„Chico“ ist nicht etwa ein Dortmunder Lottomillionär, sondern ein American Staffordshire. Der Hund von Andreas Kemna aus Frohlinde. Der Castrop-Rauxeler hat ihn vor dreieinhalb Jahren aus dem Tierheim übernommen. Er gilt als „gefährlicher Hund“ aufgrund seiner Rasse. Und darum wird er bald bei der Steuer dreimal so teuer sein wie bisher. Sein Halter findet das unfassbar.
„Er war damals schon fast sieben Jahre alt“, sagt Kemna beim Gedanken an die Zeit, als er ihn zu sich nahm, „und er galt als schwer vermittelbar. Wegen der vielen rassebedingten Auflagen.“ Kaum zu glauben, wenn man sieht, wie sein Herrchen mit ihm tollt und kuschelt.
Um ihn zu adoptieren, brauchte Andreas Kemna damals einen sogenannten Sachkundenachweis. Er musste also dokumentieren, dass er mit dem Hund umgehen kann. „Das ist nicht der einfache Standard“, sagt Kemna. Mehr noch: Er musste einen Versicherungsnachweis vorlegen und ein sauberes polizeiliches Führungszeugnis vorweisen, damit er ihn nehmen durfte. „Diese Auflagen sind allein rassebedingt zu erfüllen“, so Kemna. Das steht so im Landeshundegesetz.
Man könnte meinen, die Stadt sollte froh sein, wenn sich jemand findet, der diesen Hund zu sich nimmt. Denn ein Hund weniger im Tierheim belastet den Tierschutzverein weniger, der den Kommunen diese Aufgaben abnimmt und dafür ab 2024 120.000 Euro im Jahr an den Tierschutz Castrop-Rauxel e.V. abführen wird. Jährlich wohlgemerkt.
Tierschutz-Hunde: Zwei Jahre steuerfrei
Ist sie auch. Denn auf der einen Seite wird man mit einer neuen Hundesteuersatzung Übernahmen aus dem Tierschutz vergünstigen: Hundehalter, die sich eines Hundes aus dem Tierheim annehmen, werden nicht mehr nur ein Jahr steuerfrei gestellt, sondern gleich zwei. Das ist Teil des Entwurfs einer Hundesteuersatzungs-Reform, die der Bereichsleiter Finanzen Stefan Brenk vergangene Woche der Politik vorlegte. Auf der anderen Seite sind „gefährliche Hunde“ darin aber auch vermerkt: Wer einen Hund einer so klassifizierten Rasse hat, muss den dreifachen statt dem einfachen Steuersatz entrichten.
Kemna muss also vorbehaltlich einer Zustimmung im Stadtrat am Donnerstag (7.12.2023, 17 Uhr, Ratssaal) für Chico nicht mehr 96 Euro im Jahr zahlen, sondern 288 Euro. „Weil andere Städte das auch machen...“, sagt er und winkt dabei ab: Ist das ein triftiger Grund?

„Es gibt nicht mehr viele Städte...“
Der Finanz-Fachmann Stefan Brenk begründete den Entwurf mit der neuen Steuersatzung so: „Es gibt nicht mehr viele Städte ohne Passus für gefährliche Hunde. Darum haben wir sie nun auch einer besonderen Besteuerung unterlegt.“
Die Zahl der Städte ohne sei „die absolute Minderheit. Man muss nicht allen wie Lemminge hinterherlaufen, es wäre aber eine sinnvolle Ergänzung aus Sicht der Verwaltung“, so Brenk. Das mache er nicht, „um den Haushalt zu retten, das wird uns damit bei weitem nicht gelingen. Es sind eher auf der Hand liegende andere Gründe“.
Er sagt es nicht, aber es wird klar, was er meint: Die Stadt erhofft sich dadurch eine „Steuerungswirkung“. Es soll unattraktiv sein, sich einen „gefährlichen“ oder „Listenhund“ zuzulegen. Die Gleichung: Weniger Listenhunde sorgen für weniger Bissvorfälle.
Doch das ist mindestens umstritten. Die Fraktion „Die Partei“, im zuständigen Fachausschuss vertreten durch Ratsherr Marcus Liedschulte, lehnte diese Neufassung der Satzung ab: „Es erschwert nur die Vermittlung aus Tierheimen und ist wissenschaftlich nicht haltbar“, sagte er zur Begründung. Dass er „Parteifreund“ von Andreas Kemna ist und im Stadtrat wohl auch dagegen stimmen wird: geschenkt. Denn es war im Fachausschuss die einzige Gegenstimme. Von allen anderen wurde der Entwurf angenommen.
Er „erlöste“ Chico aus dem Tierheim
Kemna findet das falsch: „Für gefährliche Hunde gilt in NRW ohnehin ein Zuchtverbot. Sie kriegen diese Tiere also legal nur aus dem Tierschutz. Und sie müssen neben allen anderen Vorgaben eine Begründung für die Haltung vorbringen“, sagt er. „In Chicos Fall war es die Erlösung vom Tierheimleben.“
Sie führen augenscheinlich ein gutes Zusammenleben. Fachleute wie die im September verstorbene Verhaltenswissenschaftlerin Dr. Dorit Feddersen-Petersen von der Universität Kiel halten die Klassifizierung von „gefährlichen Hunden“ für falsch und berufen sich dabei auf Studien. Sie sagt unter anderem: „Es sind, wie wissenschaftliche Untersuchungen belegen, individuelle Mensch-Hund-Beziehungen, die (den Hund) zur Gefährdung seiner Umwelt werden lassen.

Gefährliche Hunde seien stets individuell zu benennen, so Feddersen-Petersen in einer Ausarbeitung, die unter Hundehaltern durchaus bekannt ist und geteilt wird. Soziale Unsicherheit und Angst in der Entwicklung des Hundes seien Treiber von Aggressivität. Restriktiv in Zwingern aufgewachsene Hunde würden stets „Schwierige“, oftmals sogar bissige Hunde. Vor allem in der Jugendentwicklung, wie bei Menschen eine sensible Phase, weil Erfahrungen sich besonders einprägten, werde ein Hund geformt.
„Isoliert oder reizarm aufgezogene Hunde zeigen häufig situativ unangemessenes, übersteigertes Angriffs- wie Abwehrverhalten, wodurch erhebliche Gefahrenmomente geschaffen werden“, so die kürzliche verstorbene Wissenschaftlerin.
Tödliche Bisse 1997 in Frankfurt
Mit dem tödlichen Biss eines American Staffordshire Terrier beschäftigte sich das Landgericht Frankfurt am Main 1997. Der Hund hatte schon zuvor einen Beißvorfall. Sein Besitzer wurde in zweiter Instanz wegen fahrlässiger Tötung einer Frau zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt. „Der Hund war mit großer Wahrscheinlichkeit auf Menschentötung abgerichtet, was jedoch nicht mit letzter Sicherheit nachzuweisen war“, heißt es im Aufsatz der Verhaltensforscherin.
Wenn „Kampfhund“ Chico mit Andreas Kemna durch den Frohlinder Wald und die Siedlung spaziert, trägt er einen Maulkorb. Eine Befreiung hat er nicht. Mit einem „Wesenstest“ könnte man sie bekommen. Der kostet allerdings auch Geld: 200 bis 300 Euro etwa.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 5. Dezember 2023.
„Das Tierheim muss dann demnächst anbauen“: Kampagne gegen Kampfhundesteuer in Castrop-Rauxel