie sich. „Da fühle ich mich reingelegt!“

Das Bürgerbüro der Stadt ist einer der neuralgischen Punkte im Verhältnis von Stadt und Bürgern. Wartezeiten auf Termine verärgern viele Menschen. © Mario Bartlewski/Klose(Grafik)
Es sind Fälle wie diese Beispiele, die die Diskussionen über das Bürgerbüro befeuern und die an die Politiker herangetragen werden. Nicht nur bei Facebook schreiben sich Castrop-Rauxeler darüber in Rage. Auch im Betriebsausschuss 1 vor einer Woche entwickelte sich eine rege Debatte - mit denen, die das Bürgerbüro managen.
Die Diskussion in der Politik und Lösungsansätze
Die Vorwürfe, die fraktionsübergreifend auf Thomas Roehl, Amtsleiter für den Bereich Ordnung und Bürgerservice, einprasselten, konnte dieser nicht alle entkräften. Die telefonische Erreichbarkeit sei, so Roehl, „mit ungenügend“ zu benoten. „Das können wir mit eigenen Mitteln nicht mehr stemmen“, so Roehl. Die Stadtverwaltung arbeite an einer Lösung.
Man habe bei einer Betriebsbesichtigung, an der auch der Bürgermeister teilgenommen habe, eine Blick auf das Bochumer Servicecenter werfen können. Da die Kollegen aus der Nachbarstadt deutlich stärker mit fachkompetentem personal besetzt seien (16 Vollzeitstellen nur für dieses Servicecenter, so Roehl), stelle die Stadt Überlegungen an, „diese Dienstleitung zu übernehmen“. „Verhandlungen sollen ab Oktober aufgenommen werden“, so Michael Eckhardt, Erster Beigeordneter und Kämmerer der Stadt. Dann könnten Anrufe von Castrop-Rauxelern zukünftig nach Bochum gehen, dort bearbeitet werden und so wiederum Mitarbeiter im Bürgerbüro Castrop-Rauxel entlasten.

Auf einen Termin im Bürgerbüro muss man wochenlang warten. Kein Zustand auf Dauer, weiß auch die Stadtverwaltung. © Lena Seiferlin/Klose(Grafik)
Gaertner kennt das Problem aus der eigenen Familie
Ausschussvorsitzender Achim Gaertner (CDU) habe in der eigenen Familie erfahren, wie schlecht es um die Terminvergabe im Bürgerbüro bestellt sei. „Meine Frau wollte einen neuen Personalausweis besantragen und hat einen Termin in zehn Wochen bekommen.“ Thomas Roehl gesteht: „Intern haben wir uns mit dem neuen Ticketsystem eigentlich eine Vorgabe von maximal vier Wochen gesetzt.“ Ausnahmefälle, etwa bei Verlust des Ausweises oder andern Notfällen, würden dazwischengeschoben und bearbeitet, so schnell es ginge.
Ein großer Teil des Problems fuße, so Roehl, auf dem Wegfall von drei Vollzeitstellen im Bürgerbüro. Zwei Vollzeitkräfte bewarben sich hausintern weg. Eine ging im April, die zweite im September. Darüber hinaus sei ein Mitarbeiter auf lange Zeit krankgeschrieben. Ein großes Loch im engeren Personalpool der Stadt. „Auch deswegen haben wir diese drei Stellen extern ausgeschrieben“, so Roehl. Mit Erfolg. Zwei Vollzeitstellen sollen in naher Zukunft nachbesetzt werden.
Bis zu 2900 Bürgerkontakte hat das Büro im Monat
Thomas Roehl zeigte im Ausschuss Zahlen aus dem Ticketsystem. Im Juni, dem ersten Monat mit dem neuen System, habe man 2470 Kontakte mit Bürgern gehabt, im Juli und Juli 2700 bis 2900. „Diese Zahlen kann ich jetzt nur schwer einordnen“, so Ratsmitglied Hendrik Moryson (SPD). „Ist das viel, ist das wenig?“ Die Verwaltung müsse da mit sehr viel Fingerspitzengefühl herangehen.
