Anfang Februar 1955 herrschte auf dem Castroper Marktplatz Ausnahmezustand: Ein 23,85 Meter langer Finnwal auf einem Spezial-Lkw lockte Scharen von Menschen an. Sein Name: „Jonas“. Der konservierte Meeresriese wurde zur Attraktion des Jahres, tausende kamen, um sich den Wal anzuschauen.
„Da lag das riesenhafte Tier. Es schien zu leben“, berichteten die Ruhr Nachrichten damals. Schulklassen kamen klassenweise, Erwachsene drängten sich zwischen Planen und Zeltwänden. „Junge, das ist eine Wucht“, erzählte ein Schüler namens Rudi der Zeitung.
Von der Küste zum Schauobjekt
Jonas wurde am 11. September 1952 vor der Insel Hitra in Norwegen erlegt. Die Walfangstation Hestnes präparierte ihn über Monate hinweg: Der Wal wurde geöffnet, ausgehöhlt, mit Luftkammern, Attrappen von Lunge und Magen sowie mit Schwimmkörpern versehen und schließlich mit Formalin konserviert. Ziel war ein langlebiger, transportfähiger Schauexport.

Schon im Oktober 1952 begann die öffentliche Ausstellung – zunächst auf einem norwegischen Küstenschiff, der Viking. Die Tour war von Anfang an ein technisches wie logistisches Experiment. Später wurde der Wal auf einen eigens gebauten, fast 24 Meter langen Lastzug verladen – zu dieser Zeit der längste Europas.

Der Lkw mit Jonas war ein technisches Unikum: Niederländischer Aufbau, seitlich ausklappbare Wände, eine stabile Plattform für 55 Tonnen Gewicht – und ein Kühlsystem zur Verlangsamung der Verwesung. Dieses wurde nur bei Bedarf eingeschaltet, etwa bei Temperaturen über 20 Grad, da der Betrieb teuer war. Laut FLUKE lobte die Zeitschrift Modern Refrigeration 1954 die innovative Technik dieser Ausstellung.
Doch trotz Technik setzte der biologische Verfall bald ein. Schon im Frühjahr 1953 wurde Jonas in Rotterdam notbehandelt: Der Bauch wurde geöffnet, Fleischreste entfernt, neue Schwimmkörper eingesetzt und das Kühlsystem komplett überarbeitet.
Eine besondere Ausstellung
In Castrop-Rauxel – wie an vielen anderen Stationen – wurde der Wal mit Zelten und Plakatwänden umgeben. Besucher erwartete mehr als ein Wal: eine Harpunenkanone, Original-Harpunen, Walwirbel, ein Modell des Mageninhalts – und ein Tonband, das in mehreren Sprachen von der „Lebensgeschichte“ des Wals berichtete.
Kernstück war aber immer wieder das weit aufgerissene Maul von Jonas. Kinder durften sich darin fotografieren lassen – ein beliebtes Erinnerungsmotiv. Die gesamte Ausstellung wurde täglich gepflegt: Die Haut des Wals wurde mit einer Konservierungslösung eingerieben, Fliegenschutzmittel kamen zum Einsatz.

Jonas‘ Tour führte durch zahlreiche Länder: Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Österreich, die Schweiz, später Nordafrika, Japan und zuletzt Großbritannien. Vor jeder Station mussten Brücken überprüft, Kurven vermessen, Stromanschlüsse organisiert werden. In Frankreich verweigerte man teilweise die Durchfahrt, in der Schweiz war die Walgröße Anlass für parlamentarische Anfragen.
Der Transport erfolgte meist nachts, oft mit Polizeieskorte. In schwierigen Regionen – etwa in den Alpen – wurde Jonas sogar per Bahn weitertransportiert. Zur Logistik gehörten ein zweiter Lkw mit Werkzeugen, Ersatzteilen und Zeltmaterial sowie ein Begleitteam von bis zu zwölf Personen.
Krisen in Afrika
Besonders turbulent wurde es 1955 auf der Afrika-Tour: In Algerien und Libyen fielen die Stromnetze regelmäßig aus – das Kühlsystem versagte. Der Wal begann zu riechen, Maden fielen aus dem geöffneten Bauchbereich auf den Dieseltank des Lkw. In Kairo explodierte in der Nähe des Ausstellungsgeländes ein Taxi – Jonas blieb unversehrt, die Tour war jedoch bald beendet. Der Rücktransport erfolgte mit dem Schiff nach Europa.
1965 wurde Jonas nach Japan verschifft und im Vergnügungspark Yomiuri-Land bei Tokio gezeigt. Die hohe Luftfeuchtigkeit setzte dem Wal zu. Ein japanischer Walforscher des Instituts GIKAN behandelte die Innenseite mit Antischimmelmitteln. Als Jonas seine Barten verlor, wurden Ersatzbarten eines anderen Finnwals angepasst und eingesetzt – offiziell „für Studienzwecke“.
Der Untergang des Wals
In den 1970er Jahren unterstützte der WWF zeitweise die Ausstellung – Jonas wurde nun als mahnendes Beispiel für den Schutz der Wale präsentiert. Doch der öffentliche Wandel in der Wahrnehmung des Walfangs ließ das Interesse sinken. 1980 wurde Jonas in den Niederlanden eingelagert – und über Jahrzehnte vergessen.
2006 wurde er in Eupen bei Aachen wiederentdeckt – äußerlich gut erhalten, aber ohne Konzept. 2008 war er ein letztes Mal in London zu sehen – bei einer Bootsausstellung. Zwei Jahre später wurde Jonas auf eBay angeboten – für umgerechnet rund 45.000 Euro. Ob es Interessenten gab, ist unbekannt. Seitdem gilt der Wal als verschollen.
Erinnerungen gesucht
Haben Sie Jonas gesehen?
1955 machte der ausgestopfte Finnwal „Jonas“ Halt auf dem Castroper Marktplatz – doch aus dieser Zeit sind bislang keine Fotos aus Castrop-Rauxel selbst bekannt. Haben Sie noch ein Foto, eine Eintrittskarte oder persönliche Erinnerungen?
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Ein Dank geht an das Walmagazin FLUKE und Herausgeber Alfred Schmidt, der uns Bildmaterial und Hintergrundinformationen zur Verfügung gestellt hat.