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Castrop-Rauxelerin streitet seit über zwei Jahren mit Kreis über Schwerbehindertenausweis
Streit vor Gericht
Angelika Harms ist nach einer Hüft-OP zu 50 Prozent schwerbehindert. Wie stark ihre Einschränkung ist, darüber gibt es seit langem Streit. Dem Kreis wirft die Frau unfaire Behandlung vor.
Angelika Harms Krankengeschichte ist eine längere: Die 68-Jährige hat eine künstliche Hüfte, nach einer Hüft-Operation hat sie einen Muskelabriss, ist auf Gehstöcke angewiesen und braucht Hilfe beim Ein- und Aussteigen in Busse und Bahnen. Das schildert ihr Lebensgefährte Thomas Frauendienst gegenüber der Redaktion.
Seit zweieinhalb Jahren, seit Februar 2018, versucht Angelika Harms ein G-Merkzeichen für ihren Schwerbehindertenausweis zu bekommen. Doch der Kreis verweigere die Anerkennung, sagt Thomas Frauendienst.
Harms Schwerbehindertenausweis bescheinigt ihr einen Grad der Behindertung von 50 Prozent. Ab diesem Grad kann man ein G-Merkzeichen bekommen. Das sagt aus, dass der Betroffene in seiner Bewegungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt ist. Dafür gibt es sogenannte Nachteilsausgleiche. Mit dem G-Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis könnte Angelika Harms zum Beispiel deutlich vergünstigt den öffentlichen Nahverkehr nutzen.
Ärger über Umgang im Kreishaus
Der Hausarzt und ein Orthopäde hätten die erforderlichen Einschränkungen bei Angelika Harms auch attestiert, erzählt Thomas Frauendienst. Auch ein Pflegegutachter habe ihre Schwerbehinderung festgestellt. Nur die Gutachter beim Kreis Recklinghausen beurteilten das anders. Sie haben den Antrag für das G-Merkzeichen abgelehnt. Die Einschränkungen reichten nicht aus. „Sie braucht Unterstützung“, beteuert dagegen Thomas Frauendienst für seine Lebensgefährtin.
Besonders die Art wie man mit ihr umgehe, ärgert ihn, sagt Thomas Frauendienst. So habe ein Mitarbeiter im Kreishaus gesagt, sie solle sich nicht so anstellen, mit 68 Jahren hätte man schon mal was mit den Knochen, zitiert Frauendienst.
Das Merkzeichen G
- Ab einem Grad der Behinderung von 50 werden bestimmte Merkmale der Beeinträchtigung in Form von Merkzeichen in den Schwerbehindertenausweis eingetragen. Diese Merkzeichen berechtigen dann zur Nutzung von bestimmten Nachteilsausgleichen, etwa die vergünstigte Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln.
- Das Merkzeichen G bedeutet laut Sozialverband VdK Deutschland: „Der schwerbehinderte Mensch ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt.“ Dabei muss es sich nicht um eine Gehbehinderung handeln, auch innere Leiden können Ursache sein.
- Die Gehfähigkeit ist laut Versorgungsmedizin-Verordnung beeinträchtigt, wenn: „In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.“
Kreis beurteilt nach Gutachten vom Arzt
Nüchterner stellt Jochem Manz, Pressesprecher des Kreises Recklinghausen, den Fall dar. Grundlage für die Entscheidungen des Kreises bei der Vergabe der Merkzeichen sind ärztliche Grundlagen und Gutachten, sagt Manz. „So war es auch in diesem Fall“, sagt Manz. Diese ärztlichen Einstufungen hätten bei Angelika Harms nicht ausgereicht, um das G-Merkzeichen zu erteilen.
Bei seinen Beurteilungen habe sich der Gutachter des Kreises nach der Versorgungsmedizinischen Verordnung zu richten. Typische Fälle, bei denen der Kreis das G-Merkzeichen erteile, seien etwa Amputationen an den Beinen oder Blindheit.
Weiteres vierstündiges Gutachten nötig
Angelika Harms ist nicht so stark beeinträchtigt, dass sie das G-Merkzeichen erhalte, hatte der Kreis entschieden. Auch ein Widerspruch von Harms bei der Bezirksregierung Münster scheiterte. Seit März 2019 läuft nun eine Klage vor dem Sozialgericht. Dafür soll ein Gutachter Angelika Harms noch einmal vier Stunden lang untersuchen.
Zu dem Termin will Harms auch erscheinen, sagt Thomas Frauendienst. Auch wenn sich beide über die weitere Untersuchung und den Aufwand dafür ärgern. „Sie will doch nur, was ihr zusteht“, sagt Frauendienst stellvertretend für seine Lebensgefährtin. „Die Art und Weise, wie man mit ihr umgeht, ist unter aller Sau.“
Seit rund zehn Jahren im Lokaljournalismus zu Hause – erst am Niederrhein, dann im Ruhrgebiet und Münsterland. Beschäftigt sich am liebsten mit menschlichen und lokalpolitischen Geschichten.