Ein weiteres Problem sei die gestiegene Zahl von Anfragen, die das Bürgerbüro seit dem 1. September bearbeiten muss. Seit diesem Tag melden nämlich nicht nur deutsche Bürger ihren Wohnsitz im Bürgerbüro an, sondern auch die mit ausländischer Nationalität. Vorher war hier das Ausländeramt zuständig.
Bessern soll sich die Terminlage ab Oktober. Immerhin müssen Bürger, die sich nicht rechtzeitig ummelden können, nicht auch noch mit dem eigentlich dafür fälligen Bußgeld rechnen. Michael Eckhardt dazu: „Wenn jemand sich durch Verschulden des Amtes nicht rechtzeitig ummelden kann, gibt es kein Bußgeld.“
Wie läuft es denn in Nachbarstädten?
Um dem Beispiel der Stadtverwaltung zu folgen, die sich bereits in Bochum umschaute, fragten wir bei vier Städten aus der Nachbarschaft an, wie die Abläufe dort geregelt sind: einer Großstadt (Dortmund), einer größeren Stadt (Herne), einer ebenso großen Stadt (Dorsten) und einer Kleinstadt (Datteln).
DATTELN: Die Stadt bietet nicht nur ein Terminsystem an, wie es in Castrop-Rauxel seit dem Sommer eingeführt ist, sondern auch ein Nummern-Zieh-System, wie es das zuvor in Castrop-Rauxel gab. Termine sind montags und mittwochnachmittags, so Stadtsprecher Dirk Lehmanski. Die Wartezeiten lägen durchschnittlich bei 20 bis 30 Minuten, je nach Wochentag und Tageszeit. Einen Termin bekomme man telefonisch oder persönlich und wäre dann zwei Tage bis eine Woche später dran. Beschwerden gebe es aktuell keine. Die Stadtverwaltung hat hier 6,4 Stellen veranschlagt - inklusive Infoschalter und Telefonzentrale.
DORSTEN: „Die Beschaffung eines Aufrufsystems steht unmittelbar bevor“, erklärt Stadtsprecherin Lisa Bauckhorn. Momentan werden die Bürger der Reihe nach bedient. Im Sommer ab 10 Uhr müssten Bürger auch schon einmal 60 Minuten Wartezeit mitbringen. Im Sommer habe es tatsächlich auch Beschwerden gegeben über lange Wartezeiten bei großer Hitze. „Dem soll aber künftig mit der Vergabe von Wartenummern und einer Online-Terminvereinbarung begegnet werden.“ Morgens früh oder im Winter sei man aber meistens sofort dran. Man komme jedenfalls auf geschätzt 4000 bearbeitete Bürgeranliegen pro Monat. 8,6 Stellen seien das Soll, besetzt seien derzeit 8,1 Stellen.
HERNE: Hier laufen zwei Systeme parallel: Neben der täglichen Terminvergabe kann man auch ohne Termin vorsprechen. Nur am Montag von 13.30 bis 15.30 Uhr und Donnerstag von 16 bis um 18 Uhr werden ausschließlich Terminvergaben erledigt. So erklärt das Stadtsprecher Christoph Hüsken. Termine lassen sich online, per Telefon oder vor Ort vereinbaren. Je nach Anliegen komme man oft schon am selben Tag an einen Termin. Die durchschnittliche Wartezeit liege bei etwa 15 Minuten. 23 Kollegen arbeiteten im Fachbereich Bürgerdienste in der Abteilung Einwohnerwesen, inklusive derer am Nebenstandort in Wanne. Sie erledigen rund 25.000 Anliegen, allerdings sind darunter auch Fälle ohne Vorsprache von Bürgern.
