Die Castroper Zeitung vom 10. September 1925: Diese Ausgabe bietet einen wunderbaren Blick in die Vergangenheit. © Nora Varga

Historie

Castroper Zeitung aus dem Jahr 1925: Eine Reise in die Vergangenheit

In Doris Bohnekamps Haus liegen einige Schätze aus der Vergangenheit. Einen ganz besonderen hat sie uns zur Ansicht gegeben: eine Castrop-Rauxeler Zeitung vom 10. September 1925.

Castrop-Rauxel

, 20.06.2020 / Lesedauer: 5 min

Im September 1925 hat Castrop gerade einmal 18.480 Einwohner und erst ein Jahr später, 1926, wird aus Castrop und Rauxel Castrop-Rauxel.

Das Jahr 1925 ist politisch und geschichtlich spannend. Die Folgen des Ersten Weltkrieges sind noch an vielen Stellen zu spüren. Eine kleine Analyse der Zeitung vom 10. September 1925 ermöglicht uns deshalb knapp 95 Jahre später einen Blick auf die Weltlage und die Situation Castrop-Rauxels in den 1920er-Jahren.

Gezahlt wurde damals in Reichsmark. Die kleinste Anzeige im Anzeigenteil kostete 8 Goldpfennige. Ein Teppich wurde im Anzeigenteil für 56 Reichsmark angeboten. Heute würde das etwa 218 Euro entsprechen. Allerdings: Das durchschnittliche Jahreseinkommen lag damals bei 1469 Reichsmark, also nur etwa 5700 Euro, wenn man den gleichen Umrechnungskurs zugrunde legt.

Die unter der Überschrift „Berlin in Erwartung der Einladung“ angekündigte Konferenz spielt eine wichtige Rolle für die europäische Integration nach dem Ersten Weltkrieg. © Nora Varga

Oft werden die 1920er-Jahre mit wirtschaftlichem Wohlstand verbunden. Das galt allerdings nicht für alle. Die sogenannten Goldenen Zwanziger brachten zwar nach dem Weltkrieg Stabilität, doch die Lage der Wirtschaft war trotzdem nicht immer leicht. Das verrät auch die Zeitungsausgabe vom 10. September 1925.

„Das rheinische Landesarbeitsamt erklärt in seinem jüngsten Bericht, daß die Lage im Bergbau sich weiter verschlechtert habe“, heißt es da. Der Artikel verrät, dass eigens für „die Stilllegung der Zeche im südlichen Ruhrkohlebezirk“ ein Ausschuss eingerichtet wurde, der Vorschläge zur Verbesserung der Lage des Ruhrbergbaus ausgearbeitet hat.

Der Alltag in Castrop

Aufschluss über die Lebenswirklichkeit der Castrop-Rauxler geben vor allem die Werbeanzeigen. Die Menschen hatten zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch bessere Arbeitsbedingungen im Vergleich zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehr Freizeit, die gefüllt werden wollte. Die Werbung zeigt, womit die Castrop-Rauxeler ihre Freizeit verbracht haben.

Das Radio wird in den 1920er-Jahren zum Medium der Massen. © Nora Varga

Ein Geschäft in der Kaiser-Friedrich-Str. (heute Lönsstraße) wirbt für Radio-Apparate, die zu dieser Zeit zum Massen-Gerät wurden. Es werden Tanzkurse auf dem Marktplatz beworben. Auch eine Vorstellung von Richard Wagners Oper „Der Fliegende Holländer“ auf den „vereinigten städtischen Bühnen Dortmund“ ist inseriert.

In der Zeitung findet sich die Anzeige eines Kaufhauses aus Herne mit dem Namen Gebr. Kaufmann. Sehr wahrscheinlich handelt es sich um das Kaufhaus der Gebrüder Kaufmann an der Bahnhofstraße.

Das Kaufhaus der Gebrüder Kaufmann wurde nach einer bewegten Geschichte 2009 final geschlossen. © Nora Varga

Das erfolgreiche Unternehmen wurde seinen damaligen Inhabern 1936 von den Nationalsozialisten entzogen. Nach dem Krieg erhielt eine Erbengemeinschaft das Geschäft durch die Wiedergutmachungsgesetze zurück und vermieteten das Gebäude an Karstadt. 2009 endete die Zeit von Karstadt an dieser Stelle.

Einige Unternehmen, deren Inserate geschaltet sind, existieren heute noch. Die Waschmittelwerbung von „Dallix“, die heute als gnadenlos sexistisch gelten würde, stammt von dem Unternehmen Mäurer und Wirtz. Das Unternehmen gehört heute den Dalli-Werken, die viele bekannte Haushaltsmittel vertreiben, darunter Waschmittel und Spülmaschinentabs, wie ein Blick in die eigene Küche verrät.

Dieser Konzern existiert auch heute noch. © Nora Varga

In der Ausgabe der Castroper Zeitung vom 10. September 1925 findet sich auch ein Artikel, der heute wieder erschreckend relevant wirkt. In einem Text über „moderne Sklavenmärkte“ setzt sich der Autor mit verschiedenen Formen der Ausbeutung von Menschen auseinander.

