Seine Mission war das Retten: das Retten der Rechte von Arbeitnehmern gegenüber den zumindest eine Zeit lang immer mächtiger werdenden Arbeitgebern; das Retten von Menschen, die in Deutschland Zuflucht suchen vor Krieg und Tod in der Heimat; das Retten von Elektrogeräten, die noch viel zu schade waren für den Entsorgungshof …
Nun ist seine Zeit des Rettens vergangen: Meinolf Finke ist am 5. April 2024 im Alter von 85 Jahren gestorben. Das soziale Gewissen der Stadt Castrop-Rauxel ist um eine treue und beharrliche, eine gutherzige und kämpferische Seele ärmer.
Eines seiner letzten überlieferten politischen Zitate steht heute wie ein Fanal auf der Internetseite der so gut wie ausgestorbenen Castrop-Rauxeler Linkspartei. In einer schriftlichen Stellungnahme zum Haushaltsplan-Entwurf der städtischen Kämmerei ließ die Linke ihren Vertreter Meinolf Finke so zu Wort kommen: „Ein fürchterlicher Katalog, der das soziale, sportliche, kulturelle und schulische Leben der Stadt lahmlegen wird – es fällt auf, dass die bedürftigsten und sozial schwächsten Gruppen der Bevölkerung am stärksten betroffen sind.“

Meinolf Finke, geboren ein Jahr vor Ausbruch des 2. Weltkriegs am 3. August 1938 im sauerländischen Warstein in der Nähe des Güterbahnhofs. Zu gefährlich, meinten seine Eltern; und schickten ihn zu Verwandten aufs Land. „Mit einem breiten Platt kam er nach dem Krieg zurück“, erinnert sich seine Schwester heute.
Erst lernte er bei der Bank, arbeitete dann bei Volkswagen in der Kreditabteilung. Doch er wollte was anderes. Finke studierte in der Zeit der 68er in Berlin, las Karl Marx, kam dann ins Ruhrgebiet. Die Arbeit rief ihn.
„Noch zu Studentenzeiten“, erinnert sich seine Schwester an eine Anekdote aus seiner Jugend, „fuhr er mit 300 Mark in der Tasche nach Paris. Mit Rita. Die hatte gerade erst den Führerschein gemacht, musste aber direkt ans Steuer des VW-Käfers.“ Schalten mit Zwischengas: Davon hatte Rita nie zuvor gehört. Ihm war es egal. Er traute es ihr einfach zu.
Als sie in Paris ankamen, führten Freunde sie herum. Im Moulin Rouge ließen sie sich einst den ersten Champagner ihres Lebens schmecken. „Dafür verkniffen sie sich tagsüber das Essen. Sie hatten fest im Blick, dass sie das Spritgeld für die Rückfahrt noch aufbringen müssen“, erinnert sich Finkes Schwester. „Und dann genossen sie den Louvre, das Schloss von Versailles und das Café Flor.“
Kinder hatte Meinolf Finke nicht; so konnte er sich einbringen für alles andere, was ihm wichtig war. „Er kämpfte für seine Mitmenschen mit dem Herzen eines Löwen“, meint seiner Schwester. Unter anderem war er über viele Jahre Leiter der Volkshochschule in Castrop-Rauxel. 1973 trat er in den städtischen Dienst ein. Er setzte sich dort bis zu seinem Ruhestand 1997 leidenschaftlich für die Erwachsenenbildung ein. Sein besonderer Fokus lag auf der Fortbildung von Betriebsräten: Er wollte stets die Rechte der Kleinen, hier der Arbeitnehmer, stärken.
Sein gesellschaftlicher Einsatz ging weit über die Bildung hinaus. Er engagierte sich für diverse bürgerschaftlich initiierte Gruppen und Aktionen: Ihm und seinen Mitstreitern ist zu verdanken, dass das Bürgerhaus am ASG in der Altstadt nicht geschlossen wurde, dass es als Treffpunkt erhalten blieb. Die Bürgerinitiative „Hände weg vom Bürgerhaus“ stand unter seiner Führung.