DORTMUND: Auch in der Großstadt gibt es zwei Systeme - mit und ohne Terminvergabe. Vormittags werden täglich außer mittwochs Wartemarken ausgegeben und parallel vergebene Termine abgearbeitet. Nachmittags und den ganzen Mittwoch läuft weitgehend nur Termingeschäft. Stadtsprecher Maximilian Löchter spricht von einer durchschnittlichen Wartezeit bei vorab gebuchten Terminen liegt von ca. 7 Minuten. Während der allgemeinen Öffnungszeiten beträgt die durchschnittliche Wartezeit 50 Minuten. Termine vereinbart man persönlich, in den Außenstellen der Bezirke, telefonisch oder online. Vorlaufzeiten lägen derzeit bei wenigen Tagen bis hin zu sechs Wochen. Abgesagte Termine werden zeitnah neu vergeben. Wegen der Wartezeiten und der Terminvorläufe gebe es vereinzelt Beschwerden. 77.000 Einwohner- und Kfz-Anliegen habe man pro Monat - und dafür ein Team mit 116 Planstellen in der Innenstadt am Friedensplatz sowie neun in den Bezirksverwaltungsstellen (z.B. Aplerbeck, Mengede).
So diskutierte am Donnerstag der Stadtrat
„Sie haben Recht – das Bürgerbüro funktioniert derzeit gar nicht so, wie wir uns das vorstellen.“ Klare Worte des Ersten Beigeordneten Michael Eckhardt, die er am Donnerstagabend im Rat gegenüber Patrick Geisler äußerte. Der hatte sich in der Einwohnerfragestunde brüskiert. „Dafür können wir als Verwaltung uns nur entschuldigen“, so Eckhardt, der die Pläne der Verwaltung, etwas zu verändern, unterstrich. „Wir haben viel Geld ausgegeben und im Grunde nichts erreicht“, so Eckhardt.
Er sprach nun im Ratsaal von „drei weiteren Mitarbeitern“, die ab November „im Zulauf“ seien, so seine Formulierung. Bisher war von zwei Vollzeitstellen die Rede. „Die Anzahl der Mitarbeiter wird sich erhöhen.“ Die nur auf dem Papier vorhandenen und besetzten Stellen, die durch Langzeiterkrankungen ausfielen, würden so ersetzt.
Ziel sei, dass eine Terminvereinbarung nicht mehr als drei, maximal vier Wochen dauern dürfe. Zudem sei eigentlich vorgesehen, dass man mit Notfällen flexibler umgehe. „Wir müssen bei den Mitarbeitern in Sachen Flexibilität und Fingerspitzengefühl nachschulen.“ Außerdem sei man mit Bochum im Gespräch. „Unsere telefonische Erreichbarkeit ist nicht mangelhaft, sondern glatt ungenügend“, so Eckhardt. „Wir sind in Verhandlungen. Die Stadt Bochum hat einen professionellen Callcenter- und Formulardienst.“ So denke er, dass sich ab Mitte November die Wartezeiten deutlich abschwächen würden.
Neun Kräfte arbeiteten laut Eckhardt im Frühjahr im Bürgerbüro, die sich etwa sechs Vollzeitstellen teilten. „Wenn sie da sind, sind alle Arbeitsplätze inklusive Schnellschalter besetzt“, so Eckhardt damals.
In seiner Rede zum Haushalt schlug Bürgermeister Rajko Kravanja den großen Bogen auch zu diesem Thema: „Wenn nahezu über zwei Jahre hinweg nur nötigste und rechtlich vorgegebene Ausgaben für unsere Bürgerinnen und Bürger getätigt werden können“, sagte Kravanja, „ist es auch eine Belastung für die Akzeptanz unseres Systems.“ Er meinte damit die Demokratie.
Beruflicher Quereinsteiger und Liebhaber von tief schwarzem Humor. Manchmal mit sehr eigenem Blick auf das Geschehen. Großer Hang zu Zahlen, Statistiken und Datenbanken, wenn sie denn aussagekräftig sind. Ein Überbleibsel aus meinem Leben als Laborant und Techniker. Immer für ein gutes und/oder kritisches Gespräch zu haben.

Gebürtiger Münsterländer, Jahrgang 1979. Redakteur bei Lensing Media seit 2007. Fußballfreund und fasziniert von den Entwicklungen in der Medienwelt seit dem Jahrtausendwechsel.
