Sie sind Kinder türkischer Gastarbeiter. Sie wissen, was das bedeutet – für gesellschaftliche Teilhabe, für Karriere-Chancen. Sie selbst schafften es an die Universität. Das kann nicht jeder von sich sagen, der einen migrantischen Hintergrund hat. 2004 gründeten die beiden Castrop-Rauxeler Şerife und Murat Vural den Verein Chancenwerk.
Jetzt wurden sie dafür mit einem Preis und 20.000 Euro Preisgeld ausgezeichnet, trafen aus diesem Anlass Minister Cem Özdemir. Und vor allem: Sie halfen Hunderten, Tausenden jungen Menschen dabei, ihrem eigenen Bildungsweg zu folgen. Murat Vural spricht selbst von Berufung und Leidenschaft, die ihn und seine heute bundesweit tätige Organisation beflügeln. Ein Interview.
Herr Vural, Sie haben diesen hoch dotierten Preis gewonnen. Welchen Stellenwert hat er für das Chancenwerk und Sie persönlich?
Diesen Preis für unsere Integrationsarbeit in Deutschland verliehen zu bekommen, ehrt uns sehr. Gerade von einer Person wie Edzard Reuter, der in seiner Kindheit selbst Migrationserfahrung in der Türkei erlebt hat.
Wie empfinden Sie die Wertschätzung für Ihre Idee heute in Castrop-Rauxel, aber generell in der Gesellschaft?
Die Verleihung solcher Preise hilft uns, unsere Arbeit in der Gesellschaft und in der Stadt unseres Vereinssitzes, also in Castrop-Rauxel, sichtbar zu machen. Wir erhalten dadurch generell Wertschätzung.
Was von dem, was Sie vor 19 Jahren zur Gründung bewogen hat, hat sich bis heute bestätigt?
Unsere Motivation ist seit jeher, Kindern und Jugendlichen bei der Gestaltung ihrer Zukunft zu helfen. Schülerinnen und Schüler wie Bünyamin Oskay, die einst von uns fachliche Unterstützung erhalten haben, stehen heute mitten im Leben. Es macht uns stolz, diesen Weg ein Stück weit begleitet zu haben. Dass unsere Arbeit weiterhin notwendig ist, ist ersichtlich, da das gesellschaftliche Problem sogar im Laufe der Jahre größer geworden ist.
Das müssen Sie erklären! Warum gibt es denn trotz Initiativen wie Ihrer immer noch ein Gefälle bei den Leistungen von Kindern mit Migrationshintergrund zu denen ohne?
Weil das Problem größer ist als die Lösungsansätze. Verantwortliche Institutionen stellen nicht ausreichend Ressourcen zur Verfügung, um die Chancenungleichheit abzubauen. Dieses Gefälle betrifft aber nicht nur Familien mit Migrationshintergrund, sondern auch Familien unterschiedlicher sozioökonomischer Hintergründe, wie unsere tägliche Arbeit zeigt.
Was kann unsere Gesellschaft und konkret unsere Politik von Ihnen und Ihren Erfahrungen lernen?
Egal wie groß das Problem ist, wir müssen irgendwo beginnen und beharrlich daran arbeiten.
Das ist sehr allgemein. Was müsste sich denn grundlegend aus Ihrer Sicht verändern für mehr Bildungschancen?
Naja, das Bildungssystem verfügt über zu wenig Geld. Und die Umverteilung ist nicht gerecht. Mehr Ressourcen sollten in gerechter Art an die richtigen Zielgruppen verteilt werden, anstatt auf dem Weg in der Bürokratie stecken zu bleiben.
Klingt nach einem langen Weg. Wie lange wird es denn das Chancenwerk noch geben?
Kurz und knapp gesagt: So lange es nötig ist. So lange es herausfordernde Probleme im Bildungsbereich gibt, wird Chancenwerk diese etappenweise angehen. Wir werden weiter daran arbeiten.
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Bünyamin Oskay (33) auf Karriere-Katapult: Castrop-Rauxeler zeigt, wie Bildung für alle funktioniert