Mitte 2013 plante die Stadtverwaltung im Rahmen des Haushaltssanierungsplanes zumindest, die Nutzungszeiten drastisch zu reduzieren. Es wäre der Verlust eines Versammlungsortes dutzender Gruppen gewesen. Die Auslastung sei gering, hieß es aus der Verwaltung, und man könne eine geteilte Personalstelle von zwei Hauswartinnen reduzieren oder ganz streichen.
Meinolf Finke trommelte die 30 Gruppen, die sich hier trafen, mehrfach zusammen. Über 1000 Unterschriften gingen im September 2014 an Bürgermeister Johannes Beisenherz. Verwaltung und Politik verfolgten daraufhin das Vorhaben nicht weiter. Gerettet!
Finke gründete schon weit vorher mit anderen, sowohl Freunden als auch Mitbürgern, den Arbeitskreis „Bürgerfreundliche Altstadt“. Aus dieser Gruppe ging vieles, aber auch die Idee für die Gründung eines Repair Cafés in Castrop-Rauxel hervor. Meinolf Finke setzte sie mit seiner Frau Gunthild Bläsing 2014 in die Tat um.
Die ehrenamtlich tätigen Bastler und Tüftler treffen sich bis heute einmal im Monat öffentlich, um defekte Geräte anderer Menschen bei einem Kaffee gemeinsam mit ihnen zu reparieren. Oft ist es nur eine kleine Lötstelle oder ein durchgebrannter elektrischer Widerstand, der das ganze Gerät für den Besitzer unbrauchbar macht. Viel zu oft führt das zu einem simplen Reflex: wegschmeißen, neu kaufen. Wegen eines Teils, das wenige Cent kostet. Heute werden viele alte Geräte schlicht gerettet.

Finke war auch im Friedenskreis aktiv. Neben der sozialen Gerechtigkeit, ob in Castrop-Rauxel oder international, war auch dieses Thema ihm ein Herzensanliegen. Zusammen mit Gunthild Bläsing förderte er eine Partnerschaft mit der Stadt Sébaco in Nicaragua. Gleich zu Anfang der großen Flüchtlingsbewegung des Jahres 2015 initiierte er einen Sprachkurs für Geflüchtete und unterstützte viele von ihnen bei den zum Teil komplizierten Behördengängen.
Auch politisch war er aktiv: Als Berater stand er zuletzt der Fraktion der Linken mit seinen politischen und ökonomischen Kenntnissen im Stadtrat zur Seite. Vorher war er in der SPD aktiv, unter anderem Ortsvereinschef der Sozialdemokraten in der Altstadt. In der Schröder-Phase der Agenda 2010 wurde er zum „bekanntesten Ex-Genossen“ der Stadt, wie die Ruhr Nachrichten damals schrieben.
Er war noch bis vor wenigen Jahren in Fachausschüssen als sachkundiger Bürger auf dem Ticket der Linkspartei Teil der politischen Debatten. Beharrlich setzte er sich mit dem ihm gegebenen Kampfgeist für seine Ziele ein. Seine markigen Worte hallen nach.
Meinolf Finke engagierte sich für die Rechte von Benachteiligten, förderte Bürgerbeteiligung auf lokaler als auch auf internationaler Ebene. „Sein Wirken und seine Ideale werden in Erinnerung bleiben“, schreibt die Linkspartei / Bündnis Sahra Wagenknecht in einem gemeinsamen Nachruf.
Als seinen Lieblingsplatz bezeichnete Meinolf Finke neben dem stets offenen Haus und Garten an der Sofienstraße zeitlebens den Reiterbrunnen. Es ist ein Bekenntnis zu der Stadt, deren Entwicklung er nicht nur begleitete, sondern mit eigenem Engagement mitprägte. „Alles, was mit sozialem Denken zu tun hatte, war sein Thema: Renten, Arbeitnehmer, Frieden, Entwicklungshilfe …“, sagt eine langjährige Mitstreiterin über ihn. „Überall war er für diese Themen unterwegs, lebenslang hat er alles dafür getan.“
Es sei der Einsatzwille und die Geradlinigkeit gewesen, die ihn stets auszeichneten. Und nichts von allem, sagen Weggefährten, tat er aus Eitelkeit. „Nicht er selbst, sondern die Menschen waren ihm wichtig.“ Jetzt müssen andere für ihn weitermachen.
Unvergessen
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