Interview mit SPD-Politiker
Darum ist Frank Schwabe die Pressefreiheit wichtig
Frank Schwabe ist Bundestagsabgeordneter der SPD und wohnt auf Schwerin. Der Politiker aus Castrop-Rauxel spricht mit uns über Pressefreiheit in Deutschland und der Türkei sowie über die türkische Gemeinde in seinem Wohnort.
Frank Schwabe (47, SPD) wohnt auf Schwerin, ist Mitglied des Bundestages seit zwölf Jahren und Kreisverbands-Vorsitzender der SPD Recklinghausen.
3. Mai. Redaktionsleiter Tobias Weckenbrock sitzt am Tisch mit Frank Schwabe, Mitglied des Bundestages für die SPD aus Castrop-Rauxel. Es ist der „Internationale Tag der Pressefreiheit“, die Ruhr Nachrichten und viele andere Blätter machen die Titelseiten' tag=' auf mit einem Statement (siehe hier) von Fluxus-Künstlerin Yoko Ono: „Free you, free me, free us, free them“.
Schwabe ist weltweit unterwegs in Sachen Menschenrechte. Wir sprechen über Medien, die Türkei und Erdogan und was auf Schwerin, da, wo Schwabe mit seiner Familie (Frau, drei Kinder) wohnt, ankommt.
Herr Schwabe, Pressefreiheit, was bedeutet das für Sie und wie gehen Sie mit dem Thema um?
Pressefreiheit ist eine zentrale Bedingung für jede Demokratie und wir haben leider eine Entwicklung weltweit, in der die Leute, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen, unter Druck geraten. Dazu gehören auch die Medien.
Nicht nur in der Türkei, aber gerade dort sind viele Pressevertreter im Gefängnis. Viele von ihnen kenne ich persönlich. Ich war zum Solidaritätsbesuch in der Redaktion von Cumhuriyet (überregionale und regierungskritische Tageszeitung in Istanbul, bei der im November 2016 13 Journalisten und Manager festgenommen wurden, d. Red.).
Mir gefällt nicht immer, was in Zeitungen steht, was Medien berichten, aber nochmal: Es ist ein fundamentaler Bestandteil der Demokratie – man muss sich Sorgen darum machen! Darum ist es gut, dass dieser Tag so begangen wird.
"Reporter ohne Grenzen" erstellen einmal im Jahr eine Rangliste der Pressefreiheit. Deutschland steht aktuell auf Platz 16. Finden Sie, dass das ein guter Rang ist für Deutschland – oder zu wenig?
Das ist relativ. Bei 200 Staaten auf der Welt ist das nicht so schlecht...
Wie ist denn Ihr Gefühl im internationalen Vergleich, wie es in Deutschland um die Freiheit der Presse bestellt ist? Sie kommen ja viel in der Welt herum...
Ich habe heute Morgen bei WDR2 von einem Redakteur gehört, er könne die Regierung kritisieren und käme dafür nicht ins Gefängnis. Ich glaube, dass es relativ gut bestellt ist um die Freiheit der Presse und des Wortes. Man kann aber auch die Frage nach der Medienpluralität stellen. In gibt es viele Medien, aber es gibt keine Pluralität, sondern ein paar Oligarchen, die alle Medien besitzen.
Darüber kann man sich Gedanken machen: Sind wir ausreichend aufgestellt? Im Ruhrgebiet gibt es in manchen Städten nur noch eine Zeitung, das ist nicht ideal. Das hängt natürlich auch mit dem Markt zusammen. Aber unter dem Gesichtspunkt der Pluralität könnte man es sich besser vorstellen. Bei der Frage, sich frei äußern zu können als Journalist, sind wir aber relativ weit vorne in der Welt.
Relativ weit hinten ist die Türkei, zuletzt deutlich abgerutscht auch vor dem Hintergrund des Referendums. Sie sind als Vorsitzender des Städtepartnerschaftsvereins oft in Zonguldak, der Partnerstadt von Castrop-Rauxel. Wie ist denn da die Situation?
In Zonguldak gibt es unzählige Medien. Wenn ich da zu Besuch bin, bekomme ich am nächsten Tag immer 30 oder 40 Zeitungen, in denen ich mit Foto zu sehen bin. Die Qualität ist allerdings hochproblematisch: Die Zeitungen gehören oft irgendwelchen Firmen, wo relativ klar ist, was dann drin steht... Zonguldak selbst ist ein Ort, wo es ein mehrheitliches Nein zum Referendum gab, wo also kritische Geister stark sind.
In der Türkei insgesamt ist die Situation natürlich verheerend. Dort sind mehr Journalisten im Gefängnis als in China und Ägypten zusammen. Wenn man sich dort zurzeit bewegt, merkt man, wie groß Druck und Einschüchterung sind. Trotzdem gibt es immer noch Leute, die versuchen, frei zu berichten. Davor muss man große Hochachtung haben, denn die Leute wissen: Es kann sein, dass sie am nächsten Tag im Gefängnis sitzen und dort auch lange nicht mehr rauskommen.
Die in Deutschland lebenden Türken konnten ja auch am Referendum teilnehmen. Erstaunlicherweise ist gerade im Ruhrgebiet eine Mehrheit von bis zu 75 Prozent für das Referendum gewesen. Waren Sie geschockt, als Sie das gehört haben? Und worauf führen Sie das zurück?
Auf der einen Seite hat es mich geärgert, und ich verstehe es auch nicht. Man muss darüber reden, dass ein Teil der harten Funktionäre rund um Ditib-Gemeinden sehr stark für die erdogansche Position geworben haben. Auf der anderen war mir aber gar nicht bewusst, dass wir mittlerweile 1,5 Millionen türkischstämmige Menschen ohne türkische Staatsbürgerschaft in Deutschland haben. Wenn man die mitrechnet, leben etwa 3,5 Millionen türkischstämmige Menschen in Deutschland. Von denen haben am Ende 13 oder 14 Prozent mit Ja gestimmt. Von den zwei Millionen, die abstimmen konnten, haben ja auch nur gerade mal die Hälfte überhaupt von ihrem Stimmrecht Gebrauch gemacht. Wenn man das also so gewichtet, gibt es eine Mehrheit in diesem Land, die sich sehr mit diesem Land identifiziert, nicht so sehr mit der Türkei.
Warum das bei einem Teil der Türken so ist, hängt mit vielem zusammen – auch damit, wo die Leute herkommen. Wir sehen in der Türkei eine Teilung: Im westlichen Teil rund um Izmir zum Beispiel gibt es eine klare Mehrheit für das Nein. In den Teilen, aus denen die Menschen kommen, die heute in Deutschland leben, gibt es eine sehr starke Mehrheit für das Ja. Traditionelle Strukturen wirken nach. Zum anderen hat das auch mit dem Thema Integration in Deutschland zu tun; mit dem Gefühl von Türken, das ich zum Teil nachvollziehen kann, in dieser Gesellschaft noch nicht angenommen zu sein. Erdogan gibt den Leuten so etwas wie ein Selbstbewusstsein und sagt: „Wir sind wieder wer, wir können hier mal auf den Putz hauen.“ Ich finde das falsch, aber es war eine starke Motivation. Für uns jedenfalls ist es der Grund, stärker in den Austausch einzutreten.
Sie wohnen auf Schwerin mit Ihrer Familie; da gibt es eine Ditib-Gemeinde. Die reißt gerade Teile des Zentrums ab, um ein neues zu bauen. Eine Moschee ist in Planung. Wie ist da Ihr Gefühl zur Frage nach der Integration?
Ich kenne die Gemeinde gut, bin oft da und habe mit dafür gearbeitet, dass es diesen Standort gibt. Jetzt haben sie die Front rausgerissen, um nach vorne eine Terrasse zu bauen. Das finde ich gut. Die muss zwar abends im Sommer irgendwann zugemacht werden, damit wir kein Theater mit den Nachbarn haben. Aber dass sie sich öffnen in den Ortsteil und nicht irgendwo im Hinterhof weit weg sind, dass sie sagen: "Ja, wir sind hier, und wer Lust hat, kann gerne mal gucken kommen und einen Chai mit uns trinken" - das finde ich eine richtige und gute Entwicklung.
Denn es geht ja nicht anders: Die Menschen sind hier zum großen Teil aufgewachsen, werden ihr Leben lang hier leben - wir müssen gucken, wie wir miteinander klar kommen. Wir müssen uns noch mal klar die Meinung sagen und dann am Ende zu einer gemeinsamen Form des Zusammenlebens kommen. Das ist durch die Ereignisse in der Türkei gerade schwierig, aber es ist auch eine Chance, sich noch mal neu auf einen solchen Diskurs einzulassen.
Viele haben ein Unsicherheitsgefühl, weil sie nicht wissen, was gepredigt wird. Ditib-Imame sind staatliche Bedienstete oder Beamte der Türkei. Haben Sie ein schlechtes Bauchgefühl damit oder eher das Gefühl, sich darauf verlassen zu können, dass hier in die richtige Richtung gepredigt wird?
Nein, aber das ist ja auch klar und wird auch in den Gemeinden thematisiert: Die Imame sind sehr stark orientiert an dem, was die Religionsbehörde Diyanet in der Türkei vorgibt. Wenn die sagen, der Erdogan muss hochgejubelt werden, dann machen manche Imame das eins zu eins; wenngleich es da unterschiedliche Typen gibt. Das ist ein Problem.
Aber die Gemeinden selbst haben das eigentlich erkannt. Die Vorstände sind zum Teil Leute, die in Deutschland wunderbar integriert sind. Sie haben einen tollen Job, sprechen wunderbar Deutsch. Jetzt kommt ein Imam aus der Türkei für fünf Jahre, aus welchem Teil der Türkei auch immer, der kein Deutsch kann, ganz andere Traditionen mitbringt.
Es ist ja nicht so, dass es keine Spannungen in den Gemeinden gibt. Sie diskutieren schon lange darüber, ob man nicht Imame braucht, die Deutsch können und am besten auch in Deutschland ausgebildet wurden. Wenn diese Debatte nun ohne gegenseitige Vorwürfe noch mal neu befruchtet wird, wenn man genau hinguckt, dann ist das richtig - und an der Debatte beteilige ich mich gern.
Unsere Titelseite zum Internationalen Tag der Pressefreiheit. #WPFD2017pic.twitter.com/faZBmSoBLs
— Philipp Ostrop (@PhilippOstrop)