Schon damals hatte der Völkerbund (ein Vorgänger der UNO) sich für „faire Arbeitsverhältnisse“ eingesetzt, die grausame Unterdrückung in den Kolonien wird aber mit keinem Wort erwähnt.

So schreibt der Autor: „In Afrika, das fast zur Gänze in der Macht europäischer Mächte ist oder wenigstens in deren Interessensphären liegt, genießt die Sklaverei nirgends mehr gesetzliche Anerkennung, aber freilich, die Autorität der Europäer macht sich nicht überall genügend stark geltend, um die Sklaverei vollständig auszurotten.“

Der Artikel über moderne Sklavenmärkte ist heute noch relevant. © Nora Varga

Tatsächlich war es insbesondere der Einfluss der Europäer, der die Folgen der Sklaverei und den Rassismus herbeigeführt hatte. Die europäischen Mächte waren also, anders als uns der Verfasser glauben machen will, keine Heilsbringer. Diese, durch westliche Überheblichkeit geprägte Sicht auf die Kolonien ist typisch für die Zeit, und die Auswirkungen des rücksichtslosen Kolonialismus machen sich heute stärker denn je bemerkbar.

Die Folgen des Krieges im Kleinen

Die Nachwirkungen des Ersten Weltkrieges waren auch in einer kleinen Stadt wie Castrop-Rauxel zu spüren. Der „orthopädische Sprechtag“ für „Kriegsgeschädigte“ fällt am 14.9.1925 aus. Diese kleine Meldung zeigt, dass die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs auf die Gesellschaft auch in Castrop-Rauxel zum täglichen Leben gehörten.

Einige Probleme gab es auch schon vor 95 Jahren, in einer Randnotiz der Zeitung wird die Wohnungsnot in Dortmund beschrieben.

Das Luftschiff, das Amundsen sich gekauft hat, wird bei einigen seiner Expeditionen eine große Rolle spielen. © Nora Varga

Auch in Castrop-Rauxel wurde die Bevölkerung über internationales Geschehen informiert, so berichtet die Zeitung über den Aufstand der Drusen im heutigen Syrien. In dem Artikel werde Klischees über den sogenannten Orient befeuert, allerdings wird auch die Rolle Frankreichs, das zu dieser Zeit die Oberhand hatte, kritisch gesehen, was wohl eher mit der damaligen deutschen Abneigung gegenüber Frankreich infolge des Versailler Vertrags nach dem Ersten Weltkrieg als mit dem tatsächlichen Geschehen zusammenhängt.Zwar gab es durch die später im Text noch erwähnten „Verträge von Locarno“ eine Entspannung des Verhältnisses, trotzdem schreibt das Deutsch-Französische Institut schreibt zur Beziehung der beiden Länder in den 1920er-Jahren: „Das gegenseitige Misstrauen, das [die Außenminister Frankreichs und Deutschlands] Briand und Stresemann persönlich überwinden konnten, war noch zu tief im Denken beider Nationen verankert. Die Zeit schien Ende der 1920er-Jahre noch nicht reif für eine Freundschaft."

Einige Dinge haben sich auch nach vielen Jahren nicht verändert. Der Wetterbericht ist auch heute noch Teil der Zeitung. © Nora Varga

Fortschritt und Technik in den 1920ern

Wissenschaft und Fortschritt gingen zu dieser Zeit schnell voran, aber die Veröffentlichungen von Charles Darwin waren zu diesem Zeitpunkt erst 65 Jahre alt und die Biologie stand noch in den Kinderschuhen. So wird im Teil „Welt und Leben“ von den Vermutungen eines englischen Biologen berichtet, die Wiege des Menschen stehe in Europa, nachdem er den Schädel eines Urmenschen fand.

Damals hatte die Wissenschaft fast jährlich neue Theorien über den Ursprung der Menschheit, wie dieser Artikel belegt. © Nora Varga

Heute ist die gängigste Theorie über den menschlichen Ursprung dagegen die „Out-of-Africa“-Theorie, die den Ursprung des Menschen in Afrika ansiedelt, wie zahlreiche Quellen belegen.

Das Luftschiff, das Amundsen sich gekauft hat, wird bei einigen seiner Expeditionen eine große Rolle spielen. © Nora Varga

Unter dieser Meldung wird von Revolutionen im Flugzeugbau berichtet. „Es werde keine zehn Jahre mehr dauern“, dann gebe es Flugzeuge, die „reichlich Raum für hundert Passagiere bieten.“ Heute passen in einen Airbus A380 853 Menschen. Übrigens wurde das Flugzeug damals noch nicht „Flugzeug“, sondern „Aeroplan“ genannt, abgeleitet vom griechisch aeróplanos = in der Luft umherschweifend.

Auf dem Titelblatt wird über eine Konferenz in Lausanne berichtet. Offenbar fand diese Konferenz schließlich in Locarno statt und mündete in den Verträgen von Locarno. Der Vertrag gilt als Fundament für spätere Friedensverträge und hat die politische Lage in Europa zumindest zeitweise entspannt.

Er gilt als Grundlage für Deutschlands Beitritt in den Völkerbund im Jahr 1926. Es war eine der letzten europäischen Entspannungen vor dem zunehmenden Nationalismus, der dem Zweiten Weltkrieg vorausging.